Editorial

Professoren wie Könige

(16.08.2019) HIGHLIGHTS AUS 25 JAHREN LABOR­JOURNAL: 2003 startete Axel Brennicke seine 'Ansichten eines Profs' und lästerte darin bald über Mediziner-Hierarchien ab.
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Es gibt sie noch: die Professoren, die wie Könige herrschen. Sie herrschen über riesige Reiche und zahllose Untertanen – Männchen und Weibchen, Lakeien und Lastenträger, Leibeigene und Hörige. Sie jammern gelegentlich über den König, aber nie vor ihm – und stellen das Jammern ein, wenn ihnen der König hin und wieder einen Knochen von seiner Tafel zuwirft. Es könnte ihnen ja noch schlechter gehen. Der König im Nachbarreich beispielsweise behandelt seine Untertanen wie Sklaven.

In den Naturwissenschaften, die Medizin ausgenommen, hat der König oft nur noch Verwaltungs- und Repräsentationsaufgaben. Daneben dient er als Richter dem Ausgleich der Interessen seiner Mitarbeiter. Seine Herrschaft ist milde. Das hängt damit zusammen, dass Naturwissenschaftler so schlecht bezahlt werden, dass der König fürchten muss, sie zu verlieren, wenn er sich als Potentat gibt.

Warum soll ein Postdoc seine Zeit für Unterwerfungsgesten verschwenden? Für die paar Euro? „Der Prof soll froh sein, wenn ich ihn berühmt mache!“ Es hat sich leise herumgesprochen und langsam durchgesetzt, dass die anstehenden Arbeiten in Forschung und Lehre am besten von einem Team Gleichberechtigter erledigt werden. Inzwischen gibt es sogar Postdocs mit der Zivilcourage, nur mit denen zu publizieren, die auch etwas zu der Arbeit beigetragen haben. Keine Ehrenautorschaften! Auch nicht für den König. Wenn dem das nicht passt, dann: Tschüss! „Etwas Besseres als den Tod findest du überall“, sagen die Bremer Stadtmusikanten.

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Dagegen ist in Teilen der Medizin und Fächern wie Architektur die Haltung von Leibeigenen noch weit verbreitet. Wie kommt es wohl, dass ein Medizinprofessor in Baden-Württemberg, der wegen grober Fehler bei der Behandlung von Patienten entlassen werden soll, 1,8 Mio. Euro angeboten bekommt? Und wie kommt es, dass ihm dies zu wenig ist und er ablehnt? Er geht deswegen sogar vor Gericht. Wieso wird ihm jahrelang sein normales Gehalt weiter bezahlt, bis ihm die Abfindung hinreichend erscheint?

Es liegt wohl daran, dass das normale Gehalt eines ordentlichen Professors einem Banker oder Manager nicht einmal für das Restaurantbudget reichen würde, von einem angemessenen fahrbaren Untersatz ganz zu schweigen. Ähnlich ist bei so manchem Mediziner das normale Gehalt auch nur Nebensache – bei ihnen dient die Eingruppierung als Professor nur als Mittel zu mehr Mitteln. Wohlgemerkt nicht jedem Mediziner, aber vielen.

Wie aber kommt ein solcher Medizinprofessor zu mehr Mitteln? Durch geschickte Ausbeutung seiner Mitarbeiter natürlich. Die wiederum wird durch die quasi-feudalen Verhältnisse ermöglicht, die auch heute noch in der akademischen Medizin herrschen: Der Medizinprofessor sitzt auf keinem Lehrstuhl, er sitzt auf einem Thron. Friedl sei mit ihm!

Der königliche Mediziner organisiert nach seiner Thronbesteigung als allererstes die Rechnungsstellung für an Privatpatienten erbrachte Leistungen. Gewiefte Könige nutzen hierfür die Schreibkräfte der Uni, stellen eigene Sekretäre ein oder übergeben das Rechnungswesen einem Subunternehmer. Wie die römischen Cäsaren benutzt er Hilfstruppen. Daran ist kein Mangel: Sie tummeln sich auf den Anzeigenseiten der Medizinerzeitschriften.

