Editorial

Gefangen im Nano-Labyrinth

(25.03.2020) Mit einem portablen „Virenfänger“ kann man Viren in klinischen Proben anreichern und in wenigen Minuten mithilfe der Raman-Spektroskopie identifizieren.
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Viren übertreffen sämtliche andere biologischen Einheiten in mehrerlei Hinsicht. Weltweit gibt es circa 1,7 Millionen Virenstämme – und damit mehr als Bakterien- und Archaenstämme zusammengenommen. Viren entwickeln sich spontan und unvorhersagbar. Die Entwicklung von Diagnoseverfahren kann damit kaum Schritt halten, von Impf- oder Therapiestoffen ganz zu schweigen. Für die Diagnose muss beispielsweise erst einmal genug Material vorliegen, um überhaupt etwas analysieren zu können. Ein US-Forscherteam um den Materialwissenschaftler Mauricio Terrones von der PennState University entwickelte ein Verfahren, mit dem man beliebige Viren aus klinischen Proben der Größe nach sortieren und identifizieren kann.

Klassische Nachweis-Methoden für Viren basieren auf zeitaufwendigen Techniken, etwa Ultrazentrifugation, Virus-Vermehrung mit entsprechenden Zellkulturen sowie Genom-Amplifikationen via PCR. Zudem verzerren diese Nachweise die ursprüngliche Zusammensetzung, wenn in der Probe mehrere Virenstämme vorliegen. Besser wäre es, die Viren „einzufangen“ und direkt zu identifizieren.

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Wellenförmige Nanoröhrchen

Terrones‘ Gruppe fängt die Viren mit einem winzigen abgestuften Labyrinth aus Nanoröhrchen ein, die wellenförmig in einem definierten Abstand voneinander aufgereiht sind. Die Struktur ähnelt einem S, das mit feinen 70 µm kurzen, senkrecht zur Oberfläche eingestochenen Nadeln auf einem schmalen Streifen wiederholt hintereinander angeordnet ist. Der Abstand zwischen den einzelnen S-förmigen Strukturen ist die „intertubular distance“ (ITD). In diesen Zwischenräumen bleiben die Viruspartikel stecken, wenn ihre Größe der ITD entspricht.

Mit einer senkrecht zur Oberfläche angesetzten Spritze wird die Probenflüssigkeit am Anfang des Streifens appliziert und wandert durch das S-förmige Nanolabyrinth. Letzteres besteht aus mehreren Zonen. Eingangs haben die S-Strukturen einen Abstand von beispielsweise 400 Nanometern, dann folgt eine Zone mit 140 Nanometern und zum Schluss eine mit 25 Nanometern. Die S-Strukturen dienen der Größensortierung sowie der Verwirbelung. Fließt die Flüssigkeit allmählich mit circa 0,5 Milliliter pro Minute von der ersten Zone in die zweite und dritte, so bleiben zuerst die großen, dann die mittleren und schließlich die ganz kleinen Viruspartikel wie in einem Labyrinth an den Nanostrukturen hängen. Mauricio Terrones und sein Team gaben ihrem Virenfänger deshalb den Namen „VIRRION“ (Virus capture with rapid Raman spectroscopy detection and identification).

Mit Gold überzogen

Die mit einem ausgeklügelten aber schnellen Prägeverfahren hergestellten S-Strukturen aus Nanotubes werden mit Nanopartikeln aus Gold überzogen, um das Signal-zu-Hintergrund-Verhältnis bei der Raman-Spektroskopie (Surface-enhanced Raman spectroscopy, SERs) zu verbessern, mit der die eingefangenen Viren detektiert werden. Die Raman-Spektroskopie kann anhand der jeweiligen charakteristischen Schwingung (Fingerprint) ein Virus bis zum Einzelmolekül genau erkennen.

In einem Dummy-Lauf testeten die Forscher die VIRRION-Plattform zunächst mit unterschiedlich großen Silikapartikeln: große (400 nm), mittlere (140 nm) und kleine (25 nm), die jeweils mit einem anderen Fluoreszenz-Farbstoffmarker gelabelt waren. Wie gewünscht wurden die Partikel in den S-Zonen des Labyrinths sortiert. Unter dem Fluoreszenz­mikroskop sahen die Forscher, wie 400 nm-Partikel in der ersten Zone stecken blieben, während 140 nm- und 25 nm-Partikel weiter durch das Labyrinth wanderten und schließlich in den Zonen 2 und 3 festsaßen. Hier und da rutschen ein paar Partikel durch oder blieben in dem Labyrinth frühzeitig hängen. Die am Ende austretende Lösung kann man jedoch einfach erneut laden und so die Anreicherungs­effizienz steigern.

Gut sortiert

Bei einem Test mit verschiedenen Viren, wie zum Beispiel Influenza A und HPIV 3, lief ebenfalls alles nach Plan: Die Viren wurden größenabhängig sortiert, das ermittelte relative Mengenverhältnis spiegelte ihre ursprüngliche Mischung wider. Die in den jeweiligen Zonen fixierten Viruspartikel blieben intakt und konnten für anschließende RNA-Extraktion, Immunfärbung, Kultivierung oder NGS-Analysen verwendet werden.

Gegenwärtig sammelt Terrones Team die Raman-Spektren verschiedener Viren in einer Datenbank, um sie mit der VIRRION-Plattform zuverlässig identifizieren zu können.

Andrea Pitzschke

Yeh, Y. et al. (2020): A rapid and label-free platform for virus capture and identification from clinical samples. PNAS, 117(2):895-901

Foto: Pixabay/Alexas_Fotos




Letzte Änderungen: 25.03.2020