Editorial

Auf den Kopf gestellt

(24.10.2018) Dreht man ihre Orientierung in der Plasmamembran um, erhält man Kanalrhodopsine mit interessanten neuen Eigenschaften.
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Molekulare Lichtschalter wie zum Beispiel bakterielles Rhodopsin tragen einen Chromophor-Rezeptor, der nach Bestrahlung mit der passenden Wellenlänge im übrigen Proteinteil eine Konformations­änderung herbeiführt. Sie sitzen normalerweise gut verankert mit einer 7-Transmembran-Domäne in der Zellmembran. Kanalrho­dopsine aus Grünalgen, die nach Lichteinfall Kationen in die Zelle einlassen und so phototaktische Reaktionen auslösen, sind ein wichtiges Werkzeug der Optogenetik.

Um maßgeschneiderte Varianten natürlich vorkommender Lichtschalter für spezifische Fragestellungen zu erhalten, wurden diese bisher eifrig mutiert. Damit stieg die Werk­zeugvielfalt der Optogenetiker, doch war diese Herangehensweise recht aufwändig und ein Schuss ins Blaue. Wie sich eine Photorezeptor-tragende Ionenpumpe oder ein -kanal (oder Domäne) nach der Mutation verändert und zum Beispiel selektiver wird oder Ionen schneller durch den Kanal jagt, ist schwer vorhersagbar. Meist galt hier die Devise: „Hauptsache man sieht einen Effekt“.

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Enden vertauscht...

Bei einer neuen Strategie, die ein internationales Forscherteam entwickelte, dem auch Alexander Gottschalk und seine Doktorandin Amelie Bergs vom Buchmann Institut für Molekulare Lebenswissenschaften der Universität Frankfurt angehörten, kann man ziemlich sicher sein, dass ein Effekt auftritt. Zwar ist auch hier die Vorhersagbarkeit begrenzt, doch dafür kann man die Methode auf beliebige bekannte optogenetische Werkzeuge anwenden. Sie krempelt Rhodopsine einfach um und vertauscht ihre extra- und intrazellulären Enden - die lichtempfindlichen Proteine sitzen danach spiegelverkehrt in der Plasmamembran.

Eine Ahnung, dass dieser ziemlich drastische Eingriff sinnvoll und lohnenswert sein könnte, bekamen die Forscher in Form seltsamer Ionenkanäle von Insekten, die auf natürlichem Weg durch Rekombination entstehen. Die Kanäle liegen inmitten eines Glutamat-Rezeptors. Das führt dazu, dass am normalerweise intrazellulären N-Terminus des Kanals eine große Domäne mit einer extrazellulären Ausrichtung sitzt. Vermutlich ist das der Grund, warum Ionenkanäle von Drosophila & Co spiegelverkehrt in die Membran eingebaut sind und hierdurch permeabler für Natrium- und Calciumionen sind.

...Verhalten geändert

Die Hypothese des Forscherteams und die daraus resultierende Strategie lagen somit auf der Hand: Ein Kanalrhodopsin (ChR) ändert sein Verhalten, wenn es umgedreht in der Membran sitzt und seine sieben TM-Helices genau in die jeweils entgegengesetzte Richtung verlaufen. Als Invertierungs-Signal (Leadersequenz) verwendeten die Forscher eine intrazellulär ausgerichtete Domäne, die sie an den eigentlich extrazellulären N-Terminus des Rhodopsins anfügten. Die Signalsequenz (inklusive einer Transmembran-Domäne) stammte von dem integralen Membranprotein Neurexin18 delta und war mit einem zusätzlichen myc-Tag ausgestattet.

Damit konnte die Gruppe, beliebige Membranproteine und insbesondere Kanalrhodopsine umkrempeln und detektieren. Um die Orientierung zusätzlich zu stabilisieren, integrierte das Team ein kurzes positiv geladenes Peptid in die Leadersequenz, das als Erkennungs­motiv für die an den Golgi-Apparat gebundene Protease Furin diente. Mit diesem cleveren Schachzug stellten die Forscher sicher, dass nur Fusionsproteine vom Furin-Verdau verschont blieben, deren N-Termini intrazellulär orientiert waren und in das Cytosol ragten.

