Editorial

Das Geschäft mit dem Geschäft

(04.07.2019) Das Darm-Mikrobiom hat großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Wer wissen will, welche Bakterien sich in seinem Inneren tummeln, kontaktiert das Start-up Biomes.
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Der Darm ist eines der wichtigsten Organe, wenn es um das Wohlbefinden geht. Gerät er beziehungsweise seine Bewohner aus dem Gleichgewicht, bekommen wir das schnell zu spüren. Verdauungsstörungen wie Reizdarm, aber auch Gewichtsprobleme, Immunschwäche und sogar Depressionen können die Folge sein. Damit es gar nicht erst so weit kommt, wäre es gut, wenn man Bescheid wüsste, wie es um die eigenen Darmbewohner bestellt ist.

Das geht zum Beispiel über eine klassische Darmflora-Analyse, bei der die Bakterien aus einer Stuhlprobe zuerst kultiviert und dann identifiziert werden. Der Haken: viele Darm-Bakterien sind anaerob, sie sterben also wenn sie bei der Kultivierung mit Sauerstoff in Berührung kommen. Herkömmliche Analysemethoden erfassen daher gerade mal 15 % der eigentlich im Darm lebenden Organismen. Kein sehr aussagekräftiges Ergebnis.

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Ohne Kultur

Doch es geht besser. Wissenschaftler der Technischen Hochschule Wildau – allen voran Paul Hammer, Gründer und Geschäftsführer des Biotech-Start-ups Biomes NGS GmbH – haben an einer Lösung gearbeitet. Sie entwickelten ein Verfahren, mit dem sie nahezu alle bekannten Darm-Bakterien identifizieren können – ganz ohne Kultivierung mittels Hoch­durchsatz-Sequenzierung (Next-Generation-Sequencing, NGS). Doch damit nicht genug, die Forscher haben es außerdem geschafft, den Test so zu optimieren, dass er für jeden zugänglich ist. Das Ergebnis: INTEST.pro, das Mikrobiom-Analyse-Kit für zuhause, das seit Anfang letzten Jahres auf dem Markt ist.

Der bisherige Erfolg gibt ihnen recht. Mittlerweile beschäftigt das erst im November 2017 ins Leben gerufene Start-up 25 Mitarbeiter plus einige Praktikanten und Werkstudenten. Und Biomes ist weiter auf Expansionskurs. Seit Mai ist INTEST.pro auf Englisch, Spanisch und Französisch erhältlich und kann aus den meisten EU-Ländern sowie der Schweiz und Norwegen bestellt werden. Zudem soll demnächst eine Zweigstelle in Mexiko für den lateinamerikanischen Markt eröffnet werden.

Wie aber funktioniert der Selbsttest genau? Das Test-Kit beinhaltet ein Probengefäß mit einer DNA-konservierenden Lösung, ein steri­les Wattestäbchen, einen frankierten Rückumschlag und eine ausführliche Anleitung. Die Auswertung findet natürlich bei Biomes statt. Dort wird zunächst DNA aus der Stuhlprobe extrahiert, per NGS in digitale DNA umgewandelt und anschließend ein individuelles Mikrobiom-Profil erstellt, indem die „eigene“ Bakterien-DNA mit allen bekannten Bakterien-Genen verglichen wird.

Intestinale Schwachpunkte

Für das Alignment nutzen die Wildauer übrigens eine eigens entwickelte Software-Pipeline. Hierzu hat das Biomes-Team eine Datenbank aufgebaut, die über 6.000 wissen­schaftliche und klinische Studien zum Thema Darmflora enthält. Mithilfe von Algorithmen lässt sich das ganz persönliche Profil nun interpretieren. Da aber jeder Mensch einzigartig ist, werden die persönlichen Daten nicht einfach nur mit allgemein gültigen Referenzwerten verglichen. Sondern mit einer gesunden Subgruppe, die im Hinblick auf Geschlecht, Alter und Ernährungsweise auch zum jeweiligen Kunden passt. Hier kann Biomes zurzeit auf 25.000 Mikrobiom-Datensätze zurückgreifen. „Für eine 70-jährige sich vegan-ernährende Frau gelten nämlich andere Richtwerte als zum Beispiel für einen 20-jährigen sich omni­vor-ernährenden Mann“, erklärt Geschäftsführer Hammer. Damit kann Biomes sehr genau sagen, wo die Schwachpunkte im Darm liegen und was für den individuellen Darm förderlich ist und was nicht.

„Natürlich ist INTEST.pro am ehesten interessant für Menschen mit Beschwerden, wie etwa dem Reizdarm-Syndrom, dessen Ursache sehr häufig in einer unausgeglichenen Darm-Mikrobiota begründet liegt“, berichtet Hammer. „Jedoch möchten auch Menschen ohne Beschwerden wissen, wie es um ihr mikrobielles Gleichgewicht steht, vor allem jene, die gesünder leben oder noch leistungsfähiger werden möchten. Der Kunde kann bis zum kleinsten Bakterium nachvollziehen, welchen Einfluss es auf verschiedene Darmfunktionen hat. Menschen können die Ursachen ihrer Beschwerden erkennen und dank individua­lisierter Handlungsempfehlungen, hauptsächlich zur Ernährung, fehlende Bakterienstämme wieder ansiedeln und ihr Wohlbefinden dadurch steigern.“

Viel Arbeit zu Beginn

Ganz einfach war es für die Wildauer Gründer jedoch nicht, die Idee zur DNA-basierten Mikrobiom-Analyse in die Tat und ein funktionierendes Geschäftsmodell umzusetzen. „Die generelle Herausforderung war die Kombination von Disziplin-übergreifenden Technolo­gien aus Molekularbiologie, Mikrobiologie, Automatisierung, künstlicher Intelligenz und Bioinformatik“, so der Geschäftsführer. „Zum einen wurden Laborprozesse entwickelt, die skalierbar und gleichzeitig sehr robust gegen Fehler sind. Zum anderen erzeugen wir große Datenmengen, die wir mit intelligenten Datenbank-Systemen managen und komplexen Algorithmen auswerten. Zusätzlich muss eine Datensicherheit gewährleistet werden, die die Daten unserer Kunden bestmöglich schützt und dabei die Anforderungen der DSGVO erfüllt. Und auch die Darstellung der komplexen biologischen Ergebnisse musste in eine verständliche Sprache und Visualisierung übersetzt werden.“

Für die Zukunft haben Hammer und Co schon große Pläne. Stolz berichtet er: „Wir arbeiten zurzeit intensiv an INTEST.pro Kids, eine Darmflora-Analyse für Kinder, die sich vor allem im Interpretationsbereich zu Erwachsenen unterscheidet. Außerdem möchten wir eine Haut- sowie Vaginalflora-Analyse auf den Markt bringen. Hinsichtlich der Darmflora forschen wir auch schon an Tier- und Umweltproben (z. B. Böden). Neben Analytik-basierter probiotischer Nahrungsergänzung für den Menschen, die wir auf individuelle Probleme zuschneiden, werden wir versuchen, die Lebensqualität von Haus- und Nutztieren zu erhöhen, indem wir auch ihre Mikrobiota optimieren. Sowohl bei Menschen als auch bei Tieren erhoffen wir uns dadurch, einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung zu leisten.“

Bei so viel Motivation bleibt der weitere Erfolg sicherlich nicht aus.

Eva Glink



Letzte Änderungen: 04.07.2019