Laborjournal: Ist es tatsächlich gefährlich, im Wald niedrig wachsende Früchte zu essen?
Peter Deplazes: Es ist erstaunlich, wie diese Assoziation zwischen „Fuchsbandwurm“ und „Beeren“ in der Bevölkerung eingebrannt ist. Interessanterweise wissen fast alle Leute etwas darüber, auch wenn sie sich sonst kaum mit Biologie auskennen. Wir gehen dieser Frage auch seit Jahren kritisch nach, das ist Teil der Forschung meiner Arbeitsgruppe. Im Laufe der Zeit haben wir hierzu sehr viel mit Wildtierbiologinnen und -biologen sowie Forschenden aus der Epidemiologie zusammengearbeitet und suchen auch weiter nach Methoden, wie man diese Frage beantworten kann. Zum heutigen Stand würde ich aber sagen: Es gibt keinen relevanten Hinweis darauf, dass Beeren ein besonderes Risiko darstellen. Allerdings wissen wir nicht, welcher Anteil der Infektionen beim Menschen auf Beeren, Rohgemüse und Früchte zurückzuführen ist.
Gerade über Fuchsbandwurm-Eier im Salat hätte ich nie nachgedacht. Zum Beispiel im Restaurant, wo man ja keinen Einfluss darauf hat, wie gut Rohkost gewaschen wird. Aber genau hierzu haben Sie jetzt im Sommer eine Arbeit veröffentlicht (Pathogens, 9(8):624). Und Sie finden ja auch regelmäßig Eier in den Proben – das finde ich schon besorgniserregend.
Deplazes: Man muss ganz klar sehen, wir haben in Mitteleuropa pro Jahr ca. 200 neue Fälle von alveolärer Echinokokkose. Das ist eine relativ kleine Zahl für die große Bevölkerung. Deshalb betone ich: Ich möchte die Leute nicht verrückt machen. Die Daten aus dieser Studie haben wir auch nicht an die große Glocke gehängt und keine populärwissenschaftlichen Texte daraus gemacht. Es geht uns darum, gute Nachweismethoden zu entwickeln, und die müssen Fachleute dann implementieren. Denn auch wenn sehr wenige Menschen betroffen sind, geht es um eine sehr schwere Erkrankung. Wir würden deshalb gern wissen, was die Hauptrisiken für eine Infektion sind.
In besagter Studie haben Sie Salat ausgewaschen und dann über die PCR nach Parasiten-DNA gesucht.
Deplazes: Genau. Die Eier können morphologisch weder gefunden noch differenziert werden. Deshalb setzen wir molekulare Methoden ein, die uns dann ein genaues Resultat liefern. Dazu muss ich einschränkend sagen, dass Fuchsbandwurm-Eier auch nachdem sie abgestorben sind noch lange im Boden bleiben. Wenn wir also Echinococcus-DNA nachweisen, weisen wir damit noch keine Infektiosität nach. Deshalb forschen wir auch in Richtung RNA-Tests. Es liegt mir nämlich fern, Salat zu verteufeln; Salat ist ein wichtiges und gesundes Nahrungsmittel.
Selbst wenn Sie aber RNA und damit intakte Eier nachweisen: Die PCR ist ja eine so sensible Methode, dass sie auch auf kleinste Erregermengen anschlägt, die vielleicht gar nicht für eine Infektion ausreichen.
Deplazes: Das ist ein wichtiger Punkt bei der Echinokokkose: Der Mensch ist sehr unempfindlich gegen diese Krankheit, er ist eigentlich resistent. Man geht davon aus, dass nur ganz wenige Kontakte überhaupt zur Infektion führen. Auch das muss noch genauer erforscht werden, aber es gibt Hinweise, dass betroffene Patienten häufig immundefizient sind. Der Mensch ist ja ein Fehlwirt und führt den Parasiten in eine Sackgasse. Die relevanten Risiken für die Fälle, in denen der Mensch trotzdem infiziert wird, müssen wir besser verstehen.
Welche Rolle spielen Haustiere wie Hunde und Katzen bei der Übertragung auf den Menschen? Einerseits sind sie im Freien unterwegs und andererseits leben sie mit uns im Haus und haben nahen Kontakt.
