Editorial

Was lange währt…

(10.01.2019) Schwerfälliges Heimatland, Finanzkrise in den USA, defekte Geräte – ein in Leipzig entwickelter Alzheimer-Bluttest hätte längst auf dem Markt sein können.
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Klassischerweise bekommt man die eindeu­tige Diagnose „Alzheimer“ erst nach dem Tod. Denn nur postmortal kann der Patho­loge Amyloid-Plaques und Neuro­fibrillen, die typischen Anzeichen der Erkrankung, im Gehirngewebe des Patienten nachweisen.

Obwohl es seit einiger Zeit mit der Amyloid-Positronen-Emissions-Tomografie, kurz Amyloid-PET, auch eine Methode zur Früh­diagnostik gibt, ist diese doch sehr teuer und nur in großen medizinischen Zentren verfüg­bar. Wäre es nicht schön, es gäbe einen simplen, nicht-invasiven Test, den man zu Hause oder beim Hausarzt machen könnte? Den könnte es in der Tat bald geben, der Weg dorthin war allerdings lang und verworren.

Editorial
Alzheimer-Lymphozyten sind anders

Alles begann vor gut 20 Jahren als Leipziger Neurowissenschaftler um Thomas Arendt eine außergewöhnliche Beobachtung machten. Lymphozyten von Alzheimer-Patienten verhalten sich anders als die Immunzellen von Gesunden. „Es ist auch in anderen Organen immer wieder berichtet worden, dass nicht-neuronale Zellen bei einer Erkrankung des Zentralen Nervensystems mitreagieren,“ erzählt Arendt im Laborjournal-Gespräch. „Bei der Depression zum Beispiel, da sieht man auch in peripheren Immunzellen Veränderungen.“

Im Falle von Alzheimer reagieren Lymphozyten weniger stark auf einen mitogenen Reiz als Kontrollzellen, die zunächst aktiviert werden und sich dann vermehren. Alzheimer-Lympho­zyten haben mit der Proliferation offenbar ein Problem. Diese Beobachtung passt auch hervorragend zu einer Hypothese, die das Krankheitsbild von Alzheimer zu erklären versucht – die „Cell Cycle Dysregulation“-Hypothese. Diese besagt, dass Neurone, die sich normalerweise nicht mehr teilen und in der G0-Phase der Interphase verharren, plötzlich doch wieder in den Zellzyklus eintreten. Sie durchlaufen den Zyklus jedoch nicht komplett, sondern hängen in der G2-Phase (kurz vor der Kernteilung) fest.

Mechanismus unbekannt

Der Zellzyklus scheint also sowohl in den Neuronen als auch in den Immunzellen von Alzheimer-Patienten gestört zu sein. „Was dem ursächlich zugrunde liegt und welche Mechanismen diese Antwort vermitteln, die wir jetzt einfach phänomenologisch nutzen, ist noch unbekannt“, sagt Arendt. Die Mechanismen des Diagnostik-Tests aus Leipzig, des LymPro-Tests, sind jedoch klar: „Letzten Endes ist es ein Aktivierungstest mit peripheren Blutlymphozyten“, fasst der Wissenschaftler zusammen. „Der Test beruht auf einer Blutentnahme am Patienten, was als nicht-invasiv gilt – jegliche Form der invasiven Früh-Diagnostik ist immer problematisch. Dann werden die Lymphozyten mitogen stimuliert. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, im Augenblick sind wir bei Phytohaemagglutinin. Dadurch werden sie aktiviert und dieses Aktivierungsmuster kann man durch Messung von Oberflächen-Molekülen, die sich am Lymphozyten infolge der Aktivierung ausbilden, quantitativ erfassen.“ Aktuell nutzt der Test das „early activation antigen CD69“ als Marker.

So weit so einfach, komplizierter wird es aber bei der Kommerzialisierung des Tests. Bereits 2004 zeigte sich eine US-Firma an der Weiterentwicklung von LymPro interessiert. „GW Medical hatte die ersten Lizenzen übernommen, ist dann aber in den Wirren der amerikanischen Finanzkrise mehr oder weniger untergegangen“, erinnert sich Arendt. „Die Finanzkrise hat in den USA zu erheblichen Marktturbulenzen geführt, die den Capital Flow so negativ beeinträchtigt haben, dass es nicht mehr zur Produktentwicklung gekommen ist. Dadurch haben wir sehr, sehr viel Zeit verloren. Wir haben mindestens 10 Jahre eingebüßt.“

Verkauf, Verzögerung, Verwirrung

Die Krise traf GW Medical so hart, dass sie 2007 an Provista Life Sciences verkaufen mussten. Das nächste Jahr lief nicht sehr viel besser für den Leipziger Bluttest. Provista war kurz davor, eine klinische Studie des Tests zu beenden, als Mess-Instrumente kaputt gingen und man die Ergebnisse nicht mehr zuverlässig auswerten konnte. Eine NIH-Förderung verfiel durch diese Verzögerung. Außerdem entschied die Firma, dass sie sich zukünftig mehr auf ihr Brustkrebs-Diagnostikum (ebenfalls ein Bluttest) konzentrieren wollte. Die Entwicklung von LymPro wurde in eine Tochterfirma namens MemoryDx ausgelagert.

