Editorial

„Es werden immer Pathologen gebraucht“

(20.11.2018) Um Tumore zu klassifizieren, sollen künftig verstärkt Algorithmen zum Einsatz kommen. Frederick Klauschen entwickelt solche Computerassistenten.
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Am Institut für Pathologie der Berliner Charité forscht Frederick Klauschen an computergestützten Systemen, die aussage­kräftige Biomarker in Tumoren ausfinding machen und somit bei der Wahl der richtigen Therapie helfen. Klauschen ist einer der 50 meistzitierten Köpfe unserer Publikations­analyse zur Pathologie.

Laborjournal: Zur Beurteilung von Bio­markern gibt es einen vielzitierten PLoS One-Artikel aus dem Analysezeitraum unseres Rankings, den Sie mitverfasst haben. Darin stellen Sie eine Web-Applikation namens Cutoff Finder vor. Was ist das Besondere an dem Programm?

Frederick Klauschen: Ein Biomarker ist ja in der Regel nicht schwarz oder weiß, sondern da gibt es meist ein Spektrum. Der Cutoff Finder ist federführend vom Kollegen Jan Budczies entwickelt worden und hilft dabei, für einen bestimmten Biomarker die Patienten­gruppen aufzutrennen in diejenigen, die wahrscheinlich auf eine ausgewählte Therapie ansprechen, und diejenigen, bei denen kein Therapieerfolg zu erwarten ist. Es geht darum, den optimalen Schwellenwert zu ermitteln. Das Tool verwendet dafür die lang bekannte Kaplan-Meier-Analyse, und es erfreut sich großer Beliebtheit – vielleicht auch, weil das jeder bei uns über eine Website einfach nutzen kann.

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Sie arbeiten aber auch daran, komplexere Algorithmen zur Auswertung von Patienten­proben zu nutzen. Über Maschinelles Lernen sollen die Programme dann trainiert werden, zuverlässige Diagnosen und Behandlungsprognosen zu ermöglichen. Wie kann ich mir das vorstellen?

Klauschen: KI-Verfahren werden immer wichtiger für die Interpretation diagnostischer Daten, was bisher weitgehend „manuell“ gemacht wird. Da werden zwar die kurzfristig durch künstliche Intelligenz zu erzielenden Erfolge meines Erachtens häufig etwas übertrieben dargestellt. Die initiale Diagnose, ob ein Tumor bösartig ist oder nicht, unsere tägliche Arbeit also, die stellen wir ja nicht durch simple Quantifizierung von Bildeigen­schaften, sondern durch eine Bewertung teils subtiler morphologischer Veränderungen. Und das alles betrachten wir im klinischen Kontext. Auch rein molekular lassen sich die Diagnosen nicht stellen – viele gutartige Veränderungen oder Vorläufer-Läsionen beim Krebs zeigen onkogene Mutationen.

Aber: Künstliche Intelligenz wird einen wesentlichen Beitrag für die Medizin leisten, allerdings in Form von Assistenzsystemen, die die ärztliche Arbeit leichter machen und qualitativ verbessern. Auch wird KI dabei helfen, die teilweise von Seiten der Molekular­biologie meines Erachtens fälschlicherweise als veraltet betrachtete Histologie fit für die Präzisionsmedizin zu machen, indem neuartige quantitative Merkmale aus Bilddaten herausgelesen werden können.

Wie könnte solch ein Assistenzsystem funktionieren?

Klauschen: So ein KI-System könnte in kurzer Zeit sehr viele Präparate mit an sich einfachen Fragestellungen sichten. Zum Beispiel die Metastasen-Suche in Lymphknoten. Hier kann Maschinelles Lernen eine eher uninteressante und arbeitsintensive Aufgabe erleichtern. Ein anderer Punkt ist die quantitative Auswertung. Steht die Krebsdiagnose, müssen oft gewisse molekulare Marker, die im Gewebeschnitt immunhistologisch dargestellt werden, quantitativ ausgewertet werden. Das kann das Assistenzsystem ebenso übernehmen. Künstliche Intelligenz wird uns also erlauben, dass wir uns auf wichtigere Dinge konzentrieren können als auf das, was der Computer besser kann.

Nutzen Sie solche Computersysteme auch schon klinisch, wenn Sie Biopsien Ihrer Patienten auswerten?

Klauschen: Nur für sehr ausgewählte Fragestellungen. Zum Beispiel setzen wir solch ein System bei uns am Institut ein, um die Proliferationsrate von Mammakarzinomen zu bestimmen. Wir arbeiten aber an der breiteren praktischen Implementierung.