Die Sorge um die Rechnungsstellung bleibt die wichtigste Tätigkeit des Königs. Ihre Behandlung der direkt oder indirekt zahlenden Patienten besteht oft nur darin, für einige Sekunden den Luftraum des harrenden Hilflosen zu teilen. Hier zeigt sich der Fortschritt der Wissenschaft: Die englischen und französischen Könige mussten bis ins 18. Jahrhundert noch durch Handauflegen heilen.

Oft kann der König nicht einmal den Luftraum im Krankenzimmer mit seiner Gegenwart durchwirbeln, etwa wenn er auf dem Golfplatz wichtige Repräsentationspflichten zu erfüllen hat. Dann heilen – im Namen des Königs – die nächsten in der Hierarchie: Privatdozenten und Oberärzte. Rechnungen schreiben dürfen sie aber nicht, jedenfalls nicht unter ihrem Namen. Um sie dennoch bei Laune zu halten, werden ihnen unbürokratisch zum normalen Gehalt als Angestellte nach TVöD oder TVdL monatlich ein, zwei Tausender überwiesen. Da freut sich der Untertan und schiebt gern über die normale 50 bis 60 Stundenwoche noch ein paar Sonntagsrunden und Nachtarbeiten.

Dieser königliche Regierungsstil muss in harter Schule gelernt werden. So absolviert jeder König erst eine Kronprinzen-Lehre, in der er forscht oder forschen lässt, vorzugsweise von Biologen. Die kennen sich zum einen in praktischer Laborarbeit aus, und zum anderen entwickeln sie sich später nicht zu einer Konkurrenz.

Denn so wie noch im 18. Jahrhundert Offiziersstellen für den Adel reserviert blieben, sind in den Kliniken höhere Pöstchen oder gar Professuren für Labormedizin, Nuklearanalytik oder Mikroskopie den Medizinern vorbehalten. Das ist auch richtig so, denn die Mediziner müssen sich mit einem in drei Monaten hart erarbeiteten „Dr. med.“ adeln, während ein Biologe seine Inferiorität schon dadurch zum Ausdruck bringt, dass er mindestens drei Jahre für seinen schäbigen „Dr. rer. nat.“ braucht. Es ist also nur legitim, dass sich später nur mit einem „Dr. med.“ echtes Geld verdienen lässt.

Der kluge Medizinerkönig gründet eine eigene Firma, über die Behandlungen und Auftragsarbeiten für andere Abteilungen der Kliniken oder gar für andere Krankenhäuser abgerechnet werden. Mit den Klinikverwaltungen werden pro forma Nutzungsverträge ausgehandelt. Die machen die Kliniken glücklich, weil sie ihnen etwas Geld bringen, der Reibach aber bleibt beim König und seiner Firma.

Der weltweise König macht sich deswegen weder ein schlechtes Gewissen noch drückt ihn die Krone. Da er jahrelang selbst geschröpfter Untertan war, hat er das System von innen heraus gelernt und verinnerlicht. Etwas anderes als einen königlichen Regierungstil kann er sich nicht vorstellen – allein der ist legitim, alles andere Rebellion und Meuterei, und auf Meuterei steht der Tod. Jetzt, ist er dran! Jetzt haben die Geldströme in seine Taschen zu fließen!

Dementsprechend sucht sich der König willige und folgsame Ober- und Mittelärzte. Er gibt ihnen Zeitverträge und die ganze Arbeit, denn Müßiggang ist aller Laster Anfang. Die befristeten Verträge werden mit dem Geld der Klinik, also Krankenkassenbeiträgen und Steuern finanziert.

