Editorial

Zur RNA-Korrektur, bitte!

(26.02.2019) Am Neckar planen und konstruieren Forscher neue Werkzeuge für die gezielte Editierung von mRNA-Molekülen – aus biologischen Bausteinen und mit einem Schuss Chemie.
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Wenn Thorsten Stafforst (im grünen T-Shirt) und sein Team RNA mal RNA sein lassen,...

Alle Organismen, von Archaeen über Pflanzen bis zu den Menschen, editieren RNA-Moleküle, allerdings in unterschied­lichem Maße. Menschen editieren etwa ein Prozent ihrer RNA-Moleküle, der Tintenfisch und seine achtarmigen Verwandten zehnmal so viel (Cell, 169: 191-202).

RNA-Editierung kann in mRNAs zur Änderung von Codons und damit zum Austausch von Aminosäuren in Proteinen führen. Sie kann miRNA-Erkennungs­sequenzen abändern und das Spleißen von mRNA-Molekülen beeinflussen. Bei Menschen ist die Desaminierung von Adenosin zu Inosin die vorherrschende Editierungsvariante. Diese Aufgabe bewältigen die Enzyme ADAR1 und ADAR2 (Adenosine Deaminases Acting on RNA). An über 16.000 RNA-Sequenzen sind sie im menschlichen Transkriptom zu Gange (Sci Rep, 8: 12069). Am eifrigsten arbeiten sie an den Transkripten von Transposons. Man glaubt, dass dies dem Schutz vor Autoimmunität dient (Nat Rev Gen, 19:770-88).

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Neueren Studien zufolge ist die Editierung abhängig vom Gewebe, dem Entwicklungs­zustand und von Erkrankungen. Noch weiß man wenig darüber, wann und warum welches Molekül editiert wird. Aber eines steht fest: Der Mechanismus ist lebensnotwendig. Schaltet man nämlich die für die Reaktion nötigen Desaminasen ab, stirbt die Maus.

Thorsten Stafforst beschäftigt sich schon länger mit der Frage, ob man diesen biologischen Mechanismus nicht für die Forschung und möglicherweise sogar für die Medizin nutzen kann. „Davon war ich fest überzeugt“, sagt der Heisenberg-Professor am Interfakultären Institut für Biochemie der Universität Tübingen. „Mein Plan war, menschliche ADAR-Enzyme in steuerbare RNA-Editierungsmaschinen umzuwandeln.“

„Lange hat‘s keiner verstanden“

Aber wie sollte die Steuerung funktionieren? Im echten Leben einer Zelle binden ADAR-Enzyme mithilfe kleiner Domänen an kurze Doppelstrangsequenzen von RNAs (dsRNA). Diese Bindung hängt im Wesentlichen – vielleicht sogar nur – von der Konformation der RNA ab. Wie also will man damit gezielt eine ausgewählte Sequenz in nur einer bestimm­ten Molekülsorte anvisieren und manipulieren? Als Chemiker sei Stafforst gewohnt, sich nicht mit den biologischen Gegebenheiten zufrieden zu geben. Er verändere oder kombiniere vielmehr Moleküle derart, dass Werkzeuge mit neuen Eigenschaften resultieren.

Die Domänen der ADAR-Enzyme, die für die Erkennung der dsRNA nötig sind, ersetzten die Forscher durch SNAP-Tags, die ihrerseits kurze guideRNAs binden können. Die guideRNAs erfüllen in dieser Situation zwei Funktionen: Erstens identifizieren und binden sie über komplementäre Basenpaarung an das Substrat (die Ziel-RNA), und zweitens bilden sie damit die für die Funktion der Desaminase nötigen kurzen Abschnitte Doppelstrang-RNA.

Im Test erfüllte das Werkzeug aus der Retorte seinen Job tadellos. „Die Leichtigkeit, mit der die drei untersuchten Codons (Stop, Tyr und Ser) repariert wurden, die hohe Selek­tivität und das rationale Design deuten darauf hin, dass unsere Strategie zur gesteuerten mRNA-Editierung signifikantes Potenzial für medizinische Anwendungen oder als Werk­zeug für Grundlagenforschung hat“, schrieben Stafforst und sein damaliger – und in Tübingen erster – Bachelorstudent Marius Schneider in ihrem ersten Paper zum Thema (Angew Chem Int Ed, 51: 11166-9).

