Editorial

LJ-Rätsel: Die Pulvertrickserin

(04.02.2020) Dass ein Mönch eine große Rolle in der Bioforschung spielte, ist bekannt. Dass eine gewisse Nonne ebenfalls dazu beitrug, dagegen weniger. Kennen Sie sie?
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Während sie aufwuchs, war viel Krankheit um sie herum. Ihr älterer Bruder hatte Kinderlähmung, ihre Schwester litt an chronischen Herzproblemen, und der hohe Blutdruck ihrer Mutter handelte ihr nach der Geburt weiterer Zwillinge ständige Gedächtnisstörungen ein. Vielleicht war dies der Grund, so sinnierte unsere Gesuchte einmal selbst, dass sie schon sehr früh ein ausgeprägtes Interesse an beidem entwickelte: Medizin und Religion.

Folglich trug sie bereits den weißen Habit der Dominikanerinnen samt schwarzem Schleier, als sie an einem katholischen College im Mittleren Westen der USA Chemie studierte und danach an einem ebenfalls katholischen medizinischen Forschungsinstitut promovierte.

An das College zurückgekehrt, richtete sie ein Labor ein, in dem sie zunächst die Rolle von Hormonen bei der Wundheilung studierte. Mit potenziellen Anwendungsmöglichkeiten immer im Blick entsprang dieser Phase unter anderem eine Creme gegen Hämorrhoiden.

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Doch wie so viele in den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts wurde auch sie bald vom „DNA-Fieber“ gepackt – und landete erst einmal eine fulminante Pleite. Nach einer eingehenden UV-spektroskopischen Analyse verkündete unsere Dominikanerin, dass die Basen im DNA-Strang nicht stabil vorlägen, sondern ständig ihre Formen wechselten. Es dauerte fast zehn Jahre, bis zwei Kollegen diesen Trugschluss geraderückten und ihre Forschung als „fehlgeleitet und minderwertig“ abkanzelten.

Ziemlich zerknirscht von diesem Fiasko beschloss unsere Forscher-Nonne, DNA fortan mit Licht von der anderen Seite des Spektrums zu untersuchen – mit Infrarotlicht. Doch auch das ging anfangs nicht gut, zu schlecht waren die erhaltenen Bilder. Bis sie auf eine zunächst abstrus klingende Idee kam: Sie mischte die DNA mit dem weißen Pulver eines halogenierten Alkalimetalls, formte die Mischung zu festen kleinen Pillen und presste diese zu einen Millimeter dicken Scheiben. Da das Pulvermaterial für Infrarotlicht unsichtbar war, ließen sich die darin eingebetteten As, Cs, Ts und Gs wunderbar untersuchen.

Die Vorteile ihrer neuen Methode fasste sie einmal folgendermaßen zusammen: „Die Auflösung der Spektren war höher, es gab keine störenden Banden und weniger Streuverluste. Konzentration und Homogenität der Probe waren besser kontrollierbar, man konnte sie für weitere Untersuchungen aufbewahren. Und überhaupt konnte man kleinere Proben untersuchen.“

Mit dieser Pulverscheiben-Technik zeigte unsere Dominikanerin schließlich, dass jede Base in der DNA tatsächlich in jeweils nur einer stabilen Struktur vorliegt – nämlich in allen vier Fällen solcherart, dass sie perfekte Wasserstoff­brückenbindungen zuließen. Zudem machte sie mit ihren Bildern klar, dass im DNA-Molekül alle Basen ins Innere der Doppelhelix zeigen.

Bis dahin dachten sämtliche DNA-Pioniere, dass die Basen sich zufällig paaren. Überdies waren deren genaue Strukturen noch nicht geknackt, weshalb sie auch nicht wussten, auf welche Weise die Basen an das Doppelhelix-Rückgrat geheftet sind. Nicht zuletzt deshalb bastelten Watson, Crick und auch Linus Pauling monatelang mit einem Modell herum, in dem die Basen in beliebiger Reihenfolge aus dem Doppelhelix-Rückgrat herausragten.

So gesehen standen Watson und Crick mit ihrem letztlich richtigen Modell der DNA-Struktur am Ende nicht nur auf den Schultern von Rosalind Franklin und ihren Röntgen­strukturbildern, sondern ein kleines bisschen auch auf der Schulter einer Dominikaner-Nonne. Zugegeben, ihr Beitrag war nicht der allerwichtigste – zumal auch ihre früheren Fehler nicht unerheblich zur jahrelangen Verwirrung um die DNA-Struktur beigetragen hatten. Aber dennoch: Ganz ohne sie wäre die Geschichte sicher anders verlaufen, die Watson und Crick plus Maurice Wilkins letztlich den Nobelpreis einbrachte. Und wer weiß, hätte damals nicht diese stets freundlich lächelnde Dame, die auch im Labor Gewand und Haube niemals ablegen durfte, die methodischen Grundlagen zur DNA-Strukturaufklärung entscheidend verbessert, sondern irgendjemand anders – dann hätte diese Geschichte vielleicht sogar einen Dreh zu ganz anderen Preisträgern genommen.

Als Watson und Crick 1962 den Nobelpreis schließlich erhielten, hatte unsere Nonne der Forschung bereits den Rücken gekehrt. Dies obwohl sie einmal sagte, dass Forschung als Mittel der Wahrheitsfindung uns gleichsam auch Gott näherbringen würde. Dennoch verbrachte sie ihre zweite Lebenshälfte ausschließlich im Dienst für ihren Orden. 2002 starb sie im Alter von 89 Jahren.

Wie lautete ihr Ordensname?

Ralf Neumann

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Foto: Pixabay/Anemone123




Letzte Änderungen: 04.02.2020