Editorial

Kontroverse Viren

(04.11.2019) Sind Bornaviren eine Gefahr für Menschen? Und wenn ja, welche? Lange war man auf der falschen Spur und hatte sich in eine Sack­gasse manövriert.
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Borna ist ein 20.000-Einwohner-Städtchen in Sachsen. Hier starben im Jahr 1885 während einer Epidemie unbekannter Ursache hunderte Pferde eines Kavallerie-Regiments. Erst in den 1970ern hatte man den viralen Verursacher der Epidemie eindeutig entlarvt. Das nach dem Ort seines Erstauf­tretens benannte Bornavirus ist ein behülltes RNA-Virus, das zur Familie der Borna­viridae gehört.

Der klassische Vertreter BoDV-1 (Borna Disease Virus 1) gilt als Auslöser der Borna‘schen Krankheit bei Tieren. Vor allem Pferde und Schafe sind betroffen, sie erkranken an einer oftmals tödlich verlaufenden Enze­phalitis. Der natürliche Wirt des Virus sind sie allerdings nicht, das ist die Feldspitzmaus, die allerdings nur als Reservoir und Überträger dient – krank wird sie trotz Infektion nicht. Über Urin, Kot und Speichel kann BoDV-1 auf sogenannte Fehlwirte, wie Schafe oder Pferde, über­tragen werden. Zählt der Mensch auch zu den Fehlwirten des Virus mit patholo­gischen Konse­quenzen?

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Gefährlich oder nicht?

Ganz sicher war man sich da eine Zeitlang nicht, wie Wissen­schaftler des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Insel Riems und der Uniklinik Freiburg kürzlich in einem PLoS Pathogens-Artikel zusammenfassten. „Weil das Borna Disease Virus 1 bekannt dafür war, bei vielen verschie­denen infizierten Tieren eine tödlich verlaufende Enzephalitis und Verhaltens­änderungen auszulösen, war es nicht überra­schend, dass manche Virologen und Kliniker vermuteten, Bornaviren würden auch in Menschen Verhaltens­anomalien und psychia­trische Störungen verursachen.“

Blicken wir zurück. Verschiedene Publika­tionen seit 1980 behaupteten, dass bis zu 30% der Weltbevöl­kerung mit BoDV-1 infiziert seien. Immer wieder brachten die Wissen­schaftler die Infektionen mit einer Reihe neurolo­gischer und psychia­trischer Erkran­kungen wie Depression oder Schizo­phrenie beim Menschen in Verbindung. Später stellte man jedoch fest, dass die damals verwen­deten Methoden – vor allem nested PCR und ELISA – zum Nachweis von viraler RNA in Blutproben sowie Virus­antigen und Antikörpern in Serum­proben äußerst konta­minations­anfällig oder nur unzu­reichend validiert waren. Eine Genom-Analyse zeigte zudem, dass die damaligen Virus-Isolate und RNA-Nachweise höchst­wahrschein­lich mit BoDV-1-Labor­stämmen kontaminiert waren. „Rück­blickend muss davon ausge­gangen werden, dass diese vermeint­lichen BoDV-1-Nachweise auf verschiedene Labor­artefakte und nicht auf tatsäch­liche BoDV-1-Infektionen zurück­zuführen sind“, schrieb die Gesell­schaft für Virologie in einer Stellung­nahme vom 27. März 2018. Also, alles harmlos?

Neue Beweislage

Nicht wirklich, denn mittlerweile gibt es neue Beweise. Das Friedrich-Loeffler-Institut konnte in Zusammen­arbeit mit unter anderem den Universi­täts­kliniken in Regens­burg, München und Leipzig nun zweifels­frei BoDV-1-Infek­tionen bei fünf Menschen nachweisen und als „wahrschein­lichen Auslöser schwerer Entzündungen des Gehirns (Enzephalitis) identi­fizieren“ (Epidemio­logisches Bulletin des Robert Koch Instituts, Ausgabe 10/2018).

„BoDV-1-Genom und -Antigen wurden mittels spezieller RT-qPCR, Next-generation-sequencing und Verfahren der Immun­histochemie und In-situ-Hybridi­sierung nachge­wiesen. Die Erkran­kungen traten bei drei Empfängern von Spender­organen desselben postmortalen Organ­spenders auf und zwei der transplan­tierten Patienten verstarben im weiteren Verlauf.“ Hinzu kommen zwei weitere Fälle, unabhängig voneinander. Einer ebenso mit fatalem Ausgang.

Bei allen fünf Infizierten wiesen die Virologen hohe Konzen­trationen BoDV-1-spezi­fischer Antikörper im Blut nach. Bei den Todes­fällen fanden die Ärzte und Wissen­schaftler zudem große Mengen des viralen Erbguts im Gehirn und im zentralen Nerven­system. Und sogar Bornavirus-Antigen wiesen sie immun­histoche­misch im Gehirn der Verstor­benen nach. Im Blut konnten sie trotz der zuver­lässigen, sensitiven Methoden kein BoDV-1-Erbgut finden.

Alle Infizierten inklusive des Organ­spenders hatten aber etwas gemeinsam: Sie stammten aus einem der Verbrei­tungs­gebiete von BoDV-1. Und auch der Genom-Vergleich zeigt, dass die bei den Erkrankten gefundenen BoDV-1-Stämme mit den entspre­chenden Stämmen übereinstimmen, die man in der jeweiligen Region auch in Pferden, Schafen und Spitzmäusen findet – alles Beweise für den regionalen Zusammen­hang. Eine weltweite Verbreitung, wie in vielen älteren Publikationen zu lesen, ist damit so gut wie widerlegt. Die aktuell bestätigten Infek­tionen traten, ganz im Gegenteil, stark regional begrenzt auf und führten zu einem klaren Krank­heits­bild, das Ähnlich­keiten zur Borna‘schen Krankheit bei Pferd und Schaf aufweist. Also eher eine Enze­phalitis statt einer Depression.

Späte Erkenntnis

„Echte menschliche BoDV-1-Infektionen hätten schon vor 20 Jahren entdeckt werden können“, schreiben die FLI-Forscher. „Wenn die Wissen­schaftler Hirn-Proben von schweren Enzephalitis-Fällen aus den bekannten endemischen Regionen untersucht hätten, anstatt sich auf psychiatrische Patienten-Kohorte weltweit zu konzentrieren.“ Gegen diese experi­mentellen Sack­gassen hilft ein gutes theore­tisches Gerüst, das alle Anhalts­punkte integriert, vor allem epidemio­logische und klinische Daten.

Vielleicht auch aufgrund dieser Verzö­gerung gibt es noch immer keine Therapie gegen Bornavirus-Infek­tionen beim Menschen. Verschiedene Wirkstoffe zeigen jedoch in Zell­kulturen und Tier­modellen ihre Wirksamkeit gegen BoDV-1. Hier und auch beim Thema Früh­diagnostik besteht also noch großer Forschungs­bedarf. Das hat auch das BMBF erkannt und das interdisziplinäre Projekt „Zoonotic Bornavirus Consortium“ (ZooBoCo) ins Leben gerufen.

Eva Glink







Letzte Änderungen: 04.11.2019