Editorial

Riskantes Badevergnügen

(13.07.2020) So mancher Urlauber verbringt gern ein paar Sommer­tage an der Ostsee. Das Baden kann aber gefährlich sein – Bakterien lauern im warmen Wasser.
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Die derzeitigen Einschrän­kungen beim Reiseverkehr aufgrund der Corona-Pandemie führen dazu, dass viele Menschen diesen Sommer lieber zu Hause oder zumindest innerhalb der deutschen Grenzen bleiben. Immerhin gibt es auch hier schöne Orte von den Alpen bis zur Nord- und Ostsee­küste. Schon seit Jahren erfreuen sich die Strände Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns mit den bekannten Inseln Fehmarn und Rügen zunehmender Beliebtheit.

Als Binnenmeer wird die Ostsee kaum von Gezeiten beeinflusst, es gibt wenig Seegang und der Salzgehalt ist vergleichs­weise niedrig – all das verspricht ein perfektes Bade­vergnügen, auch für Kinder und ältere Personen. Nicht umsonst befinden sich an der Ostküste jede Menge (teure und überlaufene) Kurorte. Neuerdings gibt es im Sommer jedoch immer wieder vereinzelte Meldungen über tödlich verlaufende Infektionen nach einem Ostseebad. So starb im Jahr 2019 eine 90-jährige Frau an einer Infektion mit Bakterien der Gattung Vibrio, während vier weitere Infizierte erfolgreich behandelt werden konnten. Bereits 2018 starben drei von insgesamt 18 Erkrankten. Was steckt dahinter?

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Vielseitige Opportunisten

Vibrionen sind im Süß- und Salzwasser weit verbreitet. Viele Arten leben auf oder sogar symbiotisch in Meeres­tieren wie Fischen, Krebstieren oder Tinten­fischen. Andere wiederum sind berüchtigt dafür, in Aquakulturen, in denen Fische und Krebstiere auf engem Raum gehalten werden, großen Schaden anzurichten. Auch für Menschen werden Vibrio-assoziierte Infektionen manchmal gefährlich: So kann der Verzehr von mit Vibrio para­haemolyticus infizierten Meerestieren schwere Magen-Darm-Erkrankungen hervorrufen.

Zu den besonders gut an Brackwasser angepassten Arten, wie man es in der Ostsee mit ihrem Salzgehalt von nur acht Promille und auch in der Nordsee im Mündungs­bereich von Flüssen findet, gehören zwei weitere potenzielle Krankheits­erreger der Gattung: Vibrio cholerae und V. vulnificus. Zwar lösen nicht alle V.-cholerae-Stämme Cholera-Epidemien aus, aber auch die sogenannten Nicht-Cholera-Vibrionen, die in Nord- und Ostsee vorkommen, können schwere Wund­infektionen verursachen. Dasselbe gilt für V. vulnificus, der darüber hinaus als Verursacher von tödlichen Lebens­mittel­vergiftungen und Blut­vergiftungen bekannt ist.

Die Behandlung von Vibriosen erfolgt meist mit einer Kombination aus Cephalo­sporinen und Tetra­zyklinen. Dennoch verläuft rund ein Viertel aller Wund­infektionen durch V. vulnificus tödlich, während eine Blut­vergiftung oder ein septischer Schock durch bakterielle Endotoxine die Prognose sogar noch verschlechtern. Generell sind die meisten Vibrionen allerdings eher oppor­tunistisch, das heißt, sie stellen vor allem für alte und immun­geschwächte Personen mit Vor­erkrankungen wie Diabetes, Krebs und Leber­erkrankungen eine Gefahr dar.

Badewanne Ostsee

Vibrionen sind zwar natürliche Bewohner der Ostsee, doch sie bevorzugen eigentlich höhere Temperaturen. Im Zuge des Klima­wandels steigen die Wasser­temperaturen aber auch in der Ostsee immer öfter auf über 20 °C. Den Badegast freut es, aber gleichzeitig fördern höhere Temperaturen auch das Bakterien­wachstum. So war es wohl kein Zufall, dass Vibriosen ausgerechnet im besonders heißen Sommer 2018 drei Todesopfer forderten. Bereits im Jahre 2012 haben Craig Baker-Austin et al. auf dieses Problem aufmerksam gemacht, als sie berechneten, dass die Temperatur des Ober­flächen­wassers in der Ostsee in den Jahren 1982 bis 2010 durchschnittlich um 0,063–0,078 °C pro Jahr zuge­nommen hatte (Nat Clim Chang, 3: 73). Vor allem kurzfristige Temperatur­spitzen führten zu einer unerwarteten Vermehrung von Vibrionen im Meerwasser.

