Mathematik beschleunigt Corona-Tests
(11.11.2020) Mit geschickten Pooling-Strategien lässt sich der Aufwand bei SARS-CoV-2-Tests reduzieren. Die Wahl der perfekten Poolgröße ist aber nicht so einfach.
Gegenwärtige Pooling-Strategien beruhen auf einer Rückkopplungsschleife, um in einem zweiten PCR-Lauf die positive Einzelprobe in der Sammelprobe zu finden. Diese adaptive Herangehensweise kostet Zeit und Ressourcen. Wie nicht-adaptives Multi-Pooling funktioniert, verbildlicht Matthias Täufer, Mathematiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet Analysis der Fernuni Hagen: „Wir verteilen 64 Proben auf einem Schachbrett, poolen Zeilen und Spalten und analysieren nur diese 16 Sammelproben. Trägt nur eine infizierte Originalprobe bei, wird sie anhand ihrer positiven Zeile und Spalte erkannt.“
Jetzt könnte man meinen, riesige Probenmengen nur in einem n-dimensionalen Testwürfel anordnen zu müssen. Werden mehr Dimensionen gepoolt als positive Proben vorhanden sind, sollte sich jeder Infizierte finden lassen. So einfach ist es aber nicht.
Mehr Dimensionen, weniger Falschpositive
Mehrere wechselseitige Parameter entscheiden über die Screening-Effizienz: Je mehr Proben in jedem Pool, umso höher ist der Probendurchsatz. Verdünnte positive Proben führen aber zu falsch negativen Befunden. Je mehr Dimensionen, also Probenpools, umso weniger falsch positive Treffer. Mehr Probenpools erhöhen aber den Pipettier- und Zeitaufwand. Letztendlich muss man zwischen den Fragen abwägen: Welche Fehlerraten sind bei welchem Ressourcenaufwand vertretbar? Und mit welcher Kombination aus diesen beiden lässt sich SARS-CoV-2 am ehesten eindämmen?
Gibt es dafür einen Sweetspot? „Einschritt-Poolverfahren laufen immer Gefahr, jemanden fälschlich als positiv zu deklarieren", erklärt Täufer und ergänzt: „Als Faustregel sollte deshalb das Produkt aus der Inzidenz und der Poolgröße deutlich unter eins liegen!“ Für die Praxis heißt das: Kleine Pools bei hoher SARS-CoV-2-Durchseuchung und große Pools bei wenigen Infektionsfällen. Die Anzahl notwendiger Tests skaliert neben der Poolgröße n mit der Gesamtzahl der Proben N und der Anzahl der Pools k (N*k/n). Pooling übertrumpft Individualtests also um den Faktor n/k.
Seit den 60ern bekannt
Mathematiker entwickelten verschiedene Ansätze, mit denen sich diese Abhängigkeiten in Pooling-Strategien umsetzen lassen. So ist das von Täufer erwähnte Einschritt-Pooling aus Arbeiten der Mathematiker Irving Reed und Gustave Solomon in den 1960er-Jahren als Shifted Transversal Design bekannt. Er erklärt: „k Aliquots jeder individuellen Probe werden auf k Pools verteilt, so dass zwei Proben in höchstens einem Pool gemeinsam landen. Sind mindestens so viele Pools wie positive Proben vorhanden, wird jede Probe korrekt identifiziert. Bei mehr Positiven klappt das nur noch mit hoher Wahrscheinlichkeit aber nicht mit Gewissheit.“ Denn positive Proben in allen Pools steigern die Rate falsch positiver Ergebnisse.
Was heißt das für die Praxis? Im Realfall sind Häufigkeit und Verteilung positiver Proben unbekannt. Deshalb versagt die Schachbrettidee mit k=2 Pools. Bei nur 0,01 Prozent Durchseuchung führt sie zu durchschnittlich dreißig Prozent falsch Positiven. Aber schon mit k=3, also zum Beispiel dem Pooling entlang Zeilen, Spalten und einer zusätzlichen Diagonale, verringert sich die Falschpositivrate auf drei Prozent. Weniger als zwei Fünftel sonstiger Individualtests reichen dazu aus. Primzahlige Poolgrößen und sich nicht schneidende Diagonalen unterschiedlicher Steigung verbessern das Verfahren weiter, wie Täufer in einer Abhandlung beschreibt (J Theor Biol, 506:110450).
Eine unter Millionen
Also doch wieder 3D-Testwürfel? Ist nachweislich nur eine Probe infiziert, spüren Hypercube-Verfahren diese in wenigen Dutzend parallelen PCR-Läufen selbst unter einer Million Proben auf (Nature, DOI: 10.1038/s41586-020-2885-5). Für höhere Inzidenzen gibt Täufer aber zu bedenken: „Würfelebenen können sich beim Pooling in mehr als einem Punkt schneiden. Unter diesem Überlapp leidet die Leistungsfähigkeit dieser Verfahren. Mit mehr als einer positiven Probe im Würfel sind falsch positive Resultate garantiert. Auch zehndimensionale Würfel ändern das nicht.“
Bei unbekannter Inzidenz verbessern Hypercube-Verfahren ihre Falschpositivrate deshalb durch mehrere sukzessive PCR-Runden. Der Gewinn an Zeit und Aufwand schwindet. Die Alternative Tapestry, die von einer Gruppe indischer und US-amerikanischer Mathematiker entwickelt wurde, beruht auf sogenannten Steiner-Tripeln. Das Verfahren löst das Dilemma, indem es gesicherte und vermutlich Positive zurückgibt (medRxiv, DOI: 10.1101/2020.04.23.20077727).
Kein Vorteil bei hoher Durchseuchung
Allen nicht-adaptiven Verfahren, etwa auch dem in klinischer Validierung befindlichen pBEST (Sci Adv, 6(37):eabc5961) ist eines gemein: Sind mehr als ein paar Prozent aller Proben infiziert, brechen sie zusammen. Ab etwa zehn Prozent Durchseuchung büßt Pooling aber sowieso seine Aufwandsvorteile ein.
Die zugrundeliegende Frage lautet deshalb: Was soll mit Pooling-Verfahren überhaupt erreicht werden? „Wir müssen unterscheiden“, erklärt Täufer, „zwischen einer Diagnostik symptomatischer Verdachtsfälle, die mit höherer Wahrscheinlichkeit positiv ausfällt, und Screening-Tests, die im Hochdurchsatz unter Ressourcenbeschränkung verdachtslos Ergebnisse liefern sollen. Letztere sind keine medizinischen Diagnosen, sondern eher Warnungen, die Ärzte verifizieren müssen.“ Was dann auch einem von Christian Drostens Kritikpunkten (siehe LJ 10/2020) an nicht-adaptiven Sammelverfahren Rechnung trüge.
Henrik Müller
Bild: Pixabay/geralt