Editorial

Nanovampir saugt Zellen aus

(14.08.2019) Mit einer elektrochemischen Spritze lassen sich gezielt Cytosol-Proben aus einzelnen Zellen eines Tumor-Sphäroids entnehmen.
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Tumorzellen bilden zusammen mit Proteinen der extrazellulären Matrix ein sogenanntes tumor microenvironment, über das sie ihre Umgebung wahrnehmen. Zellen im Inneren des Tumors tauschen Informationen mit weiter außen gelegenen aus und auch die Hierarchie und Aufgabenverteilung hängt von ihrer Lage innerhalb des Tumors ab.

Als Modelle für Tumore dienen häufig dreidimensionale Zellkulturen, die als kugelförmige Sphäroide wachsen. Wer genau wissen will, was in Sphäroiden, etwa nach dem Kontakt mit einem Wirkstoff, abläuft, muss Zellschicht für Zellschicht oder noch besser die einzelnen Zellen unter die molekular­biologisch-biochemische Lupe nehmen. Aber wie kommt man an einzelne, im Inneren der Kugel liegende Zellen ran? Bei den bisher verwendeten Fluoreszenz-basierten Methoden, etwa Einzel-Molekül-FISH und In-situ-RNA-Sequenzierung, muss die Probe in dünne Scheiben zerlegt werden, damit die eingesetzten Fluoreszenz-Moleküle ihren Zielort erreichen können.

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Intakt und unabhängig

Ein Team um den Elektrochemiker Hitoshi Shiku von der Tohoku University in Japan hat eine einfache elektrochemische Spritze für die Entnahme von Cytosol-Proben aus einzelnen Zellen entwickelt, bei der die Sphäroide nicht nur intakt bleiben - man kann mit der Spritze auch mehrere unabhängige Proben aus einem Sphäroid gewinnen.

Für die Proben-Entnahme schwimmt das Sphäroid in einem mit PBS gefüllten Näpfchen (Well) aus Polydimethylsiloxan (PDMS), das an seine Grö6szlig;e angepasst ist und ihn fixiert. Die elektrochemische Spritze besteht aus einer hauchdünnen Glaspipette, die als Arbeitselektrode dient und mit einer Ag/AgCL-Elektrode als Referenz elektrisch verbunden ist.

Die Glaspipette ist mit einer organischen Elektrolyt-Lösung gefüllt, wodurch sich an ihrer Spitze eine Öl-Wasser-Phasengrenze ausbildet, sobald sie in das mit PBS geüllte Näpfchen eintaucht. Eine an der Pipette anliegende positive Spannung von einem Volt verhindert, dass die PBS-Lösung allein durch Kapillarkräfte in sie eindringt. Nachdem die Pipettenspitze eine Zelle penetriert hat, wird die Spannung umgepolt und auf -0,5 Volt eingestellt. Nach der Spannungsumkehr wandert das Cytosol in die Pipette und verschiebt hierdurch die Wasser-Öl-Grenzschicht nach innen. Ozapft is! Anschließend wird das winzige Probenvolumen aus der Pipettenspitze in eine entsprechende Reaktionslösung entleert.

Bis zur dritten Zellschicht

Die Japaner entnahmen Proben aus Sphäroiden mit circa 300 µm Durchmesser, die von MCF-7-Zellen mit Durchmessern von 18 bis 20 µm gebildet wurden. Die Tiefe der Einstiche lag zwischen 6 und 55µm. Versucht man tiefer in das Sphäroid einzudringen, verformt sich dieses aufgrund des wachsenden Eindring-Widerstands. Die 55 Mikrometer reichen jedoch aus, um in die dritte Zellschicht des Sphäroids zu gelangen.

Mit der elektrochemischen Spritze kann man etwa 500 Femtoliter Cytosol aus einer Zelle entnehmen, also etwa 25 Prozent des Cytosol-Volumens, und für PCR-Analysen aufbe­reiten. Die Gruppe testete ihre Entnahmetechnik zunächst für die Expressions­analyse des Housekeeping-Gens GAPDH. Die mithilfe der PCR aufgespürten Mengen lagen deutlich unter den zu erwartenden Werten und nur 29 Prozent der Zellen lieferten überhaupt ein GAPDH-Amplifikat. Die Forscher vermuten, dass ein Teil der mRNA während des Ein­sammelns in der elektrochemischen Spritze verloren ging.

Trotz dieser Verluste gelang es dem Team, Zellschicht-spezifische Expressionsunterschiede in Zellzyklus-Genen aufzudecken. So wurde zum Beispiel das Cyclin CCNB1 in Zellen auf der Sphäroid-Oberfläche stärker exprimiert als in Zellen, die weiter innen lagen. Das ergibt durchaus Sinn: Das Tumorwachstum findet vornehmlich außen statt, während sich Zellen im Inneren vergleichsweise selten teilen.

Andrea Pitzschke


Nashimoto Y. et al. (2019): Site-specific cytosol sampling from a single cell in an intact tumor spheroid using an electrochemical syringe. Analytical Chemistry, 91(14):8772-8776

 
 


Letzte Änderungen: 14.08.2019