Editorial

Wer steht wann vorne?

(09.08.2019) HIGHLIGHTS AUS 25 JAHREN LABOR­JOURNAL: Vor 17 Jahren landete erstmals ein Erstautorstreit vor einem deutschen Gericht. Siegfried Bär berichtete.
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Spätestens gegen Ende seiner Doktorarbeit lernt der angehende Forscher, wie süß und ehrenvoll es ist, Erstautor zu sein. Ein Erstautorpaper wiegt schwer auf der Publikationsliste, kann entscheidend sein für eine Gruppenleiterstelle, den Erfolg von Anträgen – und vor allem: Der Forscher kann (oder sollte sich) damit identifizieren; es ist ein Stück seiner selbst.

Nicht immer ist klar, wer Erstautor sein darf. Und noch weniger klar ist es, wer darüber bestimmt. Darf der Gruppenleiter ein Machtwort sprechen? Muss das ausgehandelt werden? Und wenn ja, nach welchen Kriterien? Was ist entscheidend für die Erstautorschaft?

Bisher gab es zu diesen Fragen keine juristische Regelung. Die Frage der Autorenliste wissenschaftlicher Paper schwebte im luftleeren Raum und war den Beteiligten überlassen. So rang sich die DFG erst im Laufe des Hermann/Brach-Skandals zu Richtlinien über die Autorschaft durch. Die aber sind juristisch nicht verbindlich und zudem schwammig formuliert.

Editorial

Ein Streitfall an der medizinischen Fakultät der Universität Göttingen wird vielleicht erstmals juristisch Verbindliches zur Frage der Erstautorschaft bringen. Hier der Bericht:

Der Diplombiochemiker Marco Ledwon (39) begann im Frühjahr 1997 seine Doktorarbeit bei der As-sistenzärztin Frauke Alves an der Abteilung Hämatologie und Onkologie der Universität Göttingen. Thema der Arbeit war der Discoidin Domain-Rezeptor 1 (DDR1), eine Tyrosinkinase.

Wie es gelegentlich vorkommt, blieb das Verhältnis zwischen Doktorand und Gruppenleiterin nicht ungetrübt. Nach Marco Ledwon soll etwa folgendes geschehen sein: Ledwon sollte per Western Blot in verschiedenen Zelllinien prüfen, ob diese DDR1 exprimieren. Er jedoch hätte es vorgezogen, einen funktionellen Test durchzuführen, also zu prüfen in welchem Ausmaß sich die Tyrosinkinase des DDR1 aktivieren ließe. Dazu hätte er jedoch einen DDR1-Liganden gebraucht. Er habe Frau Alves gefragt, ob es solch einen Liganden gäbe. Frau Alves habe verneint.

„Drei Monate später sei ein Paper von ihr erschienen (Mol. Cell 1, S.13) in dem berichtet wurde, dass Collagen ein Ligand des DDR1 sei. Dadurch, dass Frau Alves ihm diese Information vorenthalten habe, habe er ein halbes Jahr Arbeit in den Sand gesetzt.

Plötzlich gestrichen

Solche Geschichten hören sich von der Gegenseite fast immer anders an, so auch hier: Frau Alves hält die Geschichte „so für unzutreffend“. Für Frau Alves spricht, dass sie mit ihren anderen Mitarbeitern gut auskam. Einer ihrer ehemaligen Doktoranden (inzwischen im Bankwesen tätig) bescheinigte ihr, sie sei „extrem fair“ und eine „gute Führungspersönlichkeit“. Herrn Ledwon dagegen habe er nicht in guter Erinnerung. Eine Doktorandin sagte im Wesentlichen das gleiche. Ein Doktorand im Nachbarlabor hatte Herrn Ledwon dagegen als freundlichen und kompetenten Ansprechpartner in Erinnerung. „Ich hab den Marco anfangs sogar für ’nen Postdok gehalten“, verriet er Laborjournal. Sie sehen: Zwischenmenschliches ist schwer zu beurteilen.

Wessen Schuld es auch immer war, das Verhältnis zwischen Alves und Ledwon entwickelte sich nicht liebreich. Nach Ablauf einer zweijährigen BATIIa/2-Stelle und etlichen Hiwi-Verträgen wurde das Arbeitsverhältnis am 30. April 2001 denn auch beendet. Marco Ledwon nahm eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bibliotheksverbund Niedersachsen an.

