Editorial

Multi-Kulti-Wissenschaft

(19.03.2021) Aus unserer Reihe „Anekdoten aus dem Forscherleben“: Es ist wahrlich nicht immer die reine Qualität, die über den Erfolg von Förderanträgen entscheidet.
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Sie denken, über die Zuschläge für Förderanträge wird ausnahmslos und allein nach wissenschaftlicher Qualität entschieden? Und was hierzulande wissenschaftliche Qualität ist, ist gerade in den Naturwissenschaften zweifellos auch überall sonst wissenschaftliche Qualität? Halt, noch nicht antworten! Hören Sie sich erst den folgenden Fall an. Und vorweg: Ja, er hat sich so wirklich zugetragen...

Nachdem unser Forscher einige Jahre sehr erfolgreich als Postdoc in einem ziemlich berühmten Labor in Cambridge gearbeitet hatte, kehrte er auf eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an ein deutsches Max-Planck-Institut zurück. Folgerichtig, könnte man meinen – doch bald gingen Probleme los. Er schrieb einen Förderantrag, und er wurde abgelehnt. Er schrieb wieder einen – dasselbe. Mit Müh’ und Not und ein wenig hausinterner Unterstützung konnte er seine Forschung wenigstens ein wenig am Köcheln halten. Aber auch mit den nächsten Anträgen scheiterte er.

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Hier versteht niemand mein Feld

Seine englischen Freunde verstanden es nicht. Zwar konnten sie die Qualität seiner aktuellen Förderanträge nicht im Detail beurteilen, aber über die ganze Zeit, in der sie mit ihm zusammenarbeiteten, hatten sie ihn als ausgesprochen klugen Kopf und brillanten Forscher erlebt. Die einzige Erklärung, die er ihnen bieten konnte, lautete: „Ich habe hier keine Unterstützung, kein Netzwerk. In der deutschen Community ich bin schlichtweg allein."

Auch sein alter Doktorvater, mit dem er über all die Jahre Kontakt gehalten hatte, konnte das „Schicksal“ unseres Forschers nicht verstehen. Fast schon grimmig erwiderte dieser auf seine Fragen: „Was nützt es mir, ob mein Projekt brillant ist oder nicht? Es kommt darauf an, ob man eine Lobby hat. Das ist alles, was zählt!“

Als sein Ex-Doktorvater ihn immer noch mitleidig-fragend anschaute, fuhr er fort: „Schau, es sieht doch so aus: In Cambridge hatte ich ein blühendes Genetik-Projekt. Doch hier in Deutschland hat niemand wirklich Interesse an diesem Gebiet. Keiner arbeitet daran. Inzwischen würde ich sogar so weit gehen zu sagen, dass hier niemand dieses Feld wirklich versteht. Und vor diesem Hintergrund stell Dir jetzt vor, was wohl passiert, wenn einer dieser angeblichen deutschen Spitzen-Genetiker meinen Antrag bekommt, um ihn zu begutachten... Was soll ich sagen? Mit meinen Projekten passe ich einfach nicht in deren aktuelle Kultur.“

Nur wieder weg aus Deutschland

Sein Doktorvater wollte das nicht glauben! Auch er hatte immer gedacht, dass Förderanträge ausschließlich nach Qualität beurteilt werden. Was meinte sein Zögling daher damit, dass er nicht in die hiesige „Forschungskultur“ passe? Er sollte bald lernen, dass an dieser Aussage durchaus etwas Wahres dran war... 

Es braucht keine große Phantasie sich vorzustellen, dass unser Forscher sich bald wieder auf eine andere Stelle zu bewerben begann. „Irgendwo außerhalb von Deutschland“, versicherte er jedem, der ihn darauf ansprach.

Und er hatte schnell Erfolg. Der Leiter eines großen Instituts an einer renommierten schwedischen Universität wollte ihn als Assistenzprofessor haben – vor allem, weil seine Projekte so gut in die Forschungsstruktur der Abteilung passen würden. (Klingt das nicht schon wie „Forschungskultur“?)

Und damit nahm die Geschichte eine durchaus verblüffende Wendung. Denn kurz bevor unser Forscher die Stelle offiziell bekam, rief ihn der Schwede an. Es gebe da ein kleines Problem mit dem Timing, erklärte er ihm. Bei der wichtigsten schwedischen Förderagentur würde die Frist zur Einreichung von Förderanträgen schon bald ablaufen. Ob er daher in der Lage wäre, noch innerhalb der nächsten zwei Wochen einen Antrag zu stellen? Vielleicht gäbe es ja tatsächlich die Chance, schon gleich zu Beginn etwas schwedisches Forschungsgeld zu erhalten.

Und plötzlich wird der Antrag bewilligt

Was sollte unser Forscher also machen angesichts dieser kurzen Vorbereitungszeit? Er holte seinen letzten Förderantrag aus der Schublade, der gerade von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) abgelehnt worden war, übersetzte ihn praktisch eins zu eins ins Englische und schickte ihn an die schwedische Förderorganisation. Und was geschah? Dieser nahezu identische Antrag, der in Deutschland keinen Zuschlag erhalten hatte, brachte ihm jetzt in Schweden eine der höchsten Bewilligungen der gesamten Förderrunde ein.

