Editorial

LJ-Rätsel: Der gepreiste
Gefangene

(10.12.2019) Zwar war Schweden während der Weltkriege neutral, die Nobel­preis-Verleihung stand dennoch unter ihrem Einfluss – wie unser Gesuchter erfahren musste. Wie heißt er?
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Erhebliche Anstren­gungen von vielerlei Seiten waren nötig, damit unser Gesuchter „seinen“ Nobel­preis entgegen­nehmen konnte – am Ende mit doppelter Verspätung.

Als der Krieg begann, arbeitete er gerade als Assistent und Privat­dozent an der Medizi­nischen Klinik der dama­ligen Donau­metro­pole Nummer 1. Vor allem an Chirurgie und Neuro­logie interes­siert, hatte er sich komplett einem unserer Sinnes­organe ver­schrieben. Und schon damals hatte er Grund­legendes zu dessen Ver­ständnis wie auch zu dessen Patho­logie samt Diag­nostik beige­tragen. So simpel es klingt, aber vor allem die Tempe­raturab­hängigkeit der Funktion dieses Sinnes­organs lieferte ihm den Schlüssel zur Auf­klärung des tieferen Funktions­mecha­nismus. Zugleich entwickelte er auf dieser Basis einen diagnos­tischen Test, den manche bis heute mit seinem Namen benennen.

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Die Veröffentlichung all dieser Erkennt­nisse in seinem „Hauptwerk“ lag bereits sieben Jahre zurück, als die König­liche Schwedische Akademie der Wissen­schaften unter dem Eindruck des gerade begon­nenen Krieges verkündete, in diesem Jahr keinen Medizin-Nobel­preis zu verleihen. Ein Jahr später jedoch war unser Sinnes­forscher damit „dran“: Das Komitee erwählte ihn nach­träglich zum Nobel­preis­träger für Physio­logie oder Medizin des Vorjahres. Später sollte bekannt werden, dass er bereits in allen sechs Jahren zuvor nominiert gewesen war.

Als den Auser­wählten das freudige Telegramm erreichte, saß dieser jedoch nicht am Donau­ufer, sondern statt­dessen beim Dinner mit dem Komman­danten eines russischen Kriegs­gefangenen­lagers, das in der Nähe einer antiken Oasen­stadt im Südosten des heutigen Turkme­nistans errichtet war.

Was war geschehen? Unser ausge­bildeter Chirurg hatte sich freiwillig zum medizi­nischen Dienst in der Armee gemeldet. Auch wenn dies gewiss nicht sein Hinter­gedanke war, konnte er dabei die selbst­empfundene mora­lische Pflicht letztlich mit seinen wissen­schaftlichen Inte­ressen verbinden: Mit den vielen Kopf­verletzten landete immer wieder auch konkretes „Studien­material“ auf den Behand­lungs­tischen seines Feld­lazaretts.

Mit dem Fall einer Festungs­stadt im südöstlichen Polen geriet unser Feldarzt jedoch in russische Gefangen­schaft – und wurde in das erwähnte Kriegs­gefangenen­lager deportiert. Aber selbst dort konnte er seine sinnes­neurolo­gischen Studien weiter­führen, da der Kommandant ihn schnell als Mediziner schätzen lernte. Sehr bald wurde er eine Art Lager­arzt, sodass er als „Gefan­gener erster Klasse“ am Ende sogar regel­mäßig mit der Familie des Komman­danten dinieren durfte.

Doch selbst Letzterer konnte nichts am Gefan­genen­status des Gepreisten ändern. Erst nach persön­licher Inter­vention des damaligen schwe­dischen Kron­prinzen direkt beim russischen Zaren wurde er aus dem Lager entlassen. So erhielt er schließlich im dritten Kriegs­jahr den Nobel­preis des Vorvor­jahres.

Die Freude über die Rück­kehr an seine Klinik währte jedoch nur kurz. Offenbar neideten ihm die Kollegen dort den Nobel­preis – und bezich­tigten ihn des Plagiats und der wissen­schaftlichen Unred­lichkeit. Eine Unter­suchung des Karolinska-Instituts fegte die Verdäch­tigungen jedoch vom Tisch, zudem schrieben ange­sehene skandina­vische Kollegen extra ein Paper zu seiner Verteidigung.

Unser Gesuchter hatte damit jedoch genug von der Donau­stadt. Er schnappte seine Frau und die drei Kinder – und ging dorthin, wo sie ihm so wohl­gesinnt schienen: nach Schweden. Dort baute er in der alten Königs­stadt eine medizi­nische Klinik für sein Spezial­gebiet mit auf, wo er den­noch erst zehn Jahre nach der Annahme des Nobel­preises zum „Full Professor“ aufstieg.

Seine Forschung sollte jedoch von da ab wegen zuneh­mender gesund­heitlicher Probleme nicht mehr nennens­wert voran­gehen. Über die Jahre erlitt der einst­malige begeis­terte Berg­steiger und Tennis­spieler mehrere Schlag­anfälle, wodurch er seine letzten Jahre partiell gelähmt verbringen musste. Zwei Wochen vor seinem sech­zigsten Geburts­tag streckte ihn ein letzter Schlag­anfall schließlich vollends nieder.

Damit starb er noch drei Jahre vor einem berühmten „Traum­deuter“, bei dem der ange­hende Chirurg und Sinnes­physiologe Jahr­zehnte zuvor noch studiert hatte. In Träumen zeigen sich unter­drückte Triebe und verbor­gene Wünsche, lautete damals das Credo des Lehrers. Als der Student ihn einmal mit einem Traum konfron­tierte, der offen­bar keinerlei Wünsche offen­barte, antwortete dieser ihm: „Doch, ganz einfach: Du hattest den Wunsch, mich zu widerlegen.“

Wie heißt dessen Ex-Student.

Ralf Neumann

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Letzte Änderungen: 10.12.2019