Editoren im Zwielicht
(27.10.2020) Fehler passieren – auch im wissenschaftlichen Publikationsprozess. Im Korrekturfall sollte daher eigentlich niemand untätig bleiben. Oder doch?
Wie Peer Review hätte funktionieren können, aber dann doch nicht funktioniert hat – das illustriert der Letter to the Editor „How to recognise and deal with dubious virus sequences?“ in der Zeitschrift Infection, Genetics and Evolution (81:104242). In zwei Fallbeispielen sorgen sich darin Roland Zell (Uniklinik Jena) und seine Co-Autoren der Picornaviridae Study Group des International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) um die Qualitätssicherung durch Editoren.
Was war passiert? Die Arbeitsgruppe um Shoujun Li, Professor für Veterinärmedizin an der South China Agricultural University in Guangzhou, China, hatte im März 2019 in Elseviers Journal Infection, Genetics and Evolution erstmalig ein Hunnivirus in Katzen vorgestellt. Hunniviren, eine Gattung aus der Familie der Picornaviridae, sind „mini“ in jeder Hinsicht: nur dreißig Nanometer klein, unbehüllt und ausgestattet mit weniger als neun Kilobasen einzelsträngiger RNA. In Katzen waren sie bis dato unbekannt. Li und Kollegen attestierten eine 86,9- bis 95,3-prozentige Identität ihrer felinen Virussequenzen mit Hunniviren anderer Wirtsorganismen (Infect Genet Evol, 71: 47-50). Weiter unten im Text verkünden sie dann für „ihr“ Virus überraschenderweise 70,8 bis 83,5 Prozent Homologie mit hunniviralen Genomsequenzen aus Ratte sowie eine 68,8- beziehungsweise 68,9-prozentige Homologie mit weiteren Hunnivirus-Sequenzen in Rind beziehungsweise Schwein als den einzigen bekannten Wirtsorganismen. Warum waren diese Widersprüche nicht bereits im Peer Review aufgefallen?
Eine vermeintliche Virussequenz
Die von Li und Kollegen an die GenBank übermittelte, vermeintlich feline Virussequenz (MF953886) erwies sich bald nach Veröffentlichung als identisch mit dem Hunnivirus-Genom aus Rattus norvegicus (KJ950971/NC_025671). Roland Zell weiß: „Für SARS-CoV-2 sind identische Genomsequenzen in unterschiedlichen Proben normal, für Picornaviren nicht. Einhundertprozentig identische Genome in fünf Jahre auseinanderliegenden Proben von unterschiedlichen Kontinenten zu finden, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmöglich.“ Alle Nachfragen der ICTV Picornaviridae Study Group seit August 2019 ließen die chinesischen Forscher jedoch unbeantwortet. Zell ergänzt: „Dass auch die GenBank bis heute nicht auf unser Anschreiben reagiert hat, verwundert mich ebenso.“
Existieren feline Hunniviren denn nun tatsächlich? Für Zell gab es nun kein Zögern mehr: Er kontaktierte Michel Tibayrenc, den Gründer und Editor-in-Chief von Infection, Genetics and Evolution… auch mit einem zweiten, ähnlich gelagerten Fall im Gepäck, bei dem es um ein neues Parechovirus (HpeV) ging, ebenfalls eine Gattung aus der Familie der Picornaviren und ebenfalls in Infection, Genetics und Evolution veröffentlicht (31: 300-4).
Editor unternimmt... nichts
Doch Tibayrenc sah offenbar keinen Handlungsbedarf. Seine Antwort fiel knapp aus: Beide Publikationen seien vor Annahme des jeweiligen Manuskripts in einem ordnungsgemäßen Peer-Review-Verfahren begutachtet worden. Eine nachträgliche Begutachtung sei unnötig. Gerne könne Zell aber einen offiziellen Letter to the Editor verfassen.
Am Ende evaluierten gleich drei Gutachter Zells Leserbrief an den Editor-in-Chief. Durchweg äußerten sie sich verstört, wie man im ursprünglichen Peer Review derartige Widersprüche übersehen konnte – und legten dem Editorial Board von Infection, Genetics and Evolution die Kontaktaufnahme mit den Autoren der beanstandeten Publikationen nahe. Offensichtlich müssten entweder die Sequenzen korrigiert oder die Artikel zurückgezogen werden.
Laborjournal erkundigte sich in der letzten Augustwoche 2020 bei Michel Tibayrenc, ob eine formelle Untersuchung durch Elsevier in Betracht komme. Tibayrenc verwies die Nachfrage an den zuständigen Editor Matthew Scotch, Assistant Director des Biodesign Center for Environmental Health Engineering der Arizona State University, sowie an Mark Gannon, Elseviers Verleger im Portfolio „Mikrobiologie und Mykologie“. Scotch erklärte, dass Elsevier bisher weder die jeweils betroffenen Autoren kontaktiert noch eine formelle Untersuchung eingeleitet habe. Eine Zurücknahme beider Publikationen müsse noch diskutiert werden. Etwaige Änderungen im Peer Review des Journals seien unnötig – „as most major concerns are identified in the first round of review by at least one of the independent reviewers.” Elseviers Ansprechpartner Mark Gannon äußerte sich gar nicht.
Faule Daten bleiben veröffentlicht
Warum weder eine Kontaktaufnahme mit den Autoren noch eine formelle Untersuchung in den beiden Fällen nötig erscheinen, wollte Scotch als zuständiger Editor nicht begründen. Stattdessen verwies er zurück an Editor-in-Chief Michel Tibayrenc.
Fragwürdige Daten bleiben demnach auch nach Jahren veröffentlicht. Die Möglichkeiten der außenstehenden „Kritiker“ scheinen erschöpft, all die Ungereimtheiten dem wissenschaftlichen Verhaltenskodex entsprechend aufzuklären. Zell resümiert daher: „Wenn begründete Fragen zu einem veröffentlichten Manuskript auftauchen, muss doch gehandelt werden. Einige Zeitschriften scheinen sich da allerdings zu sträuben. Meist begnügen sie sich damit, wachsweiche Korrigenda zu veröffentlichen. Wie häufig ziehen sie aber tatsächlich eine Publikation zurück? Ich persönlich ziehe jedenfalls meine Konsequenzen daraus und überlege genau, wo ich in Zukunft publiziere. Und ich denke, andere tun dies ebenso.“
Henrik Müller
Bild: Pixabay/jplenio & Infection, Genetics and Evolution
Dieser hier gekürzte Artikel erschien in ausführlicherer Form zuerst im Laborjournal 10/2020.