Editorial

Gar nicht nebulös

(09.07.2020) Das Hände­desinfektionsmittel des Greifswalder Start-ups Nebula Biocides macht Viren, Bakterien und Sporen platt – und zwar haut­freundlich.
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… Das haben die Physiker und Geschäfts­führer Jörn Winter (Foto, rechts) und Ansgar Schmidt-Bleker sogar im Selbstversuch getestet.

Herr Winter, Herr Schmidt-Bleker, während der Corona-Pandemie haben Kinder gelernt: Beim Hände­waschen zweimal Happy Birthday singen, dann sind die Hände sauber ...
Ansgar Schmidt-Bleker: [lacht] Nicht nur Kinder!

Aber dank Ihrer Erfindung könnte damit bald Schluss sein, denn Sie sagen, Ihr Desinfektions­mittel Sporosan wirkt innerhalb von wenigen Sekunden sporizid und viruzid. Wie funktioniert das?
Jörn Winter: Wir haben zwei Ausgangs­stoffe, Wasserstoff­peroxid und eine Nitritlösung. Bringt man die zusammen, reagieren sie miteinander. Dabei entsteht ein kurzlebiger Wirkstoff, ein kleines Molekül, das in Zellen oxidativen Stress verursacht und sie damit abtötet. Das funktioniert bei Bakterien, Sporen und Viren. Das Coronavirus ist ein behülltes Virus, das lässt sich leicht inaktivieren. Deutlich robustere Viren, wie das unbehüllte Poliovirus, haben wir in einem akkreditierten Labor testen lassen, und selbst die waren nach 30 Sekunden inaktiviert.


Schmidt-Bleker: Die Wirkzeit ist aber abhängig von der Anwendung. Wir können die Wirkstoff-Freigabe gut steuern, je nachdem, ob wir zum Beispiel eine technische Dekonta­mination in einem abge­schlossenen Raum machen oder aber eine Hände­desinfektion am offenen Spender. In letzterem Fall ist die Wirkzeit länger, denn man schafft es nicht, in fünf Sekunden die Hände ausreichend zu benetzen und den Wirkstoff überall hinzubringen. Diese Verteilzeit müssen wir auch berück­sichtigen. Deshalb empfehlen wir für die Hände­desinfektion 30 Sekunden, auch wenn unter Labor­bedingungen vielleicht bereits nach fünf Sekunden alle Keime inaktiviert sind.

Editorial

Wie sieht es denn mit der Haut­verträglichkeit aus? Auch die Haut besteht ja aus Zellen, die oxidativen Stress vermutlich ebenso wenig vertragen wie Bakterien.
Schmidt-Bleker: Richtig, ein Biozid unterscheidet prinzipiell nicht zwischen einer Bakterien­zelle und einer humanen Hautzelle. Aber unsere Haut hat das Stratum corneum, eine Hornschicht aus abge­storbenen Hautzellen. Der Wirkstoff zerfällt bereits 0,8 Sekunden nach seiner Entstehung wieder und hat daher keine Möglichkeit, in tiefere Haut­schichten einzudringen. Außerdem haben wir noch den Säure­schutzmantel der Haut, der eigentlich eine Art pH-Gradient ist. In den lebenden Zellen liegt der pH-Wert typischer­weise bei etwa 7, während er im äußeren Stratum corneum bei 4 bis 5 liegt. Die beiden Ausgangs­stoffe des Desinfektions­mittels reagieren jedoch ausschließlich in saurem Milieu. Sollten also beide Komponenten getrennt voneinander in tiefere Hautschichten eindringen, bilden sie dort trotzdem keinen bioziden Wirkstoff.
Winter: Sporosan wurde auf negative Effekte und sogar Mutagenität getestet, auch im Tierversuch. Es traten keine Neben­wirkungen auf, nicht einmal Rötungen oder Entzündungs­reaktionen der Haut.
Schmidt-Bleker: Und natürlich haben wir beide das selbst auch auf die Hände gemacht. [beide lachen]
Winter: Ja, in einem Dauerversuch.

