Editorial

Schnupperjahr in der Forschung

(18.01.2021) Kaum ein Abiturient ahnt, wie das echte Leben eines Forschers aussieht. Ein Freiwilliges Wissen­schaftliches Jahr gibt Einblicke.
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Jährlich nehmen mehr als 50.000 Jugendliche im Alter von bis zu 27 Jahren das Angebot der Jugend­freiwilligen­dienste – auch bekannt als Freiwilliges Soziales bzw. Ökologisches Jahr – in Anspruch und engagieren sich in gemein­nützigen Einrich­tungen, im Natur- und Umwelt­schutz oder im Rahmen des Inter­nationalen Jugend­freiwilligen­dienstes in Hilfs­projekten im Ausland. Während des Einsatzes erhalten die Freiwilligen normaler­weise ein Taschengeld und – falls benötigt – eine Unterkunft und Verpflegung. Dabei sind die Freiwilligen­dienste nicht nur ein Weg Gutes zu tun, sondern sie ermöglichen es den jungen Leuten gleichzeitig, risikofrei in ein bestimmtes Berufsfeld hineinzu­schnuppern.

Junge Leute für ihr Berufsfeld zu begeistern, ist auch ein Anliegen der Natur- und Lebens­wissenschaften, denn diese haben je nach Disziplin ein mehr oder weniger großes Nachwuchs­problem. Viele Jugend­liche können sich den Arbeitsalltag eines Forschers nicht vorstellen, und auch mit dem Image zumindest der Lebens­wissenschaften – man denke aktuell an Corona-Leugner und Impfkritiker – steht es nicht unbedingt zum Besten. Hier käme ein Freiwilliges Wissen­schaftliches Jahr (FWJ) doch gerade recht!

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Tatsächlich wurde bereits 2011 ein erstes derartiges Programm an der Medizinischen Hochschule Hannover ins Leben gerufen. „Da das FWJ eine Möglichkeit der Förderung des Nachwuchses in der Wissen­schaft darstellt und gleichzeitig den Fokus auf die MINT-Fächer legt, bieten wir in jedem Jahr auch Plätze in der Medizin und den Life Sciences an, unter anderem an der Medizi­nischen Hochschule Hannover, dem Fraunhofer-Institut für Toxi­kologie und Experi­mentelle Medizin, dem HZI Braun­schweig und der Tier­ärztlichen Hochschule Hannover“, sagt die Leiterin des Büros für die Freiwilligen­dienste von der MHH Nadine Dunker.

Seit den Anfängen im Jahrgang 2011/12 haben sich die Zahlen von 57 Freiwilligen im Jahrgang 2019/20 auf 134 Freiwillige mehr als verdoppelt. Dabei nahm vor allem der Anteil der weiblichen Teilneh­merinnen von 44 % (2014/2015) auf 55 % (2019/2020) zu. „Die Zunahme der Teilneh­merinnen über die Jahrgänge ist besonders positiv zu bewerten, da der konzep­tionelle Ansatz des FWJ auch mit der Nachwuchs­gewinnung insbesondere von Frauen im MINT-Bereich beschrieben ist“, so Dunker.

Mehr Bewerbungen als Plätze

Seit 2015 bietet auch die Universität Oldenburg ein FWJ an, das jedoch keinesfalls ein geschützter Begriff ist wie Nadine Brandt, Koordinatorin des Programms in Oldenburg, erklärt: „Wir sind ein Bundes­freiwilligen­dienst und nennen das einfach Freiwilliges Wissen­schaftliches Jahr.“ Angenommen wird das Ganze sehr gut: So trudeln für die jährlich 10–15 vorhandenen Plätze manchmal über hundert Bewerbungen aus ganz Deutschland ein. „Die Auswahl für den oder die passende Kandidatin fällt den Arbeits­gruppen oftmals nicht leicht, da die Qualität der Bewerbungen in vielen Fällen sehr hoch ist“, so Brandt.

Dass die Arbeitsgruppen in der Regel zufrieden mit ihrer getroffenen Wahl sind, sieht man auch daran, dass sie sich in den darauf­folgenden Jahren wieder an dem Programm beteiligen. Zwar sei der Betreuungs­aufwand in der ersten Zeit hoch, wie Brandt ausführt, doch: „Diese zeitliche Investition rentiert sich relativ schnell, da die FWJler und FWJlerinnen anschließend sehr selbstständig unter­stützende, aber auch anspruchs­vollere Aufgaben innerhalb der Forschungs­projekte übernehmen können und somit zu einem wichtigen Bestandteil der Arbeits­gruppen werden.“