„Das war der Proof of Concept: Wir haben gezeigt, dass man diese Desaminasen mit guideRNAs steuern und für gezieltes RNA-Editieren verwenden kann“, sagt Stafforst. Aus seiner Stimme kann man schon ein bisschen Stolz heraushören. „Allerdings. Wir waren die Ersten, die das hinbekommen haben. Aber ich musste immer wieder erklären, was wir hier eigentlich machen. Das hat lange keiner so richtig verstanden.“


Prinzip des RNA-Editings „made in Tübingen“. Illustr.: Paul Vogel

Insbesondere musste er erklären, warum er RNA editieren will, wo es doch so gut funktionierende DNA-Editiersysteme gibt. Stafforst: „Es ist wirklich gut, CRISPR und RNA-Editing zu haben. Ich verstehe CRISPR-Editing wie eine chirurgische Operation an der offenen DNA, das führt zu irreversiblen Veränderungen der Nukleotidsequenz. RNA-Editierung dagegen funktioniert wie eine Medizin: Man kann sie dosieren und der Effekt ist reversibel. Somit kann man unerwünschte Begleiterscheinungen vermindern oder ganz vermeiden.“

Mit gezielter RNA-Editierung lassen sich beispielsweise Veränderungen in Zellen und Organismen untersuchen, die durch vollständiges und dauerhaftes Ausschalten zum Tod führen würden. Oder man kann analysieren, ob ein CRISPR-Knock-out den gleichen oder einen anderen Phänotyp hervorruft wie ein Knock-down mit RNA-Editierung.

Und schließlich bietet sich RNA-Editierung für die Therapie von solchen Erkrankungen an, bei denen die Wiederherstellung schon geringer Mengen der korrekten RNA-Moleküle ausreichen würde, um den pathologischen Phänotyp zu beheben oder wenigstens deutlich zu mildern. Die Gutachter vom European Research Council jedenfalls begriffen sein Konzept ziemlich schnell und gaben ihm 2014 eine stattliche Förderung. Seither stehen ihm auch in Tübingen viele Türen offen.

Inzwischen haben andere Arbeitsgruppen weitere Werkzeuge zur gesteuerten RNA-Editierung vorgestellt und die Stafforst-Gruppe hat die ihren hinsichtlich Effizienz und Fehleranfälligkeit optimiert. Damit befasste sich intensiv Paul Vogel im Rahmen seiner Doktorarbeit. Er und seine Kollegen verglichen unter anderem vier Editasen: ADAR1 und ADAR2 sowie deren hyperaktive Varianten. Jedes der dafür kodierenden Gene wurde mit SNAP-Tags versehen und als jeweils eine Kopie stabil im Genom einer Zelllinie integriert. In diese Linien transfizierten die Forscher dann 22 Nukleotide lange guideRNAs für verschiedene Testgene (Nature Methods,15: 535-8). Das Ergebnis: Mit allen Varianten ließen sich Stellen in den unterschiedlichen Abschnitten der RNA editieren. Erstaunlich waren nicht nur die Ausbeuten, sondern auch die Effizienz, mit der mehrere Stellen gleichzeitig editiert werden konnten, wenn mehrere guideRNAs transfiziert wurden.

Effizienz versus Spezifität

Deutliche Unterschiede sahen die Forscher allerdings bei den Spezifitäten der Enzyme. Die aktiveren ADAR-Varianten editierten zwar viel effizienter als die gewöhnlichen Formen. Leider wandelten sie aber auch kräftig Adenosine außerhalb ihrer eigentlichen Ziele zu Inosinen um. „Die SNAP-ADAR1-Variante hatte das beste Verhältnis von Effizienz zu Spezifität“, resümiert Stafforst. Deshalb wählten sie dieses Konstrukt, um die Editierung von zwei mRNAs zu testen, die für die Synthese der krankheitsrelevanten Signalproteine KRAS und STAT1 nötig sind.

Mit der sehr präzisen, aber weniger effizienten ADAR1 erreichten sie Ausbeuten zwischen 18 und 31 Prozent, die aktivierten Varianten lieferten bis zu knapp 80 Prozent. Was Stafforst dabei wichtig ist: In jedem Fall arbeiteten die Konstrukte made in Tübingen deutlich effizienter und weniger fehlerhaft als die vielbeachtete Cas13b-ADAR der Konkurrenz (Science, 358: 1019-27). Stafforst ist überzeugt, dass die SNAP-ADAR-Editierung besser funktioniert als die mit Cas. Warum? „CRISPR ist im Vergleich zum SNAP-Tag ein riesiger bakterieller Molekülkomplex mit Funktionen, die für die Editierung vermutlich gar nicht wesentlich sind“, erklärt der Biochemiker.

