Wie nun bei ArtemiFlow, die Sie 2012 gegründet haben. Was hat es mit dem Namen auf sich?
Seeberger: Auf dieses Projekt sind wir durch Zufall gestoßen. Eigentlich haben wir zu dieser Zeit an einem grünen Oxidationsmittel gearbeitet. Es stellte sich heraus, dass Singulett-Sauerstoff, also die hochreaktive Form des Sauerstoffs, ein hervorragendes Oxidationsmittel ist. Auf einer Konferenz habe ich erfahren, dass die Umsetzung eines biosynthetischen Vorläufers zum Artemisinin problematisch ist. Wir haben uns den Syntheseprozess angeschaut und festgestellt, dass wir in einem kontrollierten Fluss-Verfahren genau dieses Artemisinin herstellen können. ‚Artemi‘ und ‚Fluss‘, also englisch ‚flow‘. Fertig war der Name.
Der sekundäre Pflanzenstoff Artemisinin ist schon lange bekannt, ebenso seine Wirkung auf Plasmodium, also den Erreger der Malaria. Dementsprechend gibt es schon viele Malaria-Produkte auf Artemisinin-Basis. Was unterscheidet Ihren Ansatz?
Seeberger: Absolut. Die chinesische Forscherin Tu Youyou hat 2015 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie für die Entdeckung des Wirkstoffs gegen Malaria bekommen. Und noch immer sind Artemisinin und seine Derivate der Goldstandard bei der Behandlung von Malaria. Das Problem ist, dass immer mehr Menschen diese Medikamente benötigen. Zum einen, weil sich durch die Klimaerwärmung die Stechmücken der Gattung Anopheles ausbreiten, von denen einige den Malaria-Erreger übertragen. Zweitens steigen die Bevölkerungszahlen weltweit. Dieser globale Markt kann nicht mehr befriedigt werden.
Das wollen Sie nun ändern?
Seeberger: Bisher wird Artemisinin größtenteils durch Extraktion aus dem einjährigen Beifuß – Artemisia annua – gewonnen. Der Rest der Pflanze wird weggeworfen. Wir nehmen aber als Ausgangsmaterial für die Artemisinin-Synthese das Nebenprodukt Dihydroartemisininsäure, die letzte biosynthetische Vorstufe des Artemisinins. Für die Umsetzung der Säure nutzen wir den erwähnten Singulett-Sauerstoff. Wir nehmen also getrocknete Pflanzen, lösen sie in organischem Lösungsmittel und pumpen alles durch einen Photoreaktor. Hinten kommt Artemisinin heraus.
Was genau passiert in dem Reaktor?
Seeberger: Das Chlorophyll der Pflanze nimmt die Energie des Lichts auf, die Energie wird auf Sauerstoff übertragen, der zum Singulett-Sauerstoff wird. Der wiederum lagert die Dihydroartemisininsäure um und schon sind wir beim Artemisinin. Das ist wahrscheinlich die gleiche Reaktion wie in der Pflanze. Wir machen also nichts anderes, als diesen Prozess, der in der Pflanze ein paar Wochen dauert, im Reaktor in wenigen Minuten umzusetzen.
Und damit lässt sich mehr Artemisinin pro Pflanze herausholen?
Seeberger: Insgesamt ja. Wir haben auch noch den Prozess der Extraktion verbessert und verkürzt. Pro Hektar Anbaufläche Beifuß können wir damit den Ertrag an Artemisinin fast verdoppeln. Außerdem verwenden wir weniger toxische Lösungsmittel.
Der Beifuß für Ihre Produkte wächst in den USA. Wächst er da besser?
Seeberger: Er lässt sich zumindest leichter dort anbauen und die Durchführung klinischer Studien ist einfacher. Dennoch war der Wechsel in die USA eher zufällig. Ab etwa 2015 hat unser Max-Planck-Gruppenleiter Kerry Gilmore das Projekt betreut. Es stellte sich heraus, dass er über Bekannte gute Kontakte nach Kentucky hat. Kentucky ist für drei Sachen bekannt: Pferde, Whiskey und Tabak. Beifuß wächst unter ähnlichen Bedingungen wie Tabak. Bei einem Besuch im Jahr 2018 stellten wir fest, dass viele Tabak-Bauern händeringend nach alternativen Anbau-Pflanzen suchten. Also haben wir einen Probeanbau gemacht, zusammen mit dem Tobacco Research Center der University of Kentucky. Unsere Pflanzen haben einen hohen Artemisinin-Gehalt von ungefähr zwei Prozent. Der Wildtyp, der in China gesammelt wird, liegt bei etwa 0,1 Prozent. Es passte also alles. Wir haben uns dann entschlossen, alles – beginnend von der Pflanze bis zum Endprodukt – in den USA durchzuziehen. Deshalb haben wir dort die Firma ArtemiFlow USA gegründet, die sich um die Produktion kümmert, wie auch ArtemiLife. Dort soll der Wirkstoff unter anderem für die Anwendung bei Eierstockkrebs getestet werden. Die klinischen Studien starten jetzt im Februar. Beide Firmen agieren und finanzieren sich selbstständig, mit eigenen Geschäftsführern und Angestellten.
Wie genau hängt die ArtemiFlow GmbH dort noch mit drin?
Seeberger: Das ist ja die ursprüngliche Firma, wenn man so will. Sie ist Aktionär bei den beiden US-basierten Ablegern, das ist das gesamte Konstrukt. Und das ist auch der Grund, dass ich als Max-Planck-Direktor überhaupt Geschäftsführer sein kann, weil die deutsche ArtemiFlow als Firma nicht aktiv ist und nichts umsetzt. Sonst wäre das völlig unmöglich und dafür hätte ich gar keine Zeit. Es wäre natürlich toll, auch in Deutschland zu produzieren.
Es wird auch über eine Wirkung von Artemisinin auf SARS-CoV-2 spekuliert. Wissen Sie hier schon mehr?
Seeberger: Bereits in einer Publikation im Jahr 2005 beschrieb eine asiatische Forschergruppe, dass Artemisinin und seine Derivate gegen SARS-CoV-1 wirken könnte. Wir haben uns dann im letzten Jahr die Wirkung von Artesunat, einem Artemisinin-Derivat, angeschaut und in Zell-basierten Assays eine vielversprechende Wirkung bei COVID-19 gesehen. Alles Weitere müssen nun klinische Studien zeigen, die derzeit in Mexiko abgeschlossen werden.
Die Fragen stellte Sigrid März
Steckbrief ArtemiFlow
Gründung: 2012
Sitz: Potsdam
Mitarbeiter: einer
Produkt: optimierte Artemisinin-Synthese
Bild: Kristian Peters (CC-BY-SA-3.0-migrated)
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