Editorial

Angriff auf Achillesferse

(10.12.2018) Gram-negative Bakterien sind durch ihre Äußere Membran gut geschützt. Schwei­zer Forscher untersuchten, wie eine Baumwanzen-Substanz diesen Wall durchbricht.
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Auch E. coli gehört zu den Gram-negativen

Pathogene Bakterien bekämpfen wir meist mit Antibiotika. Dies ist allerdings bei den Gram-negativen Bakterien besonders schwierig, denn im Vergleich zu den Gram-positiven besitzen sie zusätzlich zu ihrer Zellwand eine weitere Zellhülle, die sie vor schädlichen Einflüssen schützt: die Äußere Membran, eine asymmetrische Lipid-Doppel­schicht. Während die innere Lipidschicht aus Phospholipiden besteht wie die Cytoplasma-Membran, setzt sich die äußere Schicht aus Lipopolysacchariden zusammen.

Dummerweise gehören zu den Gram-negativen Bakterien viele Krankheitserreger wie Klebsiella pneumoniae und Pseudomonas aeruginosa, zwei gefürchtete Krankenhaus­keime, aber auch verschiedene Enterobakterien. Typische Darmbakterien wie Entero­bacter cloacae, Salmonella typhimurium sowie bestimmte Escherichia coli-Stämme können schwere Entzündungen des Darmtrakts und Durchfälle verursachen. Erinnert sei nur an den EHEC-Ausbruch, ausgelöst durch enterohämorrhagische E. coli, in Deutschland 2011 mit 53 Todesfällen.

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Antibiotikum aus Wanzen

Zwar existieren Antibiotika, die gegen Gram-negative Erreger wirken, aber Resistenzen sind auf dem Vormarsch. Aus diesem Grund sind neue Wirkmechanismen und Zielmole­küle sehr gefragt. „Die WHO hat in ihrem Bericht klar gemacht, dass die größte Bedrohung von Gram-negativen Mikroorganismen ausgeht“, erläutert der britische Chemiker John Robinson, der seit 1989 an der Universität Zürich arbeitet. „Vor allem wegen den beiden Membranen ist es schwierig, neue Moleküle zu finden, die gegen solche Bakterien wirksam sind. Die Moleküle können oftmals nicht in die Zellen eindringen.“

Einige Moleküle sind jedoch schon entdeckt, nur noch nicht hinreichend untersucht. Das Antibiotikum Thanatin, welches 1996 aus dem Mitteldarm einer Baumwanze (Podisus maculiventris) isoliert worden war, gehört dazu. Die „Dornenbesetzte Soldatenwanze“ ernährt sich räuberisch von Käferlarven und Schmetterlingsraupen und nutzt die antibakterielle Substanz wahrscheinlich, um ihren Darmtrakt vor der Besiedlung mit pathogenen Bakterien zu schützen. Thanatin ist ein Peptid aus 21 Aminosäuren mit einer Disulfidbrücke zwischen den Cysteinen 11 und 18. In Hemmstudien wirkte Thanatin gegen E. coli, S. typhimurium, K. pneumoniae und E. cloacae, etwas schwächer auch gegen Erwinia carotovora, einem wirtschaftlich bedeutsamen Erreger von Kartoffelkrankheiten, und P. aeruginosa, sowie gegen einige Gram-positive Bakterien.

Achillesferse Äußere Membran

Da das L-Enantiomer von Thanatin deutlich aktiver war als das D-Enantiomer, vermuteten die Schweizer, dass dieses ein chirales Ziel angreift. Interessanterweise dringt Thanatin nur schlecht in Phospholipid-Membranen ein. Es permeabilisiert weder rote Blutkörperchen noch beeinflusst es Nukleinsäuren oder die Zellwand-Biosynthese. Stattdessen beobach­tete Robinsons Team, dass sich nach der Gabe von Thanatin im Inneren Gram-negativer Bakterien Vorstufen von Membran-Komponenten ansammelten, während gleichzeitig die Architektur der Äußeren Membran verändert war – wie bereits von Mutanten mit gestörter LPS-Synthese bekannt.

