Vielleicht war das auch der Grund, warum man mich auf die St Paul‘s Girls‘ School schickte, eine der wenigen Mädchen-Schulen in London, die auch Physik und Chemie unterrichteten. An meinem Stundenplan mochte ich fast alles: Naturwissenschaften, Sport, sogar Latein und Deutsch. Nur mit einem Fach konnte ich gar nichts anfangen, mit Musik. Mein Lehrer war so verzweifelt, dass er meine Eltern einmal fragte, ob ich Probleme mit meinem Gehör habe oder früher mal eine Mandelentzündung.
Wie dem auch sei, in der Musik lag jedenfalls nicht meine Zukunft. Dafür in den Naturwissenschaften. 1938 schrieb ich mich am Newnham College in Cambridge ein, um Chemie zu studieren. Später arbeitete ich im Fotochemie-Labor von Ronald Norrish an der Universität Cambridge. Diese Zeit habe ich allerdings in keiner guten Erinnerung.
Dann kam der Krieg. Als die Luftangriffe begannen, kümmerte ich mich als Air Raid Warden darum, dass die Leute jene Zeit gut überstehen, in denen von oben die Bomben auf uns fielen. Während des Krieges fing ich auch meine Doktorarbeit zur physikalischen Chemie von festen, organischen Kolloiden an, oder wie ich es später einer Freundin erklärte: ich untersuchte die Löcher in Kohle.
Diese Freundin, eine Französin, „vermittelte“ mich dann auch 1947 nach Paris, in das Labor von Jacques Mering. Jacques brachte mir alles über die Röntgen-Kristallographie bei. Es war eine schöne Zeit in Frankreich, obwohl ich nicht viel Geld verdiente. Aber ich liebte das Land, die Sprache, das Essen, die Berge, ich liebte Paris. Genauso wie die Wander- und Kletter-Ausflüge nach Italien und in die Alpen. Hach, Frankreich, tu me manques!
Wie schwer fiel es mir, Paris zu verlassen. Aber ich musste zurück nach London, der Familie und der Arbeit wegen. Ich hatte die Zusage für einen dreijährigen Fellowship am King‘s College in London bekommen. Im Januar 1951 begann ich meine Stelle bei John Randall. Bis jetzt hatte ich mich kaum mit biologischen Fragestellungen beschäftigt. Hier sollte ich nun meine Röntgen-Kristallographie-Kenntnisse auf die Entschlüsselung der Struktur von DNA anwenden.
Von Anfang an steckte jedoch der Wurm drin. Zu Vorstellungsrunde an meinem ersten Arbeitstag waren nicht mal alle Gruppenmitglieder anwesend. Maurice Wilkins, der bisher an der Strukturanalyse der DNA gearbeitet hatte, war im Kurzurlaub in Wales, und so erfuhr er nicht, dass ich nun seine Arbeit fortsetzen und auch die Betreuung seines Doktoranden Raymond Gosling übernehmen sollte. Klar, war er nicht begeistert. Leider konnten wir diesen verunglückten Start während meiner 2,5 Jahre am King‘s nicht mehr geradebiegen.
Wissenschaftlich waren wir aber erfolgreicher. Raymond und ich entdeckten, dass es zwei Formen von DNA gibt, abhängig von der Feuchtigkeit. Ich nannte die zwei Formen ganz simpel A und B. Im trockenen Zustand (A-DNA) erschien die DNA kurz und dick, im feuchten (B-DNA) lang und dünn. Ich entschied mich, die A-DNA näher zu untersuchen. Wilkins übernahm die häufigere B-Form. Wir fragten uns, wie war die DNA aufgebaut, wie organisiert? War es eine Helix?
Nicht nur wir waren daran interessiert, das Rätsel zu lösen. Im 100 km entfernten Cambridge dachten Francis Crick und James Watson ebenso intensiv darüber nach. Wir hatten jedoch die bessere technische Ausrüstung, eine Raymax-Röntgenröhre, die drei Stockwerke unter dem Eingangsbereich, im Keller unseres Instituts aufgebaut war. Sie lag sogar tiefer als die gleich benachbarte Themse.
Kontakt gab es zwischen unseren Gruppen immer wieder. So tauchte James Watson bei einer meiner Vorlesungen Ende 1951 auf. Allerdings hat er wohl nicht alles verstanden, was ich damals über die A- und B-Form der DNA zu erzählen hatte.
Währenddessen arbeiteten wir unermüdlich weiter, auch an der B-Form. Im dunklen King's Keller verbrachte Raymond viele Stunden, tagelang musste der Film mit Röntgen-Strahlen beschossen werden. Jedes Mal war Raymond jedoch erneut aufgeregt, wenn er den Film endlich entwickeln durfte. Unser 51. Diffraktionsbild, das wir im Mai 1952 aufgenommen hatten, war uns besonders gut gelungen. So gut offenbar, dass es Wilkins später seinem Freund Francis Crick zeigte.
Eines Tages rief uns Watson an und sagte, sie hätten ein Modell der DNA fertig. Wir sollten doch vorbeikommen und es uns ansehen. Zusammen mit Raymond und Wilkins nahmen wir den Zug nach Cambridge. Hatten sie es wirklich geschafft, ganz ohne eigene experimentelle Daten? Als ich ihr Modell sah, war ich sehr erleichtert. Es hatte grobe Fehler – das Phosphatrückgrat etwa lag in der Mitte – und ich konnte es mir nicht ersparen, das fehlerhafte Modell genüsslich auseinanderzunehmen. Zum ersten Mal war der sonst so gesprächige Watson totenstill.
