Editorial

Pleite, Pech und Pannen

(20.02.2020) Der Immuntherapie-Pionier Mologen muss Insolvenz anmelden. In mehr als 20 Jahren ist es nicht gelungen, einen Wirkstoff-Kandidaten zur Marktreife zu bringen.
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Erfolgsgeschichten gibt es einige in der Biotech-Branche: Medigene, Biontech, Morphosys oder Curevac zum Beispiel. All diese Unternehmen sind sehr erfolgreich dabei, mit ihrer Geschäftsidee Kapital einzuwerben, Investoren anzulocken und/oder Umsatz zu machen. Ein verheißungsvoller Produktkandidat ist aber kein Garant für Erfolg, wie die Berliner Mologen kürzlich erfahren musste. Im Dezember meldete der einstige Biotech-Hoffnungsträger Insolvenz an, Anfang Februar eröffnete das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg offiziell das Verfahren. Die Suche nach Geldgebern war final gescheitert.

Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen für die „Pioniere der Immuntherapie“. Damals im Jahr 1998, als Molekularbiologe Burghardt Wittig (Professor an der Freien Universität Berlin) das Unternehmen basierend auf seinen Forschungsergebnissen gründete (er selbst war bis 2007 CEO). Wittig hatte einen DNA-Immunmodulator, einen sogenannten double Stem Loop Immunomodulator, kurz dSLIM, entwickelt. Dieser aktiviert den Toll-Like Receptor 9, welcher von einer ganzen Reihe von Immunzellen exprimiert wird. Die Aktivierung des Rezeptors löst eine Signalkaskade aus, die letztlich zu einer pro-inflammatorischen Cytokin-Antwort führt – das Immunsystem ist bereit zum Gegenangriff. Interessant ist so ein TLR9-Agonist beispielsweise bei bakteriellen und viralen Infektionen sowie bei Krebs.

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Gleich an die Börse

Noch im Gründungsjahr ging Mologen, ganz ungewöhnlich, an die Börse. Finanzierte sich also rein über den Aktienmarkt. Bereits zwei Jahre später wollte man ein marktfähiges Produkt in Händen halten.

Mologens Hoffnung ruhte vor allem auf einem Molekül namens MGN1703 oder Lefitolimod: ein synthetisches DNA-Molekül nach dem dSLIM-Prinzip, also mit zwei einsträngigen DNA-Ringen (Loops) an beiden Enden, verbunden durch ein doppelsträngiges Mittelstück (Stem). Diese geschlossene Konformation ohne chemische Modifizierungen sollte das Molekül stabiler machen und Off-Target-Effekte verringern. „Durch das Imitieren von bakteriellen DNA-Motiven und die Bindung an den verantwortlichen Rezeptor (Toll-Like-Rezeptor 9, TLR9) löst Lefitolimod eine breite vorteilhafte Aktivierung des Immunsystems aus, ohne allgemeine Entzündungsreaktionen hervorzurufen,“ heißt es auf der Firmen-Webseite. Weiterhin arbeiteten die Berliner an der nächsten Generation dieses TLR-9 Agonisten (genannt EnanDIM) „mit einer einzigartigen Molekülstruktur, die auf der Chiralität der DNA-Bestandteile basiert“. Im therapeutischen Blick hatte Mologen vor allem Darm- und Lungenkrebs sowie HIV-Infektionen.

Falsche Entscheidungen

Dazu wird es jetzt wohl nicht mehr kommen. Für das Aus gibt es mehrere Gründe. Ein Grund sind, im Nachhinein betrachtet, sicherlich falsche Richtungsentscheidungen. So fasste die Führungsetage im Sommer 2016 den Entschluss, die Forschungsaktivitäten innerhalb des Unternehmens mehr oder weniger einzustellen und sich vor allem auf das Hauptprodukt Lefitolimod zu konzentrieren. Entsprechend wurden Firmenstandorte dicht gemacht und Mitarbeiter entlassen. „Wir fokussieren uns auf die Werttreiber“, sagte Vorstandsvorsitzende Mariola Söhngen damals. Fest darauf vertrauend, dass die Marktzulassung des TLR-9-Agonisten nur eine Frage der Zeit ist.