In seiner vierjährigen Doktorarbeit hatte er es zu einer Zweitautorschaft auf einem Paper im FASEB Journal gebracht und zudem die Daten für ein weiteres Paper zusammen getragen. Dieses Paper sollte in Biological Chemistry (Hoppe-Seyler) erscheinen. Es trug den Titel „Shedding of the ectodo-main of Discoidin Domain Receptor 1 is sensitive to metalloprotease inhibitors and releases two soluble fragments“. In den nächsten zwölf Monaten wurde an dem Paper geschrieben. Mitte Februar 2002 wollte es Frauke Alves an Biological Chemistry schicken.

Am 1. März 2002 jedoch platzte eine Bombe. Das Landgericht Braunschweig untersagte Frau Alves per einstweiliger Verfügung, das Paper zu veröffentlichen. Bei Zuwiderhandlung drohte es eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten oder ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro an. Was war geschehen?

Es gibt in der Sache zwei Parteien – und demgemäß zwei Darstellungen. Nach Darstellung von Marco Ledwon habe er im Wesentlichen alle Experimente selbstständig gemacht und auch an dem Paper mitgeschrieben. Frau Alves sei nur an der Abfassung des Papers beteiligt gewesen. „Das ging so hin und her – mal habe ich was geschrieben, mal sie“.

Er sei auch bis zum Februar 2002 auf den Manuskripten als Erstautor geführt worden. Am 11. Februar 2002 habe er jedoch feststellen müssen, dass ihn Frau Alves plötzlich und ohne Erklärung nicht mehr als Erstautor, sondern nur noch als Zweitautor führe – und sich selbst als Erstautorin eingesetzt habe. Gleichzeitig habe sie ihm mitgeteilt, dass das Paper möglichst schnell bei Biological Chemistry eingereicht werden solle und habe um sein schriftliches Einverständnis gebeten. Marco Ledwon protestierte bei Frau Alves und verweigerte die Zustimmung. Daraufhin sei ihm von Frau Alves mitgeteilt worden, sie würde ihn nun aus der Autorenliste streichen – dann könne sie auch auf seine Einwilligung verzichten. Eine gütliche Einigung sei nicht möglich gewesen: Frau Alves habe Telefongespräche nicht mehr angenommen, und Briefe kamen ungeöffnet zurück.

In dieser Lage wandte sich Marco Ledwon an einen Anwalt, und dieser erwirkte die einstweilige Verfügung.

Nach Darstellung von Frau Alves habe Marco Ledwon lediglich TA-Arbeit gemacht und sich trotz mehrmaliger Aufforderung an dem Schreiben des Papers nicht beteiligt. Die Ideen zu dem Paper stammten aus ihrem Krebshilfe-Antrag und seien ebenfalls nicht auf Herrn Ledwon zurückzuführen. Zudem habe er lediglich Kopien der Laborbücher und nicht die Bücher selbst herausgerückt. Da sich also Herr Ledwon geistig nicht an dem Paper beteiligt habe, könne er auch nicht als Autor gelten. „Da der Kläger (Herr Ledwon) nur die Experimente gemacht hat [...] kommt seine Autorenschaft – erst recht aber seine Erstautorschaft – für die streitgegenständliche Publikation nicht in Betracht.“ (aus einem Schriftsatz von Frauke Alves an das Landgericht Braunschweig). Ein anderes Verhalten sei ungerecht gegenüber ihren anderen Doktoranden, die alle ihre Paper selber schrieben, sagte sie Laborjournal.

Frau Alves verweist auf eine Empfehlung aus dem New England Journal of Medicine vom 23. Januar 1997. Auf Seite 311 steht dort:

Authorship credit should be based only on substantial contributions to (a) conception and design, or analysis and interpretation of data; and to (b) drafting the article or revising it critically for important intellectual content; and on (c) final approval of the version to be published. Conditions (a), (b) and (c) must be all met. Participation solely in the aquisition of funding or the collection of data does not justify authorship.

Vertrag oder nicht?

Ähnliches sagt die DFG in ihren Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (Empfehlung 12):

„Als Autoren einer wissenschaftlichen Originalveröffentlichung sollen alle diejenigen, aber auch nur diejenigen, firmieren, die zur Konzeption der Studien oder Experimente, zur Erarbeitung, Analyse und Interpretation der Daten und zur Formulierung des Manuskripts selbst wesentlich beigetragen und seiner Veröffentlichung zugestimmt haben, d.h. sie verantwortlich mittragen.“

Mit dieser Argumentation klagte Frau Alves beim Landgericht Braunschweig auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung.

