Editorial

Wunderbare Hirn-Vermehrung

(28.01.2019) Was macht den Menschen zum Men­schen? Vielleicht ein noch recht unbe­kanntes Gen namens ARHGAP11B. In Frettchen kurbelt es zumindest die Neuronen-Produktion an.
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Warum können wir sprechen, fühlen, planen? Die Antwort auf diese Frage ist die Neurowissenschaft der Gesellschaft noch schuldig. Aber sie arbeitet daran. Zum Beispiel am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden. Dort versucht Wieland Huttner mit seiner Gruppe aufzuklären, wie es zu der enormen Vergrößerung des menschlichen Neocortex, dem Sitz der kognitiven Fähigkeiten des Menschen, im Laufe der Evolution gekommen ist.

Vor gut drei Jahren brachte eine Transkriptom-Analyse Huttner und Co. auf eine womög­lich richtige Fährte (Science, 347(6229):1465-70). Sie identifizierten ein Gen, das es nur beim Menschen gibt, und das während der Entwicklung hauptsächlich von einem Subtyp neuraler Vorläuferzellen, den basalen Radialglia (bRGs), exprimiert wird. Interessanter­weise sind eben diese bRGs nur in Arten mit einem vergrößerten Neocortex besonders teilungs- und wachstumsfreudig.

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Nach den Schimpansen, aber vor den Neandertalern

Bekannt ist das gefundene Gen unter den Namen ARHGAP11B oder Rho GTPase Activating Protein 11B. Es befindet sich auf Chromosom 15 und scheint evolutions­geschichtlich aus einer partiellen Duplikation des ARHGAP11A-Gens hervorgegangen zu sein und zwar, nachdem sich die menschliche von der Schimpansen-Linie getrennt hatte. Jedoch noch vor der Abtrennung der Neandertaler und Denisovaner, die demnach ebenfalls ein ARHGAP11B-Gen besitzen. Das zumindest fand Huttner zusammen mit dem Neandertaler-Experten Svante Pääbo heraus.

Ein Recherche-Blick in die Pubmed Gene Database stiftet allerdings etwas Verwirrung. So sollen orthologe Gene auch in etwas entfernteren Verwandten von uns vorkommen, nämlich in einigen Fischarten wie dem Komoren-Quastenflosser (Latimeria chalumnae), dem atlantischen Hering (Clupea harengus) oder dem Kugelfisch (Takifugu rubripes). Auf Nachfrage klärt Huttner jedoch auf: „Das sind keine echten Orthologe von ARHGAP11B. Bei einigen Fischen wurde das ARHGAP11A-Gen verdoppelt, außerdem kam es zu fehlerhaften Annotationen. In keinem Fall ist ein Fisch-ARHGAP11B ein echtes ARHGAP11B, denn keine der Gen-Verdoppelungen beim Fisch enthält die Spleißstellen-Mutation, die beim Menschen zu einer 47-Aminosäure-langen C-terminalen Sequenz führt“. Insgesamt, so fanden Huttner und Co. heraus, ist das ARHGAP11B-Protein eine verkürzte (truncated) Version des ARHGAP11A-Proteins, bestückt mit eben diesem neuen, einzigartigen C-Terminus. Was aber macht es im Menschen?

In Falten gelegt

Dies testeten Huttner und sein Team vor drei Jahren an Maus-Embryonen, denen sie das menschliche Gen per in-utero-Elektroporation verabreicht hatten. Und tatsächlich beobachteten die Dresdner Forscher, wie deren Gehirn eine erstaunliche Entwicklung nahm. So zählten sie mehr neurale Vorläuferzellen und damit auch mehr differenzierte Neurone. Gelegentlich führte dieses Mengenwachstum dazu, dass sich die normalerweise glatte Oberfläche des Mäusehirns in Falten zu legen begann – wie beim Menschen.

Um das Geheimnis der Neocortex-Vergrößerung endgültig lösen zu können, sind Mäuse allerdings nicht das beste Tiermodell, denn sie besitzen nur wenige basale Radialglia. Ein neues Modelltier musste also her. Huttner und Co. entschieden sich für Frettchen, denn diese Tiere haben bereits einen gefalteten Cortex und einige basale Radialglia mehr.

Wieder über in-utero-Elektroporation, die Erstautor Nereo Kalebic durchführte, brachte das Dresdner Team ARHGAP11B in Frettchen-Embryos ein und schaute sich an, was am und im Gehirn der Tiere passierte. Äußerlich war das nicht viel, an der Faltung hatte sich nichts geändert. Auf Zellebene aber schon. Wie schon im Maus-Modell hatte die Zahl der neuralen Vorläuferzellen, vor allem der basalen Radialglia, deutlich zugenommen – um das Drei- bis Fünffache. Dadurch verlängerte sich die neurogene Periode, also das Zeitfenster, in dem sich aus den Vorläuferzellen Neurone bilden. Als Folge waren am Ende natürlich auch deutlich mehr Neurone entstanden, die sich vor allem in den obersten Schichten des Neocortex angesammelt hatten.

Huttner und sein Team stellten ebenso fest, dass unter den neu gebildeten Neuronen besonders viele Satb2-positive waren. Satb2 ist ein DNA-bindendes Protein, dem eine wichtige Rolle bei der Herausbildung des Corpus callosums zugesprochen wird. Dieses Fasersystem, auch Balken genannt, verbindet beide Hirnhälften miteinander und macht höhere kognitive Leistungen erst möglich.

Vom Karnivoren zum Primaten

Das Einschleusen des menschlichen ARHGAP11B-Gens hatte eine weitere erstaunliche Auswirkung. Bei Fleischfressern, zu denen das Frettchen ja gehört, führen mehr Neurone zu einer Vergrößerung des Cortex – die Neuronen-Dichte nimmt ab. Im Gegenteil dazu lösen Primaten das Platzproblem erst einmal, indem sie die Neurone einfach dichter packen. Letzteres Szenario – mehr Neurone, größere Dichte – hatten die Dresdner auch bei ihren Frettchen beobachtet. Sie hatten das Fleischfresser-Hirn also sozusagen „primatisiert“.

Interessant wäre nun zu erfahren, ob sich die „wunderbare Neuronen-Vermehrung“ auch auf die kognitiven Fähigkeiten der Raubmarder-Art ausgewirkt hat. „Um diese Frage eindeutig beantworten zu können, müsste man eine Frettchen-Linie etablieren, die ARHGAP11B stabil exprimiert. Das dürfte eine Weile dauern...“, meint Huttner dazu. Wenn es gelingt und die Frettchen tatsächlich smarter sind, „könnten solche Studien neue Einblicke in die menschliche Kognition ermöglichen“, ergänzt der MPI-CBG-Direktor. Und damit wäre die Neurowissenschaft schon einen großen Schritt näher an des Rätsels Lösung, warum wir so sind, wie wir sind.

Kathleen Gransalke

Kalebic N. et al. (2018): Human-specific ARHGAP11B induces hallmarks of neocortical expansion in developing ferret neocortex. eLife 2018;7:e41241



Letzte Änderungen: 28.01.2019