Fast alle Untersuchungen wurden bisher an Zellen durchgeführt, die gentechnisch veränderte Desaminasen überexprimierten. Unphysiologisch große Enzymmengen führten dazu, dass nicht nur die Ziel-mRNAs editiert wurden, sondern auch unerwünschte Nebenprodukte entstanden. Könnte man, um die Fehler zu reduzieren, nicht die zelleigenen, endogenen ADAR-Enzyme verwenden? Das wäre auch im Hinblick auf eine spätere therapeutische Anwendung ziemlich praktisch. Stafforst: „Im Prinzip geht das natürlich schon. Aber weil die Wildtyp-ADAR-Gene keine SNAP-Tags enthalten, müsste man die guideRNAs so verändern, dass sie in trans die Enzyme erkennen.“

Jacqueline Wettengel und Philipp Reautschnig, damals Doktoranden bei Stafforst, nahmen sich federführend dieser Idee an. Ihnen half die Biologie. Beim Menschen nämlich wird in Neuronen die mRNA eines Glutamat-Rezeptors sehr spezifisch von dem Enzym ADAR2 editiert. Und zwar an einer Position, an der sich ein Stückchen eines Introns zurück auf ein Exon faltet. Das wird von den Doppelstrang-RNA-Bindedomänen des Enzyms erkannt. Die Forscher verbanden diese Intron/Exon-Sequenz mit einer guideRNA. Als zu korrigie­rendes Ziel wählten sie ein irreguläres Stop-Codon in der mRNA des PINK1-Gens. Diese Mutation ist mitverantwortlich für eine früh ausbrechende, erbliche Form der Parkinson-Krankheit. Das Experiment gelang: Die Forscher konnten den für PINK1-Mutationen typischen Phänotyp, die Zerstörung von Mitochondrien, zurückdrängen (Nucleic Acids Res, 45: 2797-808).

Die Tatsache, dass man für das „Re-Kodieren“ genetischer Information nur noch eine passende guideRNA benötige, empfehle diese Technologie für Anwendungen in der Grundlagenforschung und auch zur Therapie erblicher Erkrankungen, erklärt Stafforst. Wirklich? In diesem Experiment lag die Editierquote des Stopp-Codons bei gerade mal zehn Prozent. Stafforst: „Das macht nichts. Zur Therapie einer genetisch verursachten Erkrankung muss man nicht unbedingt alle fehlerhaften mRNAs korrigieren. Weil mitunter schon wenige Prozent ausreichen, um genügend funktionales Protein zu bilden, sodass die Symptome gemildert werden oder verschwinden. In der verwendeten Zelllinie jedenfalls waren die zehn Prozent ausreichend.“

Antisense statt Guide

Und es geht ja auch noch besser. Mit dem RESTORE genannten System konnten die Forscher in einer Zelllinie mutierte mRNA-Moleküle des alpha1-Antitrypsins korrigieren: Sie erreichten damit fast 30 Prozent der Enzymmenge einer gesunden Zelle. Der durch die sogenannte PiZZ-Mutation bedingte Ausfall des Enzyms ist nicht selten und führt zu erheblichen Schäden an Leber und Lunge – insofern ist das Experiment interessant für die Entwicklung pharmazeutischer und therapeutischer Anwendungen.

RESTORE nutzt statt einer guideRNA kürzere Antisense-Oligonukleotide (ASO). Diese verknüpften die Forscher mit ADAR-bindenden Sequenzen und transfizierten sie in Krebszelllinien sowie primäre menschliche Zellen. Die ASO-Konstrukte zeigten sich den guideRNA-Varianten klar überlegen: Nicht nur erzielten sie bessere Ausbeuten, auch hatten sie fast keine Off-Target-Effekte und störten die natürliche Editierung nicht, berichten Stafforsts Doktorand Tobias Merkle et al. in der jüngsten Ausgabe von Nature Biotechnol (37: 133-8). Damit sei RESTORE eine neuartige, attraktive Option für die Testung und Entwicklung von Medikamenten.

Karin Hollricher



Letzte Änderungen: 26.02.2019