Sehr positiv äußern sich die Freiwilligen auch selbst auf der Uni-Homepage. „Natürlich würden die FWJler und FWJlerinnen die Heraus­forderungen eines Studiums oder einer Ausbildung auch ohne das vorherige Absolvieren eines FWJ bestehen, aber die Erfahrungen, die sie in diesem Jahr sammeln, bilden eine gute Grundlage sich darauf vorzubereiten“, zieht Brandt ein Fazit aus den Erfahrungs­berichten. „Zum einen, weil sie neben der Tätigkeit in den Arbeitsgruppen die Möglichkeit nutzen können, an diversen universitären Veranstaltungen teilzu­nehmen und so einen Einblick in das Hochschul­leben zu gewinnen, aber auch lernen, selbstständig zu arbeiten, ihre Zeit zu planen und sich intensiv mit Studien- und Berufs­wünschen auseinander­zusetzen.“

Den Berufsweg klären

Auch am Universitäts­klinikum Hamburg-Eppendorf und an der RWTH Aachen gibt es ähnliche Projekte. An der Uni Aachen werden seit 2017 FWJ-Stellen im Rahmen des SFB 1120 „Bauteilpräzision durch Beherr­schung von Schmelze und Erstarrung in Produktions­prozessen“ an sechs verschiedenen Instituten angeboten. Zu den Aufgaben der Freiwilligen gehörten laut Fatma Akyel vom Institut für Schweiß­technik und Fügetechnik der RWTH Aachen unter anderem Proben­vorbereitungen, Daten­auswertungen und mechanische Bearbeitung. Aber auch anspruchs­vollere Arbeiten bis hin zur Durchführung von eigenen Experimenten sind möglich. Zwar hätten bisher nicht sehr viele Freiwillige das Angebot wahrgenommen. „Die Rück­meldungen waren aber äußerst positiv“, so Akyel, „viele haben sich anschließend für ein Studium in einem MINT-Fach entschieden“.

Das Universitäts­klinikum Hamburg-Eppendorf ermöglicht seit 2014 im Rahmen des „Freiwilligen Sozialen Jahres im wissen­schaftlichen Bereich“ in seinen Forschungs­laboren Projekte in der klinischen, biomedi­zinischen und Grundlagen-Forschung. An der LMU München gibt es dagegen noch keine Erfahrungen mit dem FWJ. Im Prinzip gilt das auch für die Technische Universität München wie Presse­referentin Katharina Baumeister zugibt: „Laut unserer Personal­abteilung wäre ein Freiwilliges Wissen­schaftliches Jahr an der TUM aber prinzipiell nicht ausgeschlossen. Die Verant­wortung dafür liegt dezentral bei den jeweiligen Lehrstühlen.“ Vorhanden wären allerdings Stellen für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr. „Und gerade beim FÖJ an einer Hochschule und beim FWJ kann es ja Über­schneidungen geben“.

Gute Erfahrung für beide Seiten

So betreut Hans Pretzsch an der TUM School of Life Sciences, Inhaber des Lehrstuhls für Wald­wachstumskunde, schon seit Jahren FÖJler. „Wir haben diese Stelle, zunächst Zivi, dann das FÖJ, an meinem Lehrstuhl eingerichtet, um jungen natur­wissenschaftlich interessierten Leuten eine Phase der Orientierung zu bieten“, erklärt Pretzsch. „Die Freiwilligen werden hier voll eingebunden und gefordert mit dem Ziel, sie herausfinden zu lassen, was ihnen liegt und wohin sie beruflich wollen.“

Das ist offensichtlich geglückt, denn von den Ehemaligen haben einige tatsächlich den entspre­chenden Weg eingeschlagen und sind beispiels­weise in Forst­wissenschaft habilitiert oder Betriebs­leiter geworden, während andere in der Zeit heraus­gefunden haben, dass diese Fachrichtung überhaupt nichts für sie ist, wie Pretzsch zusammen­fasst. „Beide Resultate sind uns wichtig, wir wollen mit der Stelle primär freie Entwicklung unter­stützen, den Leuten dazu verhelfen, rauszufinden, wofür sie sich langfristig nützlich machen können.“

Bis auf wenige Ausnahmen haben die Betreuer sehr gute Erfah­rungen mit den jungen FÖJlern gemacht, die Pretzsch als engagiert, motiviert, einsatzstark und jede und jeder auf seine Art und Weise als eine Berei­cherung beschreibt. „Die meisten meiner Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter, und auch ich, haben selber mehrere Kinder in der Ausbildung, und so wissen wir, wie wichtig die Kommuni­kation, Förderung, Einbindung in dieser Entwicklungs­phase ist.“

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/LisaBMarshall



Letzte Änderungen: 18.01.2021