Ich bin auf ein aktuelles Review gestoßen, das Sie als Erstautor mitverfasst haben. Darin thematisieren Sie ebenfalls Maschinelles Lernen. Konkret geht es um das Erfassen Tumor-infiltrierender Lymphozyten aus Bilddaten. Welche Rolle spielen diese Lymphozyten denn für die Beurteilung eines Tumors? Ist es ein gutes Zeichen, wenn Zellen des Immunsystems dort eindringen, oder deutet es eher darauf hin, dass der Tumor bereits das Immunsystem unterwandert hat?

Klauschen: Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an, denn man ist insbesondere aufgrund der Erfolge der Immunonkologie gerade mit Hochdruck dabei, die genaue Bedeutung dieser Tumor-infiltrierenden Lymphozyten für die Diagnostik zu untersuchen. Aktuell wissen wir eigentlich nur ganz sicher, dass sie einen prognostischen Wert haben, also auf die Aggressivität des Tumors hinweisen. Aber die Ergebnisse sind teilweise abhängig vom Tumortyp.

Wie kommt das?

Klauschen: Höchstwahrscheinlich liegt das daran, dass wir es hier mit unterschiedlichen Subgruppen von Lymphozyten zu tun haben, über die der Tumor mit dem Immunsystem interagiert. Zum einen gibt es Killerzellen, die Tumorzellen aktiv angreifen. Zum anderen gibt es aber auch regulatorische T-Zellen, die eine Immunantwort inhibieren können. Außerdem spielen wahrscheinlich auch noch andere Zelltypen des Immunsystems wie Makrophagen, Granulozyten sowie das Mikromilieu insgesamt eine wichtige Rolle. Aber beim Verständnis der Tumorbiologie insbesondere im Kontext des Immunsystems sind noch viele Fragen offen.

Es werden aber schon gezielt Checkpoint-Inhibitoren eingesetzt, die das Immunsystem gegen den Tumor aktivieren, wofür es dieses Jahr auch einen Nobelpreis gab.

Klauschen: Ja, das ist richtig. Wir brauchen aber noch bessere Voraussagen darüber, ob die Immun-Checkpoint-Therapie bei einem Patienten wirkt oder nicht. Da gibt es jetzt erste Studien zu den Tumor-infiltrierenden Lymphozyten. Die Expression des Markers PD-L1 ist zum Beispiel bei Lungenkarzinomen, Urothelkarzinomen oder Melanomen ein Hinweis darauf, dass die Therapie anschlägt. Einen dritten Biomarker, den wir gerade im Blick haben, ist das tumor mutational burden, kurz TMB – also letztlich die Anzahl der Mutationen in einem Tumor. Aktuelle Studien zeigen: Je mehr Mutationen ein Tumor angesammelt hat, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient auf die Checkpoint-Therapie anspricht. Allerdings ist die Relevanz des TMB für das Gesamtüberleben noch nicht abschließend geklärt. Man weiß aber, dass jeder einzelne dieser Biomarker für sich genommen nur ein unvollständiges Bild liefert. Wahrscheinlich wird man noch weitere, komplementäre Biomarker finden und schließlich Biomarker-Kombinationen verwenden müssen, um entscheiden zu können, welche Patienten auf die Checkpoint-Therapie ansprechen. Und da ist eine Idee, die wir gerade verfolgen, dass man molekulare Biomarker mit histo-morphologischen Tumormerkmalen kombiniert.

Und dabei könnte man auf Maschinelles Lernen zurückgreifen?

Klauschen: Ganz genau, bei der Integration solcher und anderer komplexer morpho-molekularer Daten können Bioinformatik und Künstliche Intelligenz helfen. Zum Beispiel zeigen wir in einer gerade veröffentlichten, primär experimentellen Arbeit, wie funktionelle Phosphoproteomik Resistenz­mechanismen gegen zielgerichtete Therapien beim Lungen­karzinom aufdecken kann. Zusätzlich haben wir einen bioinformatischen Ansatz entwickelt [Genome Medicine, 2018 10:38], um die funktionelle Relevanz von molekularen Profilen durch Integration von Genomik und Proteomik zu bewerten.

Angenommen, KI-Systeme würden nach aktuellem Stand perfekt laufen: Sobald man wieder neue Biomarker entdeckt und neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnt, müsste man eine Software aber trotzdem wieder neu trainieren, oder?

Klauschen: Sie haben völlig Recht. Selbst wenn die teilweise geäußerten Vermutungen, dass wir vielleicht bald schon wegen der KI keine Radiologen und Pathologen mehr bräuchten, Substanz hätten, dann würde das ja auch bedeuten, dass wir immer auf einem Wissensstand stehenblieben. Denn die Systeme müssen natürlich entsprechend der neuesten Erkenntnisse trainiert werden. Für Training und Verifizierung der KI-Ergebnisse sowie für die Weiterentwicklung des Wissens und damit auch der klinischen Diagnostik werden immer Experten gebraucht.

Die Fragen stellte Mario Rembold



Letzte Änderungen: 20.11.2018