Editorial

Zwei-Komponenten-Plattwurm-Kleber

(27.02.2019) Die Adhäsionsproteine, die Plattwürmer benutzen, um sich in Salzwasser fort­zubewegen, könnten als biologischer Klebstoff interessant sein.
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Zu den laborbekannten Vertretern der Plattwürmer gehört Macrostomum lignano. Peter Ladurners Gruppe von der Universität Innsbruck ist diesem kleinen Bewegungs­künstler schon länger auf der Spur und veröffentlichte bereits 2014 die detaillierte Morphologie seines Fortbewegungsapparats (Frontiers in Zoology, 11:12). Inzwischen wissen die Tiroler auch, welche Moleküle und Tricks den Tierchen das Schreiten durch unsicheres Terrain ermöglichen.

Spiderman-ähnlich bewegt sich Macrostomum lignano durch alternierendes Ansaugen und Loslösen relevanter Körperzonen fort. Der Wurm legt ein flottes Tempo vor und löst sich dabei mehrere Male pro Minute vom Untergrund und bindet wieder daran.

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Fortbewegung mit Dreier-Gespann

An seinem bauchseitigen Ende sitzen circa hundert hufeisenförmig angeordnete spezielle adhäsive Organe, die aus drei Zellen bestehen: einer Mikrovilli-verkleideten umfunktio­nierten Epidermiszelle (anchor cell) und davon abgehend zwei Typen von Drüsenzellen; eine zum Festkleben, die andere zum wieder Loslösen (adhesive gland cell, releasing gland cell). Diese Dreier-Gespanne sind äußerlich als Papillen erkennbar. Sie arbeiten nur, wenn die Chemie stimmt. Aber wie sieht diese Chemie aus und welche Adhäsionsproteine sind für das Anheften und Ablösen verantwortlich?

In früheren Transkriptom-Studien sowie in situ-Hybridisierungs-Screenings war Ladurners Team auf zwei heiße Adhäsionsprotein-Kandidaten gestoßen, deren mRNAs so lang sind, dass Teile davon ursprünglich als unabhängige Transkripte angesehen worden waren: Mlig-ap1 (AP1) mit über 5.000 Aminosäuren sowie Mlig-ap2 (AP2), das sogar knapp 15.000 Aminosäuren enthält. Trotz der Länge gibt es kaum Homologien zu bekannten Sequenzen, abgesehen von kürzeren Domänen, insbesondere einer Lektin-Binde- sowie einer Trypsin-Inhibitor-Domäne.

Proteine am Wurmende

AP1 ist vollgepackt mit Lysin- und Argininresten, was zu einer starken positiven Ladung führt (IP>14). Ziemlich repetitiv mit hundertfach wiederholten Peptidmotiven ist die AP2-Sequenz. Dennoch kommen Transkription und Translation nicht ins Stottern, wie in situ-Hybridisierungen zeigten. Interessant ist, dass sowohl die AP1- und AP2-mRNA als auch die translatierten Adhäsionsproteine nur in den adhesive gland cells der Papillen am Wurmende lokalisiert sind.

Das Team stellte spezifische Antikörper gegen verschiedene AP1- sowie AP2-Epitope her und verfolgte damit die Spur der zwei Proteine. Auf ihrem Weg hinterlassen die Würmer durch das Anheften und Ablösen ihrer Papillen Fußabdrücke, in Form sekretierten Mate­rials. In diesem Sekret stecken AP1 und AP2.

Offenbar wirken die beiden Proteine wie ein Zwei-Komponenten-Kleber, denn RNAi-Silencing von AP1 oder AP2 zerstörte die Fähigkeit der Würmchen, sich anzuhaften und fortzubewegen. Amputiert man ein Wildtyp- oder RNAi-Exemplar, so wächst der Schwanz in wenigen Tagen nach und der Wildtyp nimmt die Kleber-Produktion wieder auf.

Ähnlich einer TÜV-Prüfung unterwarfen die Forscher M. lignano einem Härtetest. Durch ständiges Auf- und Abpipettieren oder im Ganztagsprogramm auf dem Horizontal-Schüttler mussten die Tiere ihre Fitness beweisen. Ermüdungserscheinungen bezüglich Haftvermögen und Kleber-Produktion zeigten sie dabei kaum, nicht einmal unter zusätzlichem Stress (pH 4 bis 10, Salzwasser, 10 bis 32°C).

Klebt auf Glas, Pastik und Holz

Mithilfe ihres „Universalklebers“ können sich die Plattwürmer auf Glas, Plastik, Holz, Stein, Metall und ähnlichem Material fortbewegen. Einzig auf neutralen, nicht-geladenen hydrier­ten Oberflächen, die Ladurners Mitarbeiter durch Ethylenglykol imitierten, kamen sie nicht mehr weiter. Sie schaffen es nicht, das Wasser zu verdrängen, um in Kontakt mit der Ober­fläche zu kommen. Das ist, als würde man versuchen, auf dem Boden des Tiefschwimmerbeckens entlangzulaufen.

Mit Muskelkraft hat die Bewegung nichts zu tun: Verabreichte Pharmaka entspannten zwar die Muskeln der Plattwürmer, hinderten ihre Papillen aber nicht daran, die Adhäsions­proteine zu sekretieren. Zuständig für das Anhaften und Loslösen scheinen vielmehr fein abgestimmte Ladungsinteraktionen zu sein. Zumindest blockierte zugegebenes Heparin das Anhaften – vermutlich durch Binden seiner vielen negativen Gruppen an die positiven Gruppen von AP1. Dagegen hinderte die Zugabe positiv geladener Moleküle wie Lysin, Arginin oder Lys-Arg-Peptide die Papillen daran, sich wieder abzulösen.

Auch wenn die natürlichen Ladungsträger und Kontrolleure des Klebemechanismus noch nicht genau bekannt sind, ruft der strapazier­fähige Biokleber schon jetzt nach biomedizinischen Anwendungen. Er ist nicht-toxisch, biologisch abbaubar und klebt auch in wässriger Umgebung – ein perfektes biologisches Klebematerial (nicht nur) für Chirurgen.

Andrea Pitzschke

Wunderer J. et al. (2019): A mechanism for temporary bioadhesion. PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1814230116



Letzte Änderungen: 27.02.2019