Editorial

„Warum Zeit und Ressourcen verschwenden?“

(13.12.2018) Computer statt Chromatographie – das Karlsruher Biotech-Unternehmen GoSilico setzt auf Simulationen und versteckt hierfür auch gern mal die Mathematik.
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Laborjournal fragt: Warum heißt Ihre Firma GoSilico? Mathematiker, Mitgründer und Mitgeschäftsführer Tobias Hahn antwortet.

Herr Hahn, warum gründet ein Mathematiker eine Biotechfirma?

Tobias Hahn: Da muss ich ein wenig aus­holen. Im Jahr 2012 zog Jürgen Hubbuch mit seiner Gruppe von Jülich nach Karlsruhe und suchte jemanden, der sich mit partiellen Differential-Gleichungen auskennt, um am neuen Standort die Modellierung von Bioprozessen weiterzuentwickeln. Nach Diplomarbeit und Job in numerischer Mathematik wechselte ich dann im gleichen Jahr zur Promotion in diese Gruppe. Gemeinsam mit meinem Kollegen Thiemo Huuk war es mein Ziel, derartige Modellierungen industriell nutzbar zu machen. Bereits während der Promotion kamen Anfragen aus Academia und Industrie, ob wir unsere Software ChromX nicht für Lehre und Forschung öffnen könnten. So haben wir 2016 beschlossen, GoSilico zu gründen. Damals waren wir zu viert, also Thiemo Huuk und ich, unser Doktorvater Jürgen Hubbuch und eine weitere Kollegin aus der Mathematik, Teresa Baumann.

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Es geht um die Simulation von Flüssigchromatographien, also das Auftrennen eines Stoffgemisches über wie auch immer geartete Chromatographie-Säulen. Was genau können Sie denn da simulieren?

Hahn: Unsere Ausgangsproben sind meistens neuartige Pharmazeutika, zum Beispiel Antikörper, Antibody Drug Conjugates oder virusähnliche Partikel. Das sind durchweg große Moleküle. Wie genau die aufgebaut sind, das verrät uns niemand, insbesondere unsere Pharmakunden nicht. Dementsprechend wissen wir auch nicht, wie die Probe mit der funktionalisierten Oberfläche des Säulenmaterials interagiert. Flüssigchromatographien sind im Wesentlichen Ionen­austausch­prozesse oder hydrophobe Interaktionen, die eine Bindungskinetik beschreiben. Wie verhält sich nun unsere Probe, wenn man dem Puffer Salz hinzufügt oder den pH-Wert ändert? Das muss normalerweise in vielen Experimenten getestet werden. Hätten wir eine Proteinstruktur unserer Probe, würden wir mit noch weniger Experimenten auskommen…

…so ganz ohne Experimente geht es also doch nicht. Sie fordern Ihre Kunden aber auf: „Stop Experimenting, GoSilico!“

Hahn: Chromatographie ist das, was wir am besten können und verstehen, aber so ganz ohne Experimente geht‘s tatsächlich noch nicht. Die Anzahl lässt sich allerdings drastisch reduzieren.

Inwiefern? Bitte beschreiben Sie einmal den Weg einer Probe vom Kunden bis zum simulierten Chromatogramm.

Hahn: Die Herstellung von Biopharmazeutika beginnt üblicherweise mit der Expression des Produkts in Bakterien oder Säugerzellen. Nach dem Zellaufschluss hat man eine ziemlich trübe Brühe mit Proteinen der Wirtszelle, Produkt-ähnlichen Verunreinigungen wie zum Beispiel Antikörper-Aggregaten oder -Fragmenten und eben dem Produkt. Stück für Stück versucht man nun, die verschiedenen Verunreinigungen loszuwerden, und das ist nicht so einfach. Denn insbesondere die Produkt-nahen Verunreinigungen verhalten sich ähnlich wie das eigentliche Produkt. Es ist deshalb eine große Herausforderung, den Prozess so einzustellen, dass man eine sinnvolle Ausbeute mit höchstmöglicher Reinheit erhält.

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Mitgeschäftsführer Tobias Hahn. Credit: T. Hahn, GoSilico

Üblicherweise verliere ich jedoch bei der selek­tiven Reinigung viel vom Produkt oder aber ich nehme in Kauf, dass ich eine gute Ausbeute mit sinkender Reinheit habe. Durch statistische und multivariable Versuchsplanung, also Ände­rung von eingesetzter Probenmenge, Salzkonzentration, pH-Wert und so weiter, können das schnell mehrere Hundert Experimente sein. Wir machen das genau anders herum. Wir müssen die Systemdynamik nicht erst erforschen, denn sie steht bereits in unserer Software. Wir müssen nur verstehen, wie ausgeprägt sie für eine neue Probe ist. Dafür benötigen wir etwa drei bis acht Kalibrie­rungsexperi­mente, um eine Bindungskinetik aufzustellen oder Ladung und Hydrophobizität des Proteins festzustellen. Alles andere macht der Computer. Wir können anhand der Modellgleichungen extrapolieren, die Prozessoptimierung mit vielen Freiheitsgraden durchrechnen lassen und so mehrere Zehntausend Simulationen machen.

Damit bescheren Sie der Pharmaindustrie, Ihren Kunden, ein enormes Einsparpotential. Warum – denken Sie – ist vor Ihnen noch niemand auf die doch recht naheliegende Idee gekommen, derartige Prozesse zu simulieren?

Hahn: In der ersten Technologiewelle Ende der 1980er Jahre fehlten einerseits standardi­sierte Prozessentwicklungsprozesse, andererseits Rechnerleistung. Erste Ansätze haben es einfach nicht aus der Academia heraus geschafft. Zudem war die Nutzerfreundlichkeit von Programmen recht bescheiden. Wir sind jetzt so weit, dass unsere Kunden nach drei Tagen Einführung die Software selbständig bedienen können. Das ist machbar, wenn man die ganze Mathematik und Thermodynamik versteckt. [lacht]

Ihr Firmenname findet sich im bereits erwähnten Leitspruch „Stop Experimenting, GoSilico“. Ist die Aufforderung nötig?

Hahn: In der Wirkstoff-Herstellung ist die Verlagerung von Experimenten und Entwick­lungs­prozessen in silico, also in den Computer, inzwischen geläufig. Aber die Pharma­industrie tut sich noch ein wenig schwer damit, im Gegensatz zu zum Beispiel der Chemiebranche. Deshalb war uns diese Aufforderung „Go Silico!“ wichtig. Später kam dann „Stop Experimenting“ dazu, weil es nochmal plakativer ist: Warum Zeit und Res­sourcen verschwenden, wenn‘s doch einfacher geht?

Die Fragen stellte Sigrid März

    Steckbrief GoSilico

  • Gründung: 2016
  • Sitz: Karlsruhe
  • Mitarbeiter: 10, mit einer 11. in Elternzeit
  • Produkt: Chromatographie-Simulationsprogramm ChromX


Letzte Änderungen: 13.12.2018