Soweit die Theorie. Den Beweis, dass diese auch in der Realität funktionierte, lieferte die Gruppe mit einem Fusionsprotein aus der Neurexin-Leadersequenz und der Kanalrhodopsin-Variante ChR2 E123T/T159C, die über eine schnelle Kinetik verfügt und sich verlässlich in die Membran integriert. Tatsächlich orientierte sich das Kanalrhodopsin umgekehrt in der Membran: Der eigentlich extrazelluläre N-Terminus lag im Cytosol und der normalerweise intrazellulär ausgerichtete C-Terminus ragte nach außen. Das Ganze funktionierte auch mit anderen Rhodopsinen, wie zum Beispiel CsChrimson oder ArchT.

Schneller bei der Arbeit

Tatsächlich nützlich ist das Umkrempeln von Ionenkanälen und -pumpen aber nur, wenn sich dadurch auch deren Funktionen ändern. Die Forscher schauten sich hierzu transfizierte hippocampale Neuronen mit normalem und umgedrehtem CsChrimson in elektrophysio­logischen Tests an. Im Ruhepotential verhielten sich beide Varianten gleich, der Photostrom floss einwärts. Nach der Membran-Depolarisation drehte sich die Stromrichtung in beiden Fällen um, umgedrehtes CsChrimson zeigte jedoch eine fast achtmal höhere Permeabilität für Kaliumionen – aus dem ursprünglichen Kationenkanal war ein schnell arbeitender Kationenkanal geworden.

Je nach Protein, an das die „Umkrempel“-Domäne fusioniert wird, ändern sich die Eigenschaften auf unterschiedliche (und leider unvorhersagbare) Weise. Die Werkzeug­kiste für Optogenetiker wächst also, doch was man mit den neuen Werkzeugen anfangen kann, sieht man erst im Praxistest. So zeigte zum Beispiel die Fusion der Neurexin-Leadersequenz im Fall von ChR dramatische Effekte. Aus dem starken Aktivator wurde ein potenter optogenetischer Inhibitor, der sich wie eine licht-aktivierte, nicht-selektive Kationenpumpe benahm. Hinzu kam, dass sich sein Anregungsspektrum um circa 50 Nanometer in Richtung Rotlicht verschob.

Die starken Veränderungen führen die Forscher auf Umstrukturierungen am aktiven Zentrum zurück. In Hirnschnitten von Mäusen, deren tonisch aktive Neuronen umgekehrte ChR-Fusionen exprimierten, verzeichneten die Forscher licht-induzierte Stromflüsse nach außen, also entgegengesetzt der normalen Stromflussrichtung. Das ChR-Fusionsprotein verhielt sich wie der klassische optogenetische Inhibitor ArchT.

Neuronen lahmgelegt

Neuronen der Substantia nigra gehören zu den Basalganglien und steuern bei Nagetieren das freiwillige Bewegungsverhalten. Wenn sich in umgekrempeltem ChR die Richtung des Photostroms und die Erregbarkeit dramatisch verändert, würde man auch bei Tieren mit entsprechenden transgenen Neuronen, eine Verhaltensänderung erwarten. Tatsächlich beobachtete das Team bei Experimenten mit Mäusen, dass umgekehrtes ChR gezielt Populationen von Neuronen lahmlegte und hierdurch den Bewegungsdrang der Tiere beeinflusste.

Die Umkrempel-Strategie ist aber nicht nur für Optogenetiker und Verhaltensforscher interessant, die mit Rhodopsinen und Ionenkanälen arbeiten. Sie könnte auch bei vielen anderen Membranprotein überraschende Einblicke und Effekte zu Tage fördern.

Andrea Pitzschke

Brown J. et al. (2018): Expanding the Optogenetics Toolkit by Topological Inversion of Rhodopsins. Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2018.09.026



Letzte Änderungen: 24.10.2018