Editorial

Der falsche Review zur falschen Zeit

(12.06.2020) Aus unserer Reihe 'Anekdoten aus dem Forscherleben': Wie ein aktueller Review einem viele wohlverdiente Zitierungen rauben kann.
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Das Feld war „heiß“, seit Jahren schon. Wer wirklich Neues zur Apoptose in einem der Edel-Bätter publizieren konnte, durfte mit einem Haufen Zitierungen rechnen. Mehrere Hundert in den zwei bis drei folgenden Jahren waren üblich.

Schlatt, Leiter einer Nachwuchsgruppe, stand kurz vor solch einer „Zitate-Explosion“. Die Resultate seiner Gruppe waren neu, eindeutig und bestätigt, das Manuskript gestern an Nature geschickt. Und insgeheim sah Schlatt schon allwöchentlich die Zahlen durch die Datenbank rattern: Times cited: 23, ... Times cited: 78, ... Times cited: 145, ... Times cited: 238, ..."

Doch etwas machte ihm klitzekleine Sorgen. Rockman, der große, alte Emeritus und Apoptose-Pionier aus Berkeley, hatte ihn vor vier Wochen angerufen. Er schreibe einen Review für Cell, erzählte er ihm. Ob er nicht etwas Neues habe, das er ihm jetzt schon mitteilen könne – oder gar als Draft schicken. Schließlich dauere es ja noch eine ganze Weile, bis der Review kommen solle.

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Gutachter-Schikanen?

Schlatt war platt ob solcher Ehre. Dass Rockman ihn überhaupt kannte. DER Rockman, der in den letzten Jahren regelmäßig als ganz heißer Kandidat für Stockholm gehandelt wurde. Fast schwindelig ob solcher Wertschätzung hatte sich Schlatt umgehend an den Rechner gesetzt und Rockman mit den „besten Grüßen“ sein Manuskript gemailt.

Nature stellte sich quer. Ungewöhnlich lange dauerte es, bis Schlatt überhaupt etwas hörte. Und dann sollte er sogar noch ein paar Experimente nachliefern. Reine Gutachter-Schikane, fluchte er.

Schlatt schrieb nur geringfügig um und schickte das Manuskript zu Science. Doch hier das gleiche Spiel. Absichernde Experimente forderten die Gutachter. Als ob die Sache nicht klar wäre. Aber was sollte er machen? Zwei Monate dauerte die „überflüssige“ Arbeit. Und Schlatt ärgerte sich. Verschwörungstheorien nahmen Gestalt an: „Ob Rockman...? Einfluss hat er ja. Ach Quatsch, der ist doch emeritiert.“

Als Schlatt schließlich vier Monate später das Science-Heft mit seinem Artikel in den Händen hielt, war aller Ärger weggeblasen. Jetzt also Zitierungen zählen. Nach zwei Monaten war er bereits bei 18, das war viel für die kurze Zeit. Nach vier Monaten waren es 26… – hm, na ja. Nach sechs Monaten waren es... immer noch nur 32? Was war los?

Dümpelnde Zitierungen

Rockmans Review war erschienen. Unerwartet schnell. Nur drei Monate nach Schlatt. Eigentlich kein Wunder, denn Rockman saß immer noch im Editorial Board von Cell. Der Review hatte natürlich alle Schlüsselresultate von Schlatt mit drin. Und die wurden jetzt bei Rockman zitiert. Wer kannte schon Schlatt, trotz Science-Paper?

Zwei Jahre später schwebte der Rockman-Review satten 600 Zitierungen entgegen, Schlatts Originalarbeit dümpelte immer noch bei unter 60.

Ralf Neumann

Foto: AdobeStock / lucid_dream

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden.)

 

 



Letzte Änderungen: 09.06.2020