Das Gericht jedoch gab Marco Ledwon recht. Nach dem Austausch etlicher Schriftsätze und zwei mündlichen Verhandlungen entschied das Landgericht Braunschweig am 12. Juni 2002, dass die einstweilige Verfügung aufrecht zu erhalten sei. Das Gericht gab folgende Gründe an:

Zwischen Marco Ledwon und Frauke Alves sei es zum Abschluss eines Urhebervertrages gekommen. Dies sei darin zum Ausdruck gekommen, dass Marco Ledwon über einen längeren Zeitraum (14 Monate) fortlaufend als Erstautor genannt wurde. Frau Alves habe durch ihren Rechtsanwalt selbst vortragen lassen, dass zu Beginn der gemeinsamen Arbeit an dem Paper zwischen den Parteien geplant gewesen sei, Marco Ledwon als Erstautor zu führen. Auch dies sei eine vertragliche Vereinbarung, Marco Ledwon dauerhaft als Erstautor zu nennen. Von dieser vertraglichen Vereinbarung habe sich Frau Alves nur durch eine einseitige Kündigung lösen können. Eine solche Kündigung sei aber nicht erklärt worden. Auch liege keine Abmahnung vor.

Nach Ansicht des Gerichts trifft es auch nicht zu, dass Marco Ledwon nichts an dem Paper geschrieben habe. Am E-Mail-Verkehr zwischen ihm und Frau Alves könne man vielmehr absehen, dass Herr Ledwon selbst wesentliche textliche Gestaltungen vorgenommen habe.

Keine Kompromisse

Der Rechtsanwalt Marco Ledwons verlangte daraufhin von Frauke Alves eine Abschlusserklärung, in der sie Herrn Ledwon als Erstautor anerkennen solle. Frau Alves unterschrieb diese Erklärung nicht. Stattdessen kam es etwa zwei Wochen nach dem Urteil zu einem Schlichtungsversuch, an dem Frau Alves, Herr Ledwon, Herr Hans Jürgen Kuhn und die Vizepräsidentin der Universität Göttingen, Hannelore Ehrenreich, teilnahmen.

Nach Darstellung von Marco Ledwon sei bei diesem Gespräch das Urteil ignoriert worden. Frau Ehrenreich habe gesagt, er habe einen Fehler gemacht, indem er gleich zum Gericht gegangen sei. Zum Ausgleich solle er Frau Alves an erster Stelle der Autorenliste belassen. Er habe daraufhin den Vergleichsvorschlag wiederholt, den er Frau Alves schon nach der ersten mündlichen Verhandlung unterbreitet hatte: Er solle an erster Stelle stehen, beide Namen solle aber der Zusatz „contributed equally to this work“ schmücken. Frau Alves habe jedoch auf der ersten Stelle bestanden und lediglich zugestanden, dass er, Marco Ledwon, den Zusatz erhalte. Was er denn gewinnen würde, wenn er der Forderung von Frau Alves zustimme? Daraufhin sei ihm angeboten worden, dass ihn Frau Alvens bis zur fertigen Promotion betreue.

Leider gelang es Laborjournal nicht, hierzu von Frau Alves oder von Frau Ehrenreich eine eigene Darstellung einzuholen. Frau Ehrenreich fühlte sich an ihre Schweigepflicht als Ombudsfrau gebunden. Jedenfalls: Die Verhandlung endete ergebnislos.

Marco Ledwon vermutet, dass das Beharren von Frau Alves mit ihrer Habilitation zusammenhängt. Dazu eine Erklärung: Frau Alves (geb. 1960) hatte Anfang diesen Jahres bei der Medizinischen Fakultät einen Habilitationsantrag eingereicht. Nach den Richtlinien für das Habilitationsverfahren für Mediziner sind zur Habilitation in Göttingen mindestens zwölf Originalarbeiten erwünscht, bei denen der Habilitand mehrheitlich Erstautor ist – das heißt, es braucht mindestens sieben Erstautor-Paper. Nach Medline hat Frau Alves bisher aber nur sechs veröffentlicht.

Auf Nachfrage von Laborjournal versicherte der Dekan der Medizinischen Fakultät, Manfred Droese, allerdings, Marco Ledwons Verdacht sei dummes Zeug. Zum einen gelte die 12/7er-Regel nur für konventionelle Habilitationen und nicht für kumulative, und zum anderen seien das bloß Richtlinien. Man würde einen Kandidaten sogar mit weniger als sechs Papern habilitieren, wenn diese von entsprechender Qualität seien.

Wenn beide Parteien auf ihrem Standpunkt beharren, wird die Angelegenheit in einem sogenannten Hauptsacheverfahren entschieden werden. Man darf gespannt sein.

Siegfried Bär



Letzte Änderungen: 25.07.2019