Editorial

Das Jahr der Virologen

(05.10.2020) Auch Stockholm macht mit und ehrt die drei Hepatitis-C-Virus-Forscher Harvey Alter, Michael Houghton & Charles Rice mit dem Medizin-Nobelpreis.
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Die Lasker-Awards, die amerika­nischen Nobelpreise, hat man dieses Jahr kurzer­hand abgesagt, „due to health and safety constraints surrounding the COVID-19 pandemic“. Und das in ihrem 75. Jubiläumsjahr. Die Verleihung der „echten“ Nobel­preise konnte bisher aber nur ein Weltkrieg verhindern (1940–1942). Von einer Pandemie lässt man sich die Aufmerk­samkeit nicht nehmen. Ob die offizielle Verleihung der Auszeich­nung im Dezember in Stockholm in ihrer gewohnten Form stattfinden kann, ist jedoch eher unwahr­scheinlich.

Einigermaßen überraschend – aber dann auch wieder nicht – gewinnen in diesem Jahr drei Virusforscher. Weniger überraschend: es sind drei weiße Männer, die ihre preis­würdige Forschung in Nordamerika verrichteten. Harvey J. Alter, Michael Houghton und Charles M. Rice beschäftigten sich allerdings nicht mit Coronaviren, sondern mit dem Hepatitis-C-Virus, das schwere Leber­schädigungen wie Leber­zirrhose und Leberzell-Karzinom auslösen kann.

Editorial

Unbekannter Erreger

Ähnlich wie SARS-CoV-2 handelt es sich um ein behülltes, einzel­strängiges RNA-Virus mit positiver Polarität. Bis man es jedoch so genau charakteri­sieren konnte, war es ein weiter Weg. Den Anfang machte Harvey J. Alter Mitte der 70er Jahre. Bereits zuvor hatten Wissen­schaftler einen Grund für Leber­entzündungen gefunden: die Hepatitis-A- und -B-Viren (1976 erhielt Baruch Blumberg dafür den Medizin-Nobelpreis). Diese beiden Viren, so stellte Alter fest, erklärten jedoch nicht alle beobach­teten Hepatitiden, die häufig nach Blut­transfusionen auftraten. Schnell war klar, man hatte es mit einem noch unbekannten Infektions­erreger zu tun. Ein Virus wurde immer wahr­scheinlicher. Aber was für ein Virus war es genau?

Lange Zeit waren Forscher nicht in der Lage, den viralen Übeltäter zu isolieren. Erst Ende der 80er-Jahre ersannen Michael Houghton und seine Kollegen vom Biotech-Unternehmen Chiron (2006 von Novartis übernommen) einen Plan. Im Blut infizierter Schimpansen suchten sie mithilfe von Serum menschlicher Hepatitis-C-Patienten nach viralem Erbmaterial. Im zugehörigen Science-Paper von 1989 klingt das so: „A random-primed complementary DNA library was constructed from plasma containing the uncharacterized non-A, non-B hepatitis (NANBH) agent and screened with serum from a patient diagnosed with NANBH. A complementary DNA clone was isolated that was shown to encode an antigen associated specifically with NANBH infections.“ Aufgespürt hatten die Chiron-Forscher mit ihrer Methode ein neuartiges RNA-Virus, das zu den Flaviviren gehört.

Infektiöse Transkripte

Nun galt es zu zeigen, dass dieses Virus auch tatsächlich eine Hepatitis auslöst. Diese Aufgabe übernahm Charles M. Rice in den 90ern. 1997 beschrieben er und Kollegen die Herstellung von „full-length functional clones of HCV complementary DNA“. RNA-Transkripte dieser Klone lösten in Schimpansen die typische Hepatitis aus. Die Sache war geklärt.

Dank der Forschung dieser drei Wissen­schaftler, heißt es aus den Reihen des Nobel Assembly, gibt es mittler­weile Diagnostik-Tests und Medikamente gegen eine Hepatitis C. Auf eine Impfung muss die Welt jedoch noch warten.

Nicht unerwähnt bleiben sollen auch deutsche Beiträge zur Hepatitis-C-Forschung, die gut und gerne auch einen Nobelpreis verdient hätten. So arbeitet Ralf Bartenschlager von der Uni Heidelberg seit Jahren daran, das Hepatitis-C-Virus (und auch -B-Virus) besser zu verstehen. 1999 ist es seiner Arbeits­gruppe gelungen, das Hepatitis-C-Virus erstmals im Labor zu vermehren. Vor vier Jahren erhielt er für seine Virus­forschung den Lasker~DeBakey Clinical Medical Research Award – zusammen mit Charles M. Rice übrigens. Aktuell arbeitet er unter anderem an Impfstoffen.

Mehr Kohle für die Gewinner

Auch wenn Alter, Houghton und Rice aufgrund der Pandemie vielleicht in diesem Jahr um ihr royales Fest-Bankett mit Preisübergabe gebracht werden, können sie sich doch immerhin über ein erhöhtes Preisgeld freuen. Ganze 10 Millionen Schwedische Kronen (ca. 950.000 Euro), eine halbe Million mehr als im letzten Jahr, teilen sie sich. Emil von Behring, der 1901 den allerersten Nobelpreis für die von ihm entwickelte Serumtherapie zur Behandlung von Diphtherie bekommen hatte, erhielt übrigens 150.782 SEK, was heute etwa 750.000 Euro entspricht.

Zu kritisieren gibt’s genug an den Nobelpreisen (es gewinnen die Falschen, zu wenige Frauen und er vernachlässigt das so wichtige Teamwork). Ein Argument pro Nobelpreis ist jedoch, dass er die Wissenschaft wenigstens einmal im Jahr in den medialen Mittelpunkt rückt. Und das zu Recht. Denn wenn uns diese Pandemie eins vor Augen geführt hat, dann, wie wichtig Wissenschaft ist.

Kathleen Gransalke

Bild: Niklas Elmehed




Letzte Änderungen: 05.10.2020