Editorial

Mini-Epitop versus MRSA

(01.02.2021) Alle bisherigen Impfhoffnungen gegen Staphylo­coccus aureaus endeten in einer Sackgasse. Martin Krönkes Gruppe versuchte einen anderen Weg.
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Alexander Flemings Wunder­heilmittel Penicillin revolutionierte 1928 die Infektions­medizin. Doch schon 1945 warnte der schottische Bakteriologe vor Antibiotika-resistenten Erregern. An ihnen erkranken heute 15 bis 20 Prozent aller deutschen Intensiv­patienten. In ihrem Zentrum: Staphylo­coccus aureus, ein Verwandlungs­künstler, der monatelange Sepsis, Wund­infektionen, Endokarditis, Pneumonien und Osteo­myelitis auslöst. Gelangt er ins Blut, liegt die 5-Jahres-Über­lebensrate unter fünfzig Prozent. Denn oft ist er gleich gegen mehrere Antibiotika­klassen wie β-Lactame, Chinolone, Tetracycline, Amino­glykoside, Erythro­mycine und Sulfonamide resistent.

Eine Antibiotika-Alternative sind aktive und passive Immuni­sierungen. Ihre Erforschung ist bei S. aureus eine Mammut­aufgabe, erklärt Martin Krönke, Direktor des Instituts für Medizinische Mikro­biologie, Immunologie und Hygiene der Universität Köln: „S. aureus kolonisiert unsere Haut und Schleimhäute. In praktisch jedem Menschen finden wir Antikörper und reaktive T-Zellen gegen seine Antigene. Gegen invasive S.-aureus-Infektionen reicht diese Teilimmunität aber nicht aus. Außerdem entzieht er sich unserem Immun­system mit funktionell redundanten Virulenz­faktoren. Er legt Leukozyten lahm, programmiert Makrophagen um und dringt durch Endothel ins Gewebe.“ Dazu kommt ein technisches Problem: „Wir kennen weder spezifische Biomarker noch ihre Schwellen­werte für eine schützende Impfwirkung.“

Editorial

Ernüchternde Studien

Bisherige Impfprojekte zielten darauf, die Oberflächen-Antigene von S. aureus mit Antikörpern anzugreifen oder seine Toxine zu neutralisieren. Doch trotz vielver­sprechender Ergebnisse im Tiermodell war keine von über dreißig klinischen Wirksamkeits­studien erfolgreich. Oft zeigten Studien­teilnehmer hohe Titer opsonierender Antikörper, waren aber nie vor Infektion geschützt. Manche Impf­kandidaten, wie etwa V710 der Merck Sharp & Dohme GmbH gegen den S.-aureus-Häm-Transporter IsdB, führten sogar zu mehr Organschäden und verfünf­fachten die Sterblichkeit nach Infektion.

Krönkes Arbeitsgruppe überdachte alle Konzepte für Impfansätze: „Immuni­sierungen mit Gesamt­proteinen haben sich als Sackgasse erwiesen, weil sie neben protektiven auch nicht-protektive Antikörper erzeugen, die protektive Immun­globuline sterisch behindern oder über Konformations­änderungen die Antikörper­bindungsstelle maskieren. Außerdem erhöhen sie das grundsätzliche Risiko von Kreuz­reaktionen und unerwünschten Nebenwirkungen.“ Würden einzelne protektive Epitope anstelle von Gesamt­proteinen die Effizienz und Sicherheit von Impfkandidaten verbessern?

„Diese Frage ließ uns nicht los“, erinnert sich Krönke, „weshalb wir vor 15 Jahren nach neuen S.-aureus-Antigenen als Vakzine­kandidaten suchten. Eva Glowalla, Bettina Tosetti und Oleg Krut identi­fizierten mittels Immunglobulin-Präparaten gesunder Menschen 37 nicht-kovalent assoziierte Membran­proteine von S. aureus, exprimierten sie in E. coli und überprüften ihre Eignung als Impfantigen in murinen Sepsis­modellen. Drei von ihnen induzierten hohe IgG1-, IgG2- und IgG3-Titer und schützten die Tiere.“ Als erfolgver­sprechendster Kandidat erwies sich das Enzym CogX, das Copro­porphyrinogen III zu Protoporphyrinogen IX oxidiert und somit einen überlebens­wichtigen Schritt in der S.-aureus-Biosynthese von Porphyrinen katalysiert.