Damit ist der Wirkstoff sogar verträglicher als zum Beispiel Alkohol-basierte Desinfektions­mittel, die auf Dauer die Haut reizen. Was kann Sporosan denn noch alles?
Winter: Ein wesentlicher Vorteil ist, dass es gegen Bakterien­sporen wirkt. Die sind teilweise sogar resistent gegen Hitze und Alkohol. In Kranken­häusern treten immer wieder Infektionen mit dem Darmbakterium Clostridium difficile auf, das hartnäckige Sporen bildet. Im Klinikalltag ist eine konsequente Hände­desinfektion nicht immer einfach und vor allem zeitaufwändig. Sporosan inaktiviert auch Clostridien-Sporen innerhalb von 30 Sekunden. Es gibt aktuell kein Hände­desinfektions­mittel, das bakterizid, viruzid und sporizid ist. Unsere Vision ist, dass wir irgendwann in Kranken­häusern ein Hände­desinfektions­system haben, bei dem man sich keine Gedanken machen muss, welche Klasse von Wirksamkeit es erfüllt, weil es einfach optimal gegen alles wirkt.
Schmidt-Bleker: Hinzu kommt noch, dass wir aus gut lagerbaren Konzentraten schnell und lokal sehr große Mengen an Desinfektions­mittel günstig herstellen können. 80 Liter Konzentrat ergeben etwa 1.500 Liter Desinfektions­mittel, mit dem man eine Station mit sechs Spender­auslässen über ein Jahr betreiben kann.

Momentan fehlt Ihnen aber noch die Zulassung. Wo hakt‘s?
Schmidt-Bleker: Die Biozid-Zulassung ist sehr aufwändig, denn es handelt sich um einen neuen Wirkstoff. Das kann drei bis vier Jahre dauern. Die Zulassung der Produkte dauert dann noch einmal ein bis zwei Jahre.

Apropos Biozid, das ist ein eher negativ konnotierter Begriff. Sie haben Ihre Firma Nebula Biocides genannt. Warum?
Winter: Da muss ich etwas ausholen. Wir haben uns am Leibniz-Institut für Plasma­forschung und Technologie seit 2010 mit der Wechsel­wirkung von Plasmen, also ionisierten Gasen, mit biologischen Systemen beschäftigt. Im Fokus standen plasma-medizinische Anwendungen, etwa bei chronischen Wunden. Wir haben beobachtet, dass immer ein Flüssig­keitsfilm über den Wunden ist. So kam zwangsläufig die Frage auf, wie das Plasma mit der Flüssigkeit interagiert und wie man eine Plasmaquelle derart optimieren kann, damit diese Flüssigkeit dann antimikrobielle Eigenschaften aufweist. Die Plasmaquelle erzeugte einen Sprühnebel, der als Nebula bezeichnet werden kann. Das fanden wir gut, auch wenn wir inzwischen ja gar kein Plasma mehr nutzen. 2016 hatten wir die wesentlichen Prozesse so weit extrahiert, dass wir für die Erzeugung der reaktiven Moleküle gar keine Plasmaquelle mehr brauchten. Die rein chemische Herstellung ist deutlich günstiger und einfacher zu handhaben. Zum zweiten Namensteil: Biozid ist in der Tat negativ behaftet, aber letztendlich die korrekte Bezeichnung für einen Stoff, der ungewollte Organismen bekämpft. Wir haben uns also für diesen Namen entschieden und heißen nun Nebula Biocides.

Die Fragen stellte Sigrid März


Steckbrief Nebula Biocides
Gründung: 2019
Sitz: Greifswald
Mitarbeiter: 2
Produkt: Biozides Zwei-Komponenten-Desinfektions­system auf Wasserbasis

Bild (2): Nebula Biocides







Letzte Änderungen: 09.07.2020