Editorial

Ein Traum von Forschungsförderung

(02.08.2019) HIGHLIGHTS AUS 25 JAHREN LABOR­JOURNAL: Im Jahr 2002 träumte Diethard Tautz in unserer Reihe "Quo vadis, Bioforschung" von einer ganz anderen Art von Forschungsförderung
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Ein Professor träumt eines Nachts von Forschungsförderung. Natürlich ist alles anders als in Wirklichkeit...

Von Diethard Tautz


Feierstimmung ist angesagt. Es ist wieder einmal ein DFG-Antrag durchgegangen. Ein Doktorand und 12.000 Euro Sachmittel pro Jahr. In der Biologie ist das die Antragsgröße mit der sichersten Aussicht auf Erfolg. Erfreulich. Da kann man dann gleich mehrere davon stellen.

Dazu kommen noch zwei Stellen aus dem Sonderforschungsbereich, die sehr flexibel einsetzbar sind.

Das BMBF hatte auch eine gezielte Ausschreibung gemacht. Mit etwas Glück und im entsprechenden Verbund bekommt man da mit einer Projektbeschreibung von drei Zeilen einen Postdoc.

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Und dann ist da ja auch noch das Graduiertenkolleg. Da ist allerdings der Doktorand frustriert, weil er nur ein Stipendium bekommt, während die anderen eine BAT IIa/2-Stelle haben.

Zudem fordert der DAAD gerade zu Anträgen in einem Sonderprogramm „China“ auf – kann man mitnehmen. Ist nur blöd wegen der kurzen Laufzeit und den fehlenden Sachmitteln.

Sehr prestigeträchtig ist das Human Frontier of Science Program. Verhilft einem auch zu einigen Reisen zu den Kollaborationspartnern – die kosten aber natürlich Zeit.

Das neue EU-Netzwerk muss ich jetzt auch ankurbeln. Da soll ja dicke Geld drin sein, aber wie wird das auf die Partner verteilt? Wie viel bleibt dann bei mir übrig?

Egal. Das Geld muss irgendwo herkommen. Das Labor muss laufen. Und wenn man international kompetitiv bleiben will, braucht man eben eine kritische Masse. Das Geld liegt doch auf der Straße, man muss es sich nur abholen.

Dumm nur, dass ich jetzt auch acht verschiedene Projekte habe. Mit acht Abrechnungsverfahren. Mit acht Abschlussberichten. Und dann noch die diversen Koordinationstreffen. Heute Nacht hab’ ich bestimmt Albträume...

Falsch! Ich träume von einer anderen Welt. Ich sehe mich einen Bericht über die Arbeit meiner letzten drei Jahre schreiben. Der Bericht beinhaltet eine Auflistung der Publikationen, der laufenden Projekte und Kollaborationen, der gehaltenen Vorträge und der Graduierten-Lehre. Die frühere Praxis, jede der Publikationen nochmals zusammenfassend darzustellen, wurde ja inzwischen als Verschwendung wertvoller Arbeitszeit der Antragsteller und Gutachter erkannt.

Ich schreibe auch nicht für jedes Projekt einen eigenen Bericht. Wäre ja auch Quatsch, da ich das Geld ja gar nicht für projektspezifische Vorhaben bekommen habe, sondern für meine Arbeiten insgesamt.

Ich hoffe meine Leistung war gut genug, dass ich eine Stufe hoch rutsche. Es wäre dann die fünfte, die oberste. Ich bekäme dann 500.000 Euro pro Jahr für Personal- und Sachmittel – damit kann man in der Genetik ordentlich was machen. Noch mal mehr ist dann wirklich nicht nötig.

Früher soll es ja einzelne Ausschreibungsverfahren gegeben haben, in denen man für politisch gewollte Projekte noch viel mehr bekommen konnte. Aber inzwischen ist ja erkannt worden, dass selbst der beste Wissenschaftler so etwas nicht mehr sinnvoll ausgeben kann.

Die fünfte Stufe ist allerdings sehr kompetitiv. Ob ich diesmal doch dazu schreibe, welche wirklich tollen Projekte ich damit machen möchte? Aber das ist den Gutachtern ja gar nicht so recht. Schließlich wollen sie nicht über ungelegte Eier urteilen, sondern über das, was ich die letzten Jahre tatsächlich gemacht habe.

Nur bei meinem allerersten Antrag für die 100.000 Euro der Stufe-1-Förderung, als ich noch kaum etwas vorzuweisen hatte, musste ich da einiges an Phantasie aufbringen. Ich muss noch heute darüber lachen, was ich da alles in drei Jahren machen wollte. Hätte man gar nicht schaffen können. Das muss auch den Gutachtern klar gewesen sein. Aber es war wohl doch so schlüssig geschrieben, dass sie auf mich gesetzt haben.