Vor Tod bewahrt

„Wie erwartet produzierten die Mäuse eine Mischung protektiver und nicht-protektiver Immun­globuline gegen CogX“, fährt Krönke fort. „Doch unter ihnen fand Alex Klimka den monoklonalen Antikörper CogX-D3, der mit einer Kd im unteren pikomolaren Bereich bindet und als passives Vakzin Mäuse vor dem tödlichen Verlauf einer Infektion mit verschiedenen S.-aureus-Stämmen bewahrt, unter anderem auch dem Methicillin-resistenten Stamm USA300.“ Tatsächlich ist MRSA USA300 eines der ansteckendsten Isolate, das im Menschen schnell zu nekrotischer Lungen­entzündung und Fasziitis, schwerer Sepsis und Tod führt.

Die Überraschung folgte jetzt: „Alle protektiven monoklonalen Antikörper gegen CogX erkennen ein einziges Epitop an Position 377 bis 388 im C-terminalen Drittel des Enzyms. Mehr als 97 Prozent aller 35.000 von uns über­prüften klinischen S.-aureus-Isolate weisen dessen Sequenz fast unverändert auf. CogX-D3 sollte als passive Vakzine also gegen 97 Prozent aller S.-aureus-Infektionen prophy­laktisch oder therapeutisch aktiv sein.“

Fluchtmutanten hält Krönke dabei für unwahr­scheinlich: „CogX ist für die bakterielle Porphyrin-Synthese essentiell. Da CogX-D3 nicht durch die Plasma­membran ins Zytosol gelangt, behindert er auch CogX’ Primärfunktion nicht, übt also keinen Selektions­druck aus.“ Darüber hinaus ist CogX nur zu 23 Prozent sequenz­identisch mit seinen murinen und menschlichen Analoga. Sequenz­homologien zum D3-Epitop existieren im Menschen gar nicht. „Entsprechend konnten wir auch keinerlei Kreuz­reaktivitäten von CogX-D3 mit menschlichem Gewebe beobachten.“

Völlig überraschend

Das Besondere am Kölner Projekt liegt im D3-Epitop selbst. Im Folgenden konjugierten die Immunologen um Alex Klimka ein synthetisiertes CogX-D3-Epitop mit den Oberflächen-Lysinen von Rinder­serumalbumin (BSA) als Carrier-Protein und immuni­sierten Mäuse aktiv mit diesem Epitop-BSA-Konstrukt. An einer folgenden Infektion mit MRSA USA300 verstarben 80 Prozent nicht-immunisierter Mäuse binnen zwei Tagen. Alle immunisierten Mäuse entwickelten dagegen eine Epitop-spezifische IgG-Antwort und überlebten.

Krönke gesteht ehrlich: „Es ist völlig überraschend, dass ein 12-Aminosäure-Epitop einen protektiven Effekt auslöst.“ CogX-D3 erbringt seine Schutzwirkung unabhängig von CogX’ intrazellulärer Funktion. Außerdem inhibiert es weder die In-vitro-Proliferation von S. aureus, noch opsonisiert es das Bakterium gut genug, um die Phagozytose-Fähigkeit von Neutrophilen und Makro­phagen zu verstärken. „CogX-D3-Antikörper folgen scheinbar einem anderen Wirk­mechanismus als alle bisherigen – erfolglosen – Impfstoffansätze“, orakelt Krönke. Obwohl kein einziger Impfkandidat bisher klinische Prüfungen überstanden hat, sind die Kölner optimistisch: „Eine derartig potente Schutz­wirkung gegen eine S.-aureus-Bakteriämie unter weitgehender Minimierung immun­pathogener Risiken hat noch keine Impfstudie im Tiermodell gezeigt.“

Henrik Müller

Klimka A. et al. (2021): Epitope-specific immunity against Staphylococcus aureus coproporphyrinogen III oxidase. NPJ Vaccines, 6(1):11

Bild: Janice Haney Carr, Jim Biddle, USCDCP



Letzte Änderungen: 01.02.2021