Auch für die Nordsee – mit einer seit den 1960er Jahren durch­schnittlichen Temperatur­zunahme von 0,4 °C pro Dekade eines der sich am schnellsten erwärmenden Meere weltweit – gibt es aktuelle Erhebungen (Sci Total Environ, 707:136113). „In unserer Studie haben wir das Vorkommen von verschiedenen Patho­genitäts­genen der Arten V. para­haemolyticus, V. vulnificus und V. cholerae untersucht“, so Erstautorin Sidika Hackbusch. „Wir wissen, dass diese Patho­genitäts­gene in der Nordsee-Population präsent sind. Das könnte dazu führen, dass sich durch genetischen Austausch hoch­pathogene Stämme bilden.“

Für die Studie des Alfred-Wegener-Instituts hatte ein Schiff über ein Jahr lang einmal im Monat einen 62 Kilometer langen Abschnitt von der Elbemündung bis zur Insel Helgoland abgefahren und Wasser­proben genommen. Vor allem in Gebieten mit niedriger Salinität wie im Bereich von Fluss­mündungen waren die Vibrionen vertreten. Sie traten im Frühjahr ab einer Temperatur von über 17° auf und blieben im Herbst bis zu einer Temperatur von 13,3 °C nachweisbar.

Besonders beunruhigend war der erstmalige Nachweis eines V.-cholerae-Isolats vom Serotyp O139 – neben O1 der zweite Serotyp, der als Erreger der Cholera bekannt ist. Das Nordsee-Isolat besaß jedoch nicht die Fähigkeit zur Bildung von Choleratoxin. Trotzdem empfiehlt Hackbusch, zukünftig das Vorkommen und die Pathogenität von Vibrionen in der Nordsee systematisch und langfristig zu untersuchen. „Auch in der Nordsee kommt es zu Vibriosen. Aber leider gibt es keine Meldepflicht für diese Infektionen an die Gesund­heitsbehörden, was wahrscheinlich dazu führt, dass (auch) in der Nordsee Infektionen unterschätzt werden“, so die Mikrobiologin.

Vorsicht ohne Panik

An der mecklenburg-vorpom­merischen Küste überwacht das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Rostock (Lagus) ab einer Wasser­temperatur von 20 °C an sieben Stellen das Vorkommen von Vibrionen. In Schleswig-Holstein wird laut Auskunft des Landes­sozial­ministeriums nicht standard­mäßig nach Vibrionen gesucht, doch in den Jahren 2011 bis 2016 haben verschiedene Sonder­untersuchungen in der Kieler Förde und der Schlei V. para­haemolyticus, V. vulnificus und V. cholerae nachweisen können und zwar vor allem im Flach­wasser bei entsprechend hohen Temperaturen.

Badeverbote aufgrund der Gefahr von Vibriosen seien, so Lagus-Direktor Heiko Will gegenüber dem Nordkurier, nicht sinnvoll, da die Bakterien überall vorkämen. Auch gäbe es keinen Schwellen­wert, ab dem eine Infektion wahrscheinlich wird. Auch angesichts der aktuellen Zahlen scheinen Badeverbote (noch) nicht berechtigt. Immerhin baden jedes Jahr hundert­tausende von Menschen in der Ostsee, während die Fälle von Vibriosen im ein- und niedrigen zweistelligen Bereich liegen.

Wachsam bleiben sollte man dennoch. Je nach Quelle ist bereits jetzt (Stand 02.07.2020) in einzelnen Badeorten wie Danzig und Usedom die kritische Temperatur von 20 °C erreicht. Das Lagus empfiehlt Badegästen, die zur Risiko­gruppe gehören oder größere Haut­verletzungen aufweisen, den Kontakt mit dem Meer- und Brackwasser zu meiden. Auf einer im Internet verfügbaren Bade­wasserkarte liefert die Behörde zu jeder Badestelle auch Informationen zur Gefährdung durch Vibrionen. Und das Robert-Koch-Institut stellt eine interaktive Karte, den Vibrio Viewer, zur Verfügung, auf der abzulesen ist, wie gut gerade die Bedingungen für die Vermehrung von Vibrionen sind. Dann hat es jeder selbst in der Hand, gegebe­nenfalls auf das erfrischende Bad zu verzichten.

Larissa Tetsch

Foto: Pixabay/designerpoint







Letzte Änderungen: 13.07.2020