Deplazes: In meiner Forschung habe ich mich sehr lange auf das Potential des Hundes fokussiert. Auch Hunde sind gute Endwirte für den Fuchsbandwurm, sie sind näher bei der Bevölkerung und scheiden viele Eier aus. Wahrscheinlich spielt der Hund eine wichtige Rolle. Da gibt es Risikoanalysen aus Patientenkollektiven aus Deutschland, die zeigen, dass Hundebesitz assoziiert ist mit erhöhtem Risiko für alveoläre Echinokokkose. Katzen hingegen scheiden sehr wenige Eier aus, und es entwickeln sich auch nur sehr wenige Würmer im Katzendarm. Bisher ist es sogar noch nie gelungen, mit den Eiern aus einer Katze eine Maus zu infizieren. Die Entwicklung der Wurmeier in unterschiedlichen Wirten hatten wir vor 15 Jahren mit Kollegen aus Dänemark untersucht (Int J Parasitol, 36(1):79-86).
Was kann man da als Hundebesitzer tun?
Deplazes: Problematisch sind vor allem Hunde, die Mäuse jagen oder gelegentlich Nagetiere fressen – das sind viel, viel mehr als man denkt. Leben diese Hunde im Endemiegebiet von Echinococcus multilocularis, haben sie ein relativ hohes Risiko, infiziert zu sein. Solche Hunde sollten regelmäßig entwurmt werden, und zwar idealerweise monatlich. Die Entwicklungszeit eines Bandwurms im Hund, nachdem er eine Maus gefressen hat, beträgt nämlich etwa einen Monat. Ebenso müssen auch Katzen professionell überwacht und entwurmt werden. Bei der Katze gibt es nämlich andere Parasiten; zum Beispiel scheiden sie Spulwurm-Eier aus, die auch Krankheiten beim Menschen hervorrufen. Sie kennen vielleicht die typischen Diskussionen um Sandkästen, in denen Kinder spielen. Ich lege da ziemlich viel Wert darauf, dass unsere Haustiere professionell behandelt werden. Wir tragen die Verantwortung für solche Krankheitsübertragungen, wenn wir Tiere halten.
Ich vermute, dass gar nicht jedem Hunde- oder Katzenhalter klar ist, dass sein Tier auch ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko darstellen kann.
Deplazes: Deshalb haben wir und andere europäische Fachleute die Plattform ESCCAP (European Scientific Counsel Companion Animal Parasites) aufgebaut, die sich an Tierhaltende und an die Tierärzteschaft richtet. Da finden Sie Leitlinien, aber auch leicht verständliche Kurztexte. Auch in Deutschland und in der Schweiz gibt es ESCCAP-Ableger (www.esccap.de und www.esccap.ch). Dahinter stehen Expertengremien, die kompetent informieren.
Nun sagten Sie eingangs, Echinokokkose sei relativ selten in Mitteleuropa. Andererseits höre ich immer wieder, dass die Fälle häufiger werden. Stimmt das?
Deplazes: Wir haben diese rund 200 Fälle im Jahr in Europa, aber die Tendenz ist steigend. Jedoch nicht exponentiell! In der Schweiz beobachten wir, dass ab dem Jahr 2000 die Fallzahlen hochgehen, und zwar statistisch signifikant. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass seit den 1990er-Jahren die Fuchspopulation stark angewachsen ist; und in dieser Zeit waren viele Füchse mit dem Fuchsbandwurm infiziert. Zehn Jahre nach dem Anstieg dieser Fuchsbandwurm-Biomasse haben wir dann auch eine Zunahme beim Menschen gesehen (Emerg Infect Dis, 13(6):878-82). Hier spielt wohl auch die Urbanisierung des Echinococcus-multilocularis–Zyklus eine Rolle. Heute haben wir im periurbanen Raum direkt um die Städte herum fünf- bis zehnmal mehr Füchse als auf dem Lande. Früher diagnostizierte man Echinokokkose hauptsächlich bei Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind. Heute ist eine viel breitere Bevölkerungsgruppe infiziert. Besonders die Bevölkerung mit Gärten und Haustieren, die nicht direkt im Stadtkern wohnt, scheint einem höheren Risiko ausgesetzt zu sein.
Das Gespräch führte Mario Rembold
Foto: P. Deplazes