Wir fuhren zurück nach London und glaubten, wir hätten nun genug Zeit, an unserer DNA weiterzuarbeiten. Die beiden waren noch weit entfernt von der Wahrheit. In der Zwischenzeit hatte sich jedoch ein weiterer Wissenschaftler in das Wettrennen um die erste DNA-Struktur eingeschaltet: Linus Pauling in den USA. Allerdings lag auch er mit einem ersten Versuch weit daneben. Die Konkurrenz war jedoch gewachsen. Und es dauerte nicht lange, bis wir wieder nach Cambridge eingeladen wurden.
Dieses Mal präsentierten uns Watson und Crick eine Doppelhelix. Alles sah perfekt aus und ergab im Lichte unserer Diffraktionsbilder absolut Sinn. Sie hatten es geschafft, dessen waren wir uns sicher. In der Nature-Ausgabe vom 25. April 1953 erschienen Watson & Cricks-Manuskript sowie unsriges gemeinsam. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich allerdings schon vom King's College verabschiedet. Mein Chef hatte mir nahegelegt, die Arbeitsgruppe zu verlassen und ich war überhaupt nicht traurig darüber. Nein, ich war sogar froh.
Das nur 2 km entfernte Birkbeck College, an dem ich nun im Labor von John Desmond Bernal arbeitete, war im Vergleich zum King's College zwar so etwas wie ein Slum, aber es war dort sehr viel angenehmer zu arbeiten.
Thematisch tauschte ich die DNA mit der RNA und die Säugetiere mit den Viren. Im Mittelpunkt meiner Arbeit stand aber immer noch die Röntgen-Kristallographie, mit der ich die Struktur des Tabakmosaikvirus und des Gelbe-Rüben-Mosaikvirus, zwei RNA-Viren, aufklären wollte. Später kam dann auch noch das Poliovirus hinzu. Diese Arbeiten fanden einige meiner Kollegen aber zu gefährlich und verboten es mir, die Kristalle in meinem Birkbeck-Labor zu untersuchen. Dafür musste ich extra zur London School of Hygiene and Tropical Medicine.
Zunächst musste ich mich jedoch erst einmal mit der Literatur zu Pflanzenviren vertraut machen. Dabei stieß ich auch auf alte Bekannte, denn auch Wilkins, Crick und Watson hatten sich mit der Struktur des Tabakmosaikvirus beschäftigt. Meine ehemaligen Kollegen sollten mich also auch weiterhin auf meinem wissenschaftlichen Weg begleiten. Außerdem musste ich mich ganz neu einrichten in meinem Labor. Es dauerte ewig, bis die Röntgen-Kristallographie-Apparaturen und die Kamera bei uns eintrafen. Ende November 1953 war es endlich so weit und ich konnte mein erstes Diffraktionsbild des Tabakmosaikvirus aufnehmen.
In den nächsten Monaten nahm ich viele weitere Bilder auf. So klar und deutlich hatte bisher noch niemand dieses Virus zu Gesicht bekommen. Weder Wilkins, Crick, noch Watson. 49 Untereinheiten pro drei Helixumdrehungen zählte ich. Im Februar 1955 erschien die dazugehörige Veröffentlichung in Nature. Und es fällt mir leicht zu sagen, dass die Erkenntnisse zum Tabakmosaikvirus die größte Leistung meines Lebens waren.
Im Sommer 1956 bekam ich eine sehr interessante Anfrage. Für die Weltausstellung 1958 in Brüssel, die erste große internationale Messe nach dem zweiten Weltkrieg, sollte auch die Wissenschaft die Möglichkeit erhalten, sich vorzustellen. Meine Gruppe wurde gefragt, ob wir ein Modell des Tabakmosaikvirus basteln könnten. Natürlich konnten wir! Obwohl es mir gesundheitlich schon etwas schlechter ging, steckte ich viel Kreativität (Tischtennisbälle, Fahrradlenkergriffe und Polysterol-Formen wie die in Hutgeschäften) und Arbeit in das Projekt. Am Ende hatten wir eine anderthalb Meter große Virus-Helix geschaffen.
Leider konnte ich das Exponat nicht mehr in Brüssel sehen. Am 16. April 1958 war mein Leben zu Ende. Aber ich hatte mitgeholfen, sowohl der DNA- als auch der Virusforschung neues Leben einzuhauchen. Passend steht auf meinem Grabstein in hebräischer Schrift: Ihre Seele soll gebunden sein, in das Bündel des Lebens.
Kathleen Gransalke
Referenzen:
Attar N. „Raymond Gosling: the man who crystallized genes.“ Genome Biology, 14:402
Glynn J. „My Sister Rosalind“, Oxford University Press
Creager A. & Morgan G. „After the Double Helix – Rosalind Franklin's Research on Tobacco mosaic virus“, Isis, 99(2):239-72
Glynn J. „The art of medicine – Remembering my sister Rosalind Franklin“, The Lancet, 379(9821):1094-5
Wikipedia-Eintrag zu R. Franklin
Foto: MRC Laboratory of Molecular Biology (CC-BY-SA-4.0)