Ein weiterer Grund für das Aus: Mit der Auslizensierung von Lefitolimod sollte wieder Geld in die leeren Kassen von Mologen gespült werden. Tatsächlich war man sich 2018 fast einig mit dem US-amerikanischen Unternehmen Oncologie. Die Vereinbarung sah vor, dass sämtliche Rechte an geistigem Eigentum und alle anderen Rechte an Lefitolimod an Oncologie übertragen werden – der Deal aber platzte. „Die Verhandlungen mit Oncologie führten innerhalb des gesetzten Zeitrahmens nicht zu einem für beide Seiten zufriedenstellenden Abschluss und wurden daher beendet,“ schrieb Mologen damals in einer Pressemitteilung. Soll heißen: Oncologie hatte nicht genug Geld geboten (laut Mologen: weniger als zuvor vereinbart).

Hinzu kam ein Streit unter den Aktionären. Mehrere Minderheitsaktionäre warfen der Mologen-Führung vor, den Hauptaktionär zu bevorteilen und ihm „vermutlich mithilfe pflichtwidriger Entscheidungen“ billige Aktien zugeschustert zu haben. Grund genug für die ARD Börse im Februar 2019 eindrücklich zu warnen: „Hände weg von Mologen“. Der schon tieffliegende Aktienkurs ging weiter auf Talfahrt.

Wirkungsloser Wirkstoff

Der letzte Sargnagel war dann wohl die Pleite bei einer Phase-3-Studie, die Lefitolimod in Patienten mit metastasiertem Kolorektal-Karzinom testete. Im Sommer 2019 nach Auswertung der Daten stand fest: der primäre Endpunkt (Gesamtüberleben) wurde nicht erreicht und auch in allen Untergruppen schnitt der Wirkstoff-Kandidat nicht besser ab als die Standardtherapie. Ernüchternd! Dennoch gab sich Mologen zunächst kämpferisch. Man wolle prüfen, ob Lefitolimod nicht zusammen mit anderen Wirkstoffen tauge, in Kombinationsansätzen z. B. mit Checkpoint-Inhibitoren.

Am Ende ging Mologen einfach das Geld aus. Aus dem letzten Geschäftsbericht des Unternehmens: „Das EBIT [Betriebsergebnis] des Zeitraums Januar-September 2019 belief sich auf -10,3 Mio. Euro, davon -2,8 Mio. Euro im dritten Quartal 2019. Im gesamten Berichtszeitraum wurden keine nennenswerten Umsatzerlöse verbucht.“ Nicht gerade viel für eine Firma, die eigentlich bereits drei Jahre nach Gründung Gewinne einfahren wollte. So kommt letztlich die Insolvenz wegen „Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung“ nicht überraschend.

Besser kombiniert?

Was aber passiert nun mit Lefitolimod? Immerhin hatte die Phase-3-Studie gezeigt, dass der Wirkstoff eine Immunreaktion auslöst und dass er sicher und verträglich ist. Tatsächlich laufen derzeit noch einige klinische Studien. Zusammen mit dem MD Anderson Cancer Center testet Mologen als „Collaborator“ Lefitolimod in Kombination mit einem therapeutischen Antikörper (Ipilimumab) bei Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren (Phase 1). Im November startete die Phase-2a-Studie TITAN, bei der Lefitolimod zusammen mit Virus-neutralisierenden Antikörpern in der Behandlung von HIV-infizierten Patienten untersucht wird. Finanziert wird die Studie nicht von Mologen, sondern vom US-Pharma-Riesen Gilead. Weitere Studien mit den Lefitolimod-Nachfolgermolekülen sollten dieses Jahr beginnen.

Unklar ist, wie es nun genau mit Mologen weitergeht. Gründer Wittig soll selbst auch nochmal darüber nachgedacht haben, zu investieren und das Ruder zu übernehmen. Daraus wurde offenbar nichts.

Kathleen Gransalke

Foto: Pixabay/Chronomarchie






Letzte Änderungen: 20.02.2020