Editorial

Für den Nach(t)tisch

(18.06.2020) Kurz und knapp in 66 Kapitelchen präsentieren Jürgen Tautz und Tobias Hülswitt „Das Einmaleins der Honigbiene“. Uli Ernst hat das Buch für uns gelesen.
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Der Hype um die Honig­bienen lässt nicht nach, das merken auch die Verlage und bringen jedes Jahr eine Vielzahl neuer Bücher heraus. Wobei neu relativ ist, gele­gentlich scheint die Devise zu gelten: Es wurde schon alles gesagt, aber noch nicht von mir.

Hier liegt der Fall etwas anders: es wurde schon alles gesagt, aber noch nicht so. Was soll ein Wissen­schaftler auch tun, wenn er schon mehrere Bücher zum Thema veröffent­licht hat, in der Zwischenzeit aber keine nennens­werten neuen Erkennt­nisse dazu­gekommen sind? Richtig, man veröffentlicht das Gleiche nochmal, nur in anderer Form. Gerne im Zusammen­spiel mit einem Literaten, der womöglich für die flotten, bemüht flotten, und etwas angestrengten Formu­lierungen zuständig ist – oder sie nicht verhindert.

Editorial

Im vorliegenden schmalen, handlichen Bändchen wird aktuelles Honigbienen-Wissen im Reader’s-Digest-Format häppchen­weise angeboten: Für jedes der 66 Kapit­elchen ist genau eine (!) Seite vorgesehen, und die wird in den seltensten Fällen ganz genutzt. Dafür gehört zu jedem „Kapitel“ (ich hätte ja gerne „Schlagwort“ gesagt, aber was erwarten Sie unter einem „Schlagwort“ wie „Wenn der Spitzwegerich winkt“, „Mystische Versammlung“, „Wandernde Wolke“? Genau.) eine ganzseitige Graphik, die häufig versucht, das Thema aufzugreifen. Manchmal ganz gelungen, etwa wenn zum Thema Super­organismus viele Bienen so angeordnet werden, dass eine menschliche Figur erkennbar wird. Und manchmal etwas nichts­sagend – dann wird eine stilisierte Biene mit einer oder mehreren Blüten gezeigt.

Mich erinnern die meist dichromaten, in gedeckten Farben gehaltenen Graphiken, die Sina Schwarz für dieses Buch angefertigt hat, an Siebdrucke (auch wenn meine Grundschul­zahnbürsten­spritzbilder nicht so kunstfertig waren). Dass der Biene ein geringelter Hinterleib und Füße verpasst wurden, gehört zur künstlerischen Freiheit und stört vielleicht nur den pedantischen Rezensenten, der bei seinen bisherigen Studien an seinen Bienen keine Ringel finden konnte.

Eben weil die Kapitel-Titel oft erst verständlich werden, wenn man den Eintrag gelesen hat, kann man nicht ohne Weiteres hin und her springen und das Buch als Lexikon nutzen. Es empfiehlt sich also die Einhaltung der üblichen Reihenfolge, zumal viele Kapitel nur im Zusammen­hang zu verstehen sind: manche Themen lassen sich nicht sinnvoll auf eine Seite runterbrechen.

Damit sie dennoch ins Korsett, Pardon: Konzept der knappen einseitigen Information passen, wurden diese Themen einfach auf mehrere zusammen­hängende Kapitel verteilt. Wer sich also zum berühmten Schwänzeltanz informieren möchte, sollte nicht nur den Abschnitt „Der Schwänzeltanz“ lesen, sondern auch die darauf­folgenden Seiten, denn bei einem so komplexen Verhalten gibt es viel zu erklären. Wie erklärt eine „tanzende“ Biene die Richtung, die andere einschlagen sollen, wenn sie zur Futterquelle gelangen wollen, und wie die Entfernung? Wie misst eine Biene überhaupt die Entfernung? Und wie finden motivierte Tänzerinnen und interessierte Samm­lerinnen einander im Dunkel des Bienen­stocks? Die Antworten finden sich dann prägnant und gut verständlich auf wenigen Zeilen. Und weil es so interessant ist, blättert man gleich um und liest den nächsten Eintrag, und den über­nächsten auch gleich noch.

Überraschend sind mehrere kleine Fehler, die sich einge­schlichen haben; so wird aus der gesamten Entwick­lungsdauer vom Ei über Larve und Puppe zum Imago im Buch ein „Larvenstadium“, und bei einem Flugradius von 4 km kommen die Autoren auf ein Sammel­gebiet von 100 Quadrat­kilometern (statt immer noch beeindruckenden 50 km2).

Das erklärte Ziel des Autoren­duos ist es, Faszination für die Honigbienen zu wecken. Das dürfte ihnen gelingen, denn die wichtigsten Faktoren kommen hier zusammen: ein Sympathie­träger unter den Insekten (gleich nach den Hummeln); eine hoch­interessante Biologie; eine aktuelle gesell­schaftliche Debatte; der gelegent­liche Vergleich zu uns Menschen; kenntnis­reiche Autoren; und leicht­verdauliche Informations­häppchen.

Nett ist auch, dass dem gedruckten Buch der Zugang zur elektronischen Fassung mitgegeben wurde – wer mag, kann also auch nochmal im PDF nachlesen oder nach einer Passage suchen, selbst wenn das Buch in die Badewanne gefallen sein sollte.

Die Frage sei erlaubt, warum man die Information der 66 nicht ganz gefüllten Textseiten nicht auf 50 Seiten präsentiert? Weil es dann nur noch eine Broschüre wäre? Honi soit qui mal y pense.

Wer mehr Informationen sucht, wird im Band „Phänomen Honigbiene“ von Jürgen Tautz (Spektrum Akademischer Verlag, 2007) fündig. Die erzählerischen Qualitäten sind dieselben, der Informations­gehalt um ein Vielfaches höher, und die gestochen scharfen Bilder von Helga Heilmann begeistern. Wer nur sehr wenig Zeit hat und sich bisher nicht recht für die Honigbienen begeistern konnte, findet im „Einmaleins“ einen leichten Zugang und wird sich vielleicht anstecken lassen von der Faszination der Bienen.

Uli Ernst

Bild: Pixabay/Capri23auto (Wiese) & Springer (Buch)

Jürgen Tautz und Tobias Hülswitt:
Das Einmaleins der Honigbiene . 66 x Wissen zum Mitreden und Weitererzählen
Mit Illustrationen von Sina Schwarz

Springer-Verlag, Berlin Heidelberg, 2019
ISBN-13: 978-3-662-58368-5 (mit eBook)
Hardcover
147 Seiten
€ (D) 19,99 | € (A) 20,46 | SFR 22,90

ISBN 978-3-662-58369-2 (eBook)
€ (D) 14,99







Letzte Änderungen: 18.06.2020