Editorial

Flaggschiff ahoi!

(04.03.2019) Wer tritt in die Fußstapfen des Human Brain Projects und erhält eine Milliarde Euro von der EU? Sechs Projekte sind noch im Rennen um den FET Flagship-Pokal.
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In einem Flottenverband ist das Flaggschiff das Schiff, das den Oberbefehlshaber (Admiral) und seine Flagge trägt. Es ist also das „Vorzeigeschiff“ und deshalb wird der einprägsame Begriff auch längst von Unternehmen verwendet, wenn sie von ihrem Vorzeigeprodukt sprechen. Kein Wunder, dass auch die Europäische Union auf den Ausdruck zurückgreift, um ihre Aushängeschilder in der Forschung zu benennen: die Flagship Projects.

Dabei handelt es sich um interdisziplinäre Forschungsinitiativen, die von der EU jeweils mit bis zu einer Milliarde Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren gefördert werden. Die ersten Flaggschiffe liefen im Jahre 2013 unter dem Future and Emerging Technologies (FET)-Programm vom Stapel, das wiederum ein Teil von Horizon 2020 ist – dem größten Forschungsförderprogramm der EU. Bei so vielen Superlativen sind auch die Ziele der FET Flagships hochgesteckt. So sollen sie bedeutsame wissenschaftliche und technische Herausforderungen angehen und den sozialen und ökonomischen Wohlstand in Europa fördern.

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Ruhiges Fahrwasser

Dass das nicht immer gleich so klappt, zeigte die Kontroverse um das Human Brain Project, das zu den ersten drei Flaggschiffen gehörte und nach erheblicher Kritik am Führungsstil nach nur 16 Monaten komplett umstrukturiert werden musste. Die Vorwürfe eines zu autokratischen Führungsstils erreichten ein großes mediales Echo, aber nach einer Umstellung des Managements erreichte das Human Brain Project inzwischen wieder ruhigeres Fahrwasser. Auf jeden Fall wird den bereits geförderten Flaggschiffen ein exzellentes wissenschaftliches Niveau zugestanden.

Jetzt ist es also wieder soweit: Die EU hat die nächste Förderrunde für Flaggschiffe ausgerufen. Von insgesamt 33 Projekten aus ganz Europa, wurde mit 17 etwa die Hälfte für die zweite Antragsrunde ausgewählt. Aus dieser schafften es wiederum sechs auf die Shortlist für die entscheidende letzte Runde. Sie dürfen sich nun über eine Million Euro freuen und damit einen detaillierten Antrag ausarbeiten. Bis zu drei der Finalisten haben ab 2021 die Chance auf die Spitzenförderung. Unter den sechs Projekten auf der Shortlist befinden sich zwei mit einer biowissenschaftlichen Fragestellung: LifeTime und RESTORE. Beide gehören zum Themenkomplex „Gesundheitsvorsorge“ und werden von Deutschland aus koordiniert.

Das Leben verstehen

LifeTime möchte die moleku­lare Zusammensetzung menschlicher Zellen im Zeitverlauf verfolgen, um zu verstehen, wie sich Zellen entwickeln, altern, krank werden und sich – wenn möglich – heilen lassen. Dafür sollen experimentelle Modellsysteme, insbesondere Organoide, zum Einsatz kommen. Die an diesen Mini-Organen gewonnenen Daten werden dann mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen ausgewertet und bilden die Basis einer Plattform für die personalisierte Medizin. Am Ende sollen Ärzte den mole­kularen Status im Gewebe eines Patienten in Echtzeit verfolgen und so Krankheiten vor dem Auftreten von Symptomen diagnostizieren und auf den jeweiligen Patienten zuge­schnittene Therapien entwickeln können.

Koordiniert wird das Projekt von Nikolaus Rajewsky am Max Delbrück Centrum in Berlin und Geneviève Almouzni vom Institut Curie in Paris. Über 50 Forschungszentren sind insgesamt am Projekt beteiligt. Dabei kommen Experten aus den verschiedensten Fachbereichen zusammen: Einzelzell-Biologen, Computerwissenschaftler, Mathematiker, Biotechnologen, Diagnostiker, Kliniker, Pathologen, Ärzte und Spezialisten für bildgebende Verfahren.

Chancen wiederherstellen

Die europaweite Forschungsinitiative RESTORE steht unter der Leitung des BIH Centrums für Regenerative Therapien in Berlin und Hans-Dieter Volk. RESTORE soll Europa eine Führungsrolle sichern bei sogenannten Advanced Therapies – Therapien also, die auf Zell- und Gentherapie­produkten, Gewebezube­reitungen oder Kombinationen dieser Zuberei­tungen mit Biomaterialien basieren. Das Projekt zielt darauf ab, diese Therapien möglichst schnell in die Klinik zu überführen, um Krankheiten wie Krebs und Diabetes zu heilen.

Über 250 Experten aus Wissenschaft und Industrie sowie Vertreter von gemeinnützigen Organisationen und Patientenverbänden aus ganz Europa und weiteren Ländern haben ihre Unterstützung für RESTORE zugesagt. Aus der deutschen Biotech-Industrie sind beispielsweise Miltenyi Biotec (Bergisch-Gladbach) und TissUse (Berlin) dabei.

Verlierer der zweiten Antragsrunde

Zwei weitere Projekte aus der Gesundheitsvorsorge – Health EU und DigiTwins – konnten sich dagegen in der zweiten Antragsrunde nicht durchsetzen. Health EU mit einem schweizerisch-niederländischen Führungsteam hatte die Vision, einen medizinischen Avatar für jeden EU-Bürger zu erstellen. Sehr ähnlich klingt der Ansatz von DigiTwins, Digitale Zwillinge zu erschaffen, also im Wesentlichen ein Computermodell, das die Prozesse im menschlichen Organismus so nachbildet, dass Behandlungen oder präventive Maßnahmen ausprobiert werden können, ohne den Patienten einem Risiko auszusetzen. Geführt wird das Projekt ebenfalls von der Charité und dem BIH in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Kommissariat für Atomenergie und alternative Energien (CEA) in Frankreich.

Wer auch immer sich am Ende durchsetzt: Änderungen sind zu erwarten, denn Horizon 2020 wird 2021 von Horizon Europe abgelöst. Was das für die Flaggschiffe bedeutet, ist noch offen, aber zumindest soll wohl das Budget der Projekte besser kontrolliert werden, um „kostspielige Fehler zu vermeiden“ wie ein Sprecher des EU-Parlaments verlauten ließ. Insgesamt soll Horizon Europe sich auf messbare Ziele konzentrieren, die in absehbarer Zeit einen spürbaren Einfluss auf die Gesellschaft haben sollen. Drum herum sollen sich Cluster von Projekten anordnen. Wenn die Flagship Projects Glück haben, können sie zu den wesentlichen Pfeilern dieser Vision werden.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 04.03.2019