Wichtig für die Funktion und Synthese der Äußeren Membran sind verschiedene integrale Membranproteine. So werden die Lipopolysaccharide an der Cytoplasma-Membran synthetisiert und müssen von dort über das wassergefüllte Periplasma, das Kompartiment zwischen beiden Membranen, bis zur Äußeren Membran transportiert werden. Diesen Transport bewerkstelligt ein Komplex aus den sieben Proteinen LptA bis LptG. Die eigent­liche Brücke über das Periplasma bilden mehrere Untereinheiten von LptA, wobei die N-terminalen Faltblätter eines Monomers mit den C-terminalen β-Faltblättern des nächsten Monomers interagieren.

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Die Lpt-Proteine in Innerer (IM) und Äußerer Membran (OM). Credit: Vetterli et al.

Der Komplex LptB2FGC befindet sich in der Cytoplasma-Membran. Dabei ragen die LptB-Untereinheiten ins Cytoplasma und treiben den Transport von LPS durch ATP-Hydrolyse an. LptC besitzt ebenfalls terminale β-Faltblätter, die mit den N-terminalen von LptA wechselwirken. Am anderen Ende der Protein­brücke, in der Äußeren Membran, sitzt der Komplex LptDE. Hier findet die Wech­sel­wirkung ebenfalls über β-Faltblätter statt: Diesmal sind es die C-termi­nalen Faltblätter von LptA, die mit den N-terminalen von LptD interagieren.

Zerstörte Periplasma-Brücke

Genau an dieser Stelle kommt Thanatin ins Spiel, denn es interagiert offensichtlich ebenfalls mit den N-terminalen Faltblättern von LptA. Dadurch stört es die Bindung der LptA-Untereinheiten untereinander sowie die Interaktion mit LptC. „Die β-Haarnadel-Konformation des Peptid-Rückgrats in Thanatin führt dazu, dass Thanatin genau an der Seite in LptA passt, wo das nächste Protein im Lpt-Komplex andocken müsste“, erläutert Robinson. Die Proteinbrücke über das Periplasma kann so nicht mehr gebildet werden und der Transportweg für die Lipopolysaccharid-Bausteine ist unterbrochen.

LptA ist somit ein neues Ziel für die Antibiotika-Forschung, denn bislang waren außer LPS keine niedermolekularen Verbindungen bekannt, die daran binden. In vitro wurde neben LptA auch LptD im nanomolaren Bereich gebunden. „Eine fast identische Bindestelle für Thanatin ist auch in LptD vorhanden“, erklärt Robinson dieses Ergebnis. „Damit kann sich ein sehr stabiler Komplex nicht nur zwischen Thanatin und LptA, sondern ebenso zwischen Thanatin und LptD bilden.“

Leitstruktur für neue Wirkstoffe

In sehr seltenen Fällen traten spontan Resistenzen gegen Thanatin auf, die sich auf Mutationen im lptA-Gen zurückführen ließen. Durch die Austausche Q62L und D31N ließ sich die Resistenz auch in einen vorher empfindlichen E. coli-Stamm übertragen. In lptD wurden dagegen bislang keine spontanen Mutationen gefunden. „Bei Thanatin handelt es sich um ein natürlich vorkommendes Antibiotikum, das mehrere Protein-Protein-Wechsel­wirkungen hemmen kann. Dieser Interaktions­mechanismus ist bis jetzt beispiellos“, fasst der Chemiker zusammen. „Die meisten bekannten Antibiotika hemmen einzelne biosyn­thetische Enzyme (z. B. β-Lactame) oder das Ribosom (z. B. Makrolide).“

Als nächstes soll Thanatin als Vorlage für die Suche nach potentiellen klinischen Kandida­ten dienen. „Die Firma Polyphor AG in Allschwil (Schweiz) arbeitet eifrig daran“, so Robinson. „Polyphor ist es schon einmal gelungen, eine neue Klasse von Antibiotika gegen Gram-negative Bakterien zu finden und in klinische Tests zu bringen. Das Antibiotikum Murepavadin kommt gegen P. aeruginosa zum Einsatz.“ Möglicherweise wird die Schutz­hülle der Gram-negativen Bakterien also in Zukunft durch Thanatin zu ihrer Achillesferse.

Larissa Tetsch

Vetterli S. et al. (2018): Thanatin targets the intermembrane protein complex required for lipopolysaccharide transport in Escherichia coli. Science Advances, 4(11):eaau2634



Letzte Änderungen: 10.12.2018