MemoryDx wiederum verkaufte Rechte an eine weitere US-Firma, Amarantus Bioscience, zu der sie seit April 2014 als Tochter­unternehmen auch gehört. Verwirrt? Es geht noch weiter. Amarantus Biosciences Tochterfirma, Amarantus Diagnostics, ging 2016 mit der Firma Avant Diagnostics zusammen, auch die Lizenzen gingen an Avant über. Erst im letzten Jahr holte sich Amarantus die Rechte von Avant wieder zurück und dazu eine neue Exklusiv-Lizenz direkt von der Uni Leipzig. „Das sind die üblichen Strategien“, sagt Arendt dazu trocken und fügt hinzu, „Amarantus wird das jetzt weiter voranbringen – hoffe ich wenigstens“.

Über die gemeinsame Zusammenarbeit mit der US-Firma ist der Leipziger Wissenschaftler ganz glücklich, „es funktioniert recht gut“, sagt er. In einer laufenden klinischen Studie zusammen mit Amarantus, die auch in Leipzig stattfindet, muss sich der LymPro-Test nun mit anderen Goldstandards in der Alzheimer-Diagnostik wie der Amyloid-PET messen und bewähren. Außerdem soll der Test noch weiter vereinfacht werden. Derzeit läuft er über ein FACS-System, Arendt hat da aber noch andere Ideen. „Wenn man mal ein bisschen Fantasie hat, könnte man sich einen Teststreifen vorstellen, so wie beim Schwangerschaftstest oder beim Diabetes-Test. Das ist jetzt aber noch Science Fiction.“

Kein Interesse aus Deutschland

Der Test in seiner aktuellen Form wird nun also in den USA weiterentwickelt und zur Marktreife gebracht. Gab es denn eigentlich kein Interesse von deutschen Firmen? „Überhaupt nicht“, lacht Arendt und fügt mit ernsterer Stimme hinzu: „Da ist Deutschland sehr schwerfällig“. Mindestens zwei Dinge sprechen jedoch für die USA. Zum einen gibt es dort eine ganze Menge Venture-Kapital, zum anderen gibt es die FDA (Federal Drug Administration). „Wenn die FDA so einen Frühdiagnostik-Test zulassen würde, dann ist er im Prinzip auf der ganzen Welt zugelassen“, meint Arendt. „Alle anderen nationalen Behörden orientieren sich an diesen Entscheidungen. Die FDA ist sozusagen das Tor zum Weltmarkt.“

Und da will auch Amarantus hin, denn das Potential ist enorm. Die Firma glaubt, dass sich mit einem Alzheimer-Bluttest wie LymPro allein in den USA mindestens 500 Millionen Dollar pro Jahr verdienen lassen. Deshalb will man auch „first to market“ sein, also die konkurrenzlosen ersten Anbieter.

Vielleicht geht auch deshalb jetzt alles schneller als gedacht. Im April hat Amarantus jedenfalls einen neuen Chief Medical Advisor benannt, der sich hauptsächlich darum kümmert, LymPro auf den „bestmöglichen Entwicklungspfad“ zu bringen. Und im Dezember ging das Unternehmen ein Joint-Venture mit Todos Medical ein, einer israelischen Firma, die sich auf Bluttest-Diagnostik von Krebs spezialisiert hat.

Immer mal wieder hat Arendt auch darüber nachgedacht, eine eigene Firma zu gründen und „sein Baby“, den LymPro-Test, selbst zu vermarkten. Dann aber wäre die Wissenschaft zu kurz gekommen – und es gibt es doch noch so viel zu erforschen am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung in Leipzig, dessen Direktor Arendt ist. „Wir sind Wissenschaftler letzten Endes, wir wollen natürlich die Mechanismen besser verstehen. Warum reagieren die Lymphozyten eigentlich anders, hat das eine Konsequenz für das Immun­system? Gibt‘s da nen Crosstalk mit ZNS-Zellen? Was steckt dahinter? Und in diese Richtung werden wir auch weiter arbeiten.“

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 10.01.2019