Auch zu Recht. Ich hab’ zwar weniger geschafft, als ich wollte, aber die Arbeiten der ersten drei Jahre waren genug, um mich direkt in Stufe 2 zu heben. Stufe 2 ist auch die Voraussetzung für eine Einstiegsprofessur – und die bekam ich dann auch bald.

Dann kam allerdings erst mal ein Bruch. Die Gruppe musste neu aufgebaut werden. Wir bekamen unser erstes Kind. Neuer Job, Lehre entwickeln und Familie – das kostet Zeit. Da gerät die Wissenschaft ins Hintertreffen. Ich hab’ in der nächsten Runde den Erhalt meiner 2er-Stufe gerade noch geschafft. Da waren die Gutachter sehr wohlmeinend.

Aber seitdem habe ich einiges an Erfahrung und Routine gewonnen. Es ging direkt aufwärts. Nach zwölf Jahren im wissenschaftlichen Leben stehe ich jetzt vor Stufe 5.

Mein Kollege von nebenan ist genau so vorangekommen. Aber die letzten drei Jahre hat er auf’s falsche Pferd gesetzt. Da ist nicht viel rumgekommen. Der wird wohl wieder bei 3 landen. Bitter. Aber auch keine Katastrophe.

Manchmal muss man eben was riskieren. Und wenn es nicht klappt, fällt man ja auch nicht gleich auf Null zurück. Alle drei Jahre kann man sich um maximal eine Stufe verändern – nach oben, nach unten, oder eben auf der gleichen bleiben.

Die Kollegin im anderen Stockwerk hat mit ihrem Projekt auch einiges riskiert und damit ein ganz neues Forschungsfeld aufgetan. Das ist aber auch hübsch teuer geworden, vor allem auf der Sachmittelseite. Das kann mit dem Stufensystem nicht mehr voll abgedeckt werden. Da muss sie sich jetzt an den Sonderfond wenden und doch wieder sorgfältige Begründungen schreiben.

Aber vielleicht entwickelt sich daraus ja mit der Zeit eine neue Stufenkategorie, die das dann wieder als Grundbedarf finanziert. Da sind dann die Politiker gefragt, denn da geht es ans Eingemachte.

Glücklicherweise haben die meisten Politiker ja erkannt, dass die Wissenschaft am besten läuft, wenn sie sich sonst raus halten. Politische Entscheidungen sind lediglich notwendig, um die Höhe der fachspezifischen Stufenkategorien festzulegen sowie die Maximalanzahl der in jedem Fachgebiet zu fördernden Forscher zu umreißen.

Es ist auch schon vorgekommen, dass ganze Stufenkategorien aus der Förderung rausgefallen sind. Für die betroffenen Forscher bedeutet das alle drei Jahre eine Stufe Abstieg bis sie bei Null sind – oder sich neu orientiert haben.

Das gibt dann die Zeit zu beweisen, dass die politische Entscheidung eventuell falsch war. Aber es gibt der Politik auch den notwendigen strategischen Spielraum, ohne dass bei jeder Entscheidung sofort ein Lobbyisten-Kampf ansetzt. Und Politiker mit guten Riechern können echte Anstöße für neue Forschungsfelder geben, indem sie neue Kategorien eröffnen, die dann langfristig, aber solide aufgebaut werden.

Der Wildwuchs mit den Ausschreibungen politisch motivierter Sonderprogramme hat ja glücklicherweise ziemlich nachgelassen. Es gibt sie zwar immer noch, aber jetzt bewerben sich nur noch Leute um das zusätzliche Geld, bei denen die Ausschreibung auch direkt zum Forschungsprogramm passt. Und nicht mehr vorzugsweise die, die sonst nichts abbekommen hatten, oder die, die kein Limit nach oben kannten. Denn über eine Stufe-5-Finanzierung kommt eh keiner raus. Was den nicht unwesentlichen Vorteil hat, dass mit deutlich weniger Mitteleinsatz deutlich bessere Ergebnisse erzielt werden.

Politischer Aktionismus ist in der Wissenschaft jetzt selten geworden, die strategischen Denker haben wieder die Oberhand gewonnen. Ein Albtraum fürwahr. Aber wohl nur für die Geldgeber, die sich nicht vorstellen können, dass es mündige Wissenschaftler gibt, die selbst am besten wissen, wie man Geld optimal in Forschungsleistung verwandelt.

Ich wache auf. Ob Träume wahr werden können?


(Diethard Tautz ist heute Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön)



Letzte Änderungen: 25.07.2019