Editorial

Spannendes schlecht erzählt

(19.12.2019) Renée Schroeder ist eine weltweit anerkannte RNA-Forscherin und Vorbild für Frauen in der Wissenschaft. Leider ist ihre Biografie schlecht geschrieben.
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Kein Zweifel, die Biochemikerin Renée Schroeder ist eine faszi­nierende Frau mit außer­gewöhnlichem Werde­gang und abwechs­lungs­reichem Leben. Aufge­wachsen im Brasilien der Nach­kriegs­jahre als Tochter von luxem­burgischen Auswan­derern erlebte sie eine Kindheit in größt­möglicher Freiheit, bevor sie 1967 als 13-Jährige mit ihrer Familie in die noch immer von der Nazizeit geprägte öster­reichische Kleinstadt Bruck an der Mur zog – für Schroeder eine Art „Kultur­schock“. In beiden Ländern erlebte sie ein – wenn auch völlig unter­schiedliches – konservativ geprägtes Frauen­bild, das sie für sich ablehnte.

Nach der Matura studierte sie in Wien Chemie, da sie aber von der Ent­stehung des Lebens faszi­niert war, sattelte sie kurz darauf auf Biochemie um. Diesem Gebiet, insbe­sondere der RNA-Forschung, blieb sie treu, als sie ihre eigene Arbeits­gruppe gründete. Ihre wissen­schaftliche Karriere führte sie unter anderem nach Paris ans Centre National de la Recherche Scien­tifique, kurz CNRS, zu Piotr Slonimski und nach Albany (USA) ans New York State Department of Health zu Marlene Belfort.

Obwohl mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wittgenstein-Preis, dem höchst­dotierten öster­reichischen Wissen­schaftspreis, begegneten ihr immer wieder Wider­stände in der Männer-dominierten Welt. So musste sie nach der Rück­kehr aus den USA sowohl um ihren Arbeits­platz an der Universität Wien als auch später um ihre Professur kämpfen. Vielleicht deshalb setzte sich Schroeder zeit­lebens für andere Frauen in der Wissen­schaft ein und trat sogar aus Solidarität mit der Anglistin und Wittgenstein-Preis­trägerin Ruth Wodak, der die Aufnahme verweigert worden war, aus der prestige­trächtigen Öster­reichischen Akademie der Wissen­schaften aus. Ihr Mut und ihre Unbeug­samkeit gepaart mit einer unpräten­tiösen und warm­herzigen Art machen Renée Schroeder sicherlich zu Recht zu einem Vorbild für Gene­rationen von jungen Wissen­schaftlerinnen.

Editorial

Geschrieben wie gesprochen

Zumindest der Titel „Alle Moleküle immer in Bewegung“ ist für Schroeders Biografie sehr passend gewählt. Ansonsten konnte sich die Rezen­sentin leider sehr wenig mit dem von der Journalistin Ursel Nendzig verfassten Buch anfreunden. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Biografie und Interview, in dem Fließtext mit Auszügen aus Interview-Mit­schriften abwechseln. Letztere könnten das Buch berei­chern, wären sie tatsäch­lich ergänzend in den Text einge­arbeitet worden. Hier wurden sie jedoch so in den Fließ­text kopiert, dass sich durch­gehend Dopp­lungen ergeben, die auf die Dauer nerven. Auch am Ende des Buches wird vieles wieder­holt, was dem Leser bei einem Umfang von nur etwas mehr als 200 Seiten durchaus noch erinner­lich ist.

Nendzig, von Haus aus Wirtschafts­wissenschaftlerin, und Schroeder haben bereits mehrere Bücher zusammen veröffent­licht, von denen zwei in den Jahren 2012 und 2017 als Wissen­schafts­buch des Jahres ausge­zeichnet wurden. Umso erstaunlicher ist es, wie schlecht das Buch geschrieben ist. Schon auf den ersten Blick wird der Lese­genuss durch das insgesamt niedrige Sprach­niveau getrübt. Dass Schroeders Interview-Mitschnitte eins zu eins in Umgangs­sprache und mit vielen Angli­zismen („cool“ als meist­genutztes Adjektiv!) doku­mentiert werden, kann man noch unter Authen­tizität verbuchen. Im Haupttext fühlte sich die Rezen­sentin von den teil­weise extrem kurzen, nicht immer vollständigen und an gesprochene Sprache anklin­genden Sätzen oft an die Gedan­kenfluss-Methode erinnert: „Aquarelle. Renée hat viele Bilder von ihm. […] Die Amerikaner kamen ihr ober­flächlich vor, sie waren sofort auf ‚Darling‘ […] Dieses irritie­rende Selbst­vertrauen, das fand Renée komisch, eine leere Hülle. […] ein Porträt, das Renée zeigt, grinsend mit einem Fahrrad­helm auf.“

Von banal bis Fachjargon

Allzu deutlich merkt man auch, dass Nendzig keine Natur­wissen­schaftlerin ist und von biolo­gischen Zusammen­hängen wenig versteht. Auch für Laien verständ­lich gemachte wissen­schaftliche Aus­sagen müssen inhaltlich richtig sein. Ein Satz wie „RNA ist sehr unfähig, sich selbst zu falten“ zeigt, dass die Zusammen­hänge höchstens halb, wenn überhaupt ver­standen wurden. Auch eine Kapitel­überschrift „XX-Chromosom“ sollte sich ebenso verbieten wie folgende Aussage: „Zur Genetik, die in der DNA gespeichert ist, kommt Epigenetik dazu, die Ein- und Ausschalter der Gene.“ Aus der Tatsache, dass bei der Atmung ATP erzeugt wird, folgert Nendzig: „Fehlt ATP, muss man stärker atmen.“ Und zur Epigenetik schreibt sie: „Seit mehr als zwanzig Jahren wird dieses Feld erforscht, bei dem es darum geht, wie RNAs regulieren, ob und wie stark Gene ein- und ausgeschaltet sind.“

Vor dem Hintergrund dieses niedrigen wissen­schaftlichen Niveaus irritieren dann Abschnitte über Schroeders Forschung, die eine Fülle von nicht erklärten Fach­ausdrücken aufweisen: „Sie unter­suchte, wie die Releasing-Hormone des Hypo­thalamus – LHRH – auf die Hypo­physen­hormone – LH und FSH – wirken und wie diese dann den Zyklus kon­trollieren.“ Oder an einer anderen Stelle: „Es war bekannt, dass die Aminosäure Arginin eine Guani­dinium­gruppe hat, die eine bestimmte chemische Reaktion, das Splicing von Gruppe-I-Ribozymen, inhibiert.“ Wird hier wirklich noch der wissen­schaftliche Laie ange­sprochen? Schade, das wäre besser gegangen! Wieder einmal sieht man, dass sich komplexe Inhalte am Ende doch nicht beliebig kompri­mieren lassen, und dass (Natur-)­wissenschafts­journalismus von (Natur-)­wissen­schafts­journalisten gemacht werden sollte.

Larissa Tetsch

Ursel Nendzig: Renée Schroeder. Alle Moleküle immer in Bewegung. Residenz Verlag, Salzburg-Wien (2019). 224 Seiten, 24,00 € (Hardcover), ISBN 978-3-7017-3488-7.





Letzte Änderungen: 19.12.2019