Auch andere königliche Aufgaben, wie Vorlesungen und Seminare, Praktika und Klausuren, haben die Mitarbeiter zu erledigen. Dies tunlichst so, dass der König nicht belästigt wird. Wehe, es kommen Klagen. Dann wird durchregiert: Ist die monatliche Bonuszahlung gerechtfertigt? Soll die aufstrebende Jungärztin zur Habilitation zugelassen werden?

Dass keine Publikation ohne den Namen des Chefs die Abteilung verlässt, versteht sich von selbst. Ebenso, dass der Chef von nichts weiß, wenn hinterher Zweifel an der Publikation auftauchen. Hier springt freiwillig oder gezwungen ein Knappe in die Bresche: Die Weste des Königs muss rein bleiben. Widerstand gibt es kaum, denn die Untertanen werden vom ersten Tag an auf die Hierarchie eingeschworen. Schon als Unterärzte legen sie ein devotes Verhalten an den Tag; tun sie es nicht, merzt die Selektion sie aus. Auch deshalb bringen es Biologen in der Klinik zu nichts – sie sind zu aufmüpfig, ja sie geben widerwärtige Widerworte.

Die von oben geforderte Anwendungsbezogenheit von Forschung und Lehre, insbesondere die Aufbesserung des Forschungsbudgets durch Drittmittel, führt auch in anderen Fächern zu Einkommenssteigerungen auf Kosten der aus Unimitteln bezahlten Mitarbeiter. In der Architektur zum Beispiel müssen die „wissenschaftlichen“ Mitarbeiter, angefangen vom Doktoranden, die Vorträge für die Professoren ausarbeiten. Wenn der Professor – er sieht sich in der Regel als Künstler – sich einen Nachmittag in der Woche von seinem privaten Büro loseist und zu Vorlesung oder Sprechstunde in die Uni eilt, hat die Powerpoint-Vorlage für die Vorlesung gefälligst fertig zu sein. Forschung und Lehre am Institut für Bautechnik, Gebäudelehre oder Baukonstruktion erledigen die von der Uni finanzierten Mitarbeiter selbstständig, schließlich kennen sie den Laden von Studienzeiten an.

Für die Diplom- oder Bachelor-/Masterarbeiten gibt der Künstler mit Bedacht anwendungsbezogene Aufgaben. Zum Beispiel den Wettbewerbsentwurf und das Modell für ein Parkhaus in Weimar, oder die Gestaltung der Stadtmitte von Husum. Daher liegen die Abgabetermine für die Master-Arbeiten tunlichst vor dem Einreichungsschluss des jeweiligen Wettbewerbs, damit der Professor den besten Entwurf leicht überarbeiten lassen und unter seinem Namen einreichen kann. Daran tut er gut, denn ein Student hätte in dem Wettbewerb keine Aussichten – und auf diese Weise wenigstens die Genugtuung, seine Idee umgesetzt zu sehen.

Bin ich neidisch auf diese Nebenverdienstmöglichkeiten? Ja, bin ich. In meinem und ähnlich alltagsirrelevanten Fächern kann man eine selbstempfundene Unterbezahlung nur mit Freizeit ausgleichen. Einige (wenige) Professoren tun das auch. So der Prof, der um 10.00 Uhr c.t. eine Vorlesung halten sollte und entsprechend gleich nach dem Frühstück gegen 9.30 Uhr abgehetzt auf den Parkplatz rollte. Da aber Semester war und Vorlesungen gehalten wurden, war der Parkplatz voll – und der Kollege fuhr beleidigt und unverrichteter Dinge nach Hause.

Damit hätte ich kein Problem – wenn mir nur jemand endlich ein paar Milliönchen bieten würde, wäre ich ganz schnell mal weg. Für immer.


(Bis zu seinem Tod im Jahr 2017 schrieb der Ulmer Botanik-Professor Axel Brennicke unter den "Ansichten eines Profs" über 100 fröhlich-sarkastische Seitenhiebe auf Universität und Forschung. Hier sind sie alle nachzulesen.)



Letzte Änderungen: 26.07.2019