Nicht neu, aber nützlich
(11.01.2021) Kürzlich beschrieben Forscher ein vermeintlich neues Organ, ein Paar Speicheldrüsen. Diese (Wieder-)Entdeckung könnte nun aber Tumorpatienten helfen.
Der Körper des Menschen ist gut erforscht, und neue anatomische Entdeckungen sind deshalb selten. Manchmal kommen sie aber dennoch vor, so wie im vergangenen September, als eine Gruppe von Forschern vom The Netherlands Cancer Institute in Amsterdam in der Fachzeitschrift Radiotherapy and Oncology von der Entdeckung eines neuen Paars Speicheldrüsen berichtete (S0167-8140(20)30809-4). Nicht nur die Fachpresse, sondern auch die Publikumspresse nahm die Entdeckung der neben der Tubenöffnung – also dem Ende der Verbindung der Paukenhöhle zum Nasen-Rachenraum – gelegenen Speicheldrüsen mit Interesse auf.
Der Fund gelang den Niederländern eher zufällig bei der Untersuchung von 100 Patienten mit Karzinomen der Prostata und der Schleimdrüsen der Harnröhre. Um die Tumoren in der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) sichtbar zu machen, verwendeten die Strahlenmediziner radioaktiv markierte Liganden des Prostata-spezifischen Membran-Antigens (PSMA), das nicht nur im Prostata-Gewebe, sondern auch in den Speichel- und Tränendrüsen vorkommt. Dementsprechend war zu erwarten, dass sich in den Aufnahmen die bereits bekannten sechs großen Kopfspeicheldrüsen abzeichneten. Daneben zeigte sich jedoch ein weiteres Signal im Nasen-Rachenraum beidseitig der Tubenöffnung. Die histologische Untersuchung des etwa vier Zentimeter langen, durch die PSMA-Liganden markierten Abschnitts bestätigte, dass es sich um Drüsengewebe handelte. Da eine derartige anatomische Struktur laut Valstar et al. zuvor nicht beschrieben war, schlugen die Autoren für das vermeintlich neue Organ den Namen „Tubariusdrüsen“ („tubarial glands“) vor.
Seit 150 Jahren bekannt
Dass es sich um eine wirkliche Neuentdeckung handelt, wurde allerdings bereits kurz nach der Publikation von mehreren Anatomen und Pathologen der Universitätskliniken Leipzig, Jena und Erlangen in Frage gestellt. Zwar bestreiten die Forscher nicht, dass es sich bei dem beschriebenen Gewebe um eine Ansammlung von Drüsen handelt. Allerdings seien diese Drüsen schon seit 1866 aus Anatomie-Lehrbüchern bekannt, wie Orlando Guntinas-Lichius, Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Jena erklärt: „Neben den sechs großen Speicheldrüsen befinden sich Hunderte kleine Speicheldrüsen in der Schleimhaut von Mundraum, Lippen und Rachen. Dass es Ansammlungen von Speicheldrüsen auch im Nasenrachen und in der Nähe der Luftröhre gibt, wurde schon vor 150 Jahren beschrieben.“
Guntinas-Lichius hatte bereits an einer Richtigstellung gearbeitet, als er vom Direktor der Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Leipzig Andreas Dietz auf die Veröffentlichung der Niederländer angesprochen wurde. Gemeinsam mit weiteren Medizinern veröffentlichten die beiden HNO-Ärzte nun eine Richtigstellung in der Fachzeitschrift Laryngo-Rhino-Otologie (DOI: 10.1055/a-1307-3872). Vor allem kritisieren die Autoren, dass eine Ansammlung kleiner Drüsen kein mit einer großen Speicheldrüse vergleichbares, eigenständig abgekapseltes Organ darstellt. Zudem müsse man – handele es sich um ein eigenständiges Organ – statistisch mehr Erkrankungen desselben erwarten, im Nasenrachen wären Tumore aber sehr selten.
Echtes Organ – ja oder nein?
Auch die Niederländer sind der Meinung, dass ein Organ aus mehr als einem Gewebe bestehen, eine definierte Form und Struktur aufweisen und eine bestimmte Funktion erfüllen muss. Sie sind aber der Meinung, dass ihre Tubariusdrüsen diese Kriterien erfüllen. Immerhin wurden in den histologischen Studien typische Bestandteile von Drüsen gefunden, wie etwa Ausführgänge sowie Acini, beerenförmige, sekretorische Endstücke, die der Abscheidung des Sekretes dienen. Zwar seien die Drüsen nicht eingekapselt, doch auch bei anderen Speicheldrüsen gäbe es nicht-eingekapselte Bereiche.
Eine Auswertung von Daten, die an Patienten mit Tumoren im Hals-Kopf-Bereich erhoben worden waren, ergab, dass die Patienten nach einer Bestrahlung auffällig oft unter Mundtrockenheit und Schluckbeschwerden litten – ein Zeichen für eine Beeinträchtigung von Speicheldrüsen und für die Amsterdamer ein Beweis für eine funktionelle Bedeutung der von ihnen entdeckten Struktur. Die deutschen Anatomen kontern in ihrer Gegendarstellung, dass das histologische Bild dem „der bekannten kleinen Speicheldrüsen entsprechend der bestehenden anatomischen und pathologischen Erfahrung“ entspräche.
Ein Kompromiss
Das bedeutet aber nicht, dass sie die Studie für überflüssig halten. So waren die kleinen Speicheldrüsen bisher nicht mit konventioneller Bildgebung nachweisbar. Da es bei Bestrahlungen aber darauf ankäme, auch diese kleinen Drüsen zu schonen – wie die Daten der Tumorpatienten eindrucksvoll bestätigen – wäre es ein wertvoller Fortschritt, dass sich die kleinen Speicheldrüsen nun mittels PET eindeutig abbilden lassen. Vielleicht ist das ein Kompromiss, mit dem sich auch die Niederländer zufrieden geben, denn immerhin sind sie Strahlenmediziner, die die Behandlung von Krebspatienten verbessern möchten, und keine Anatomen.
Larissa Tetsch
Bild: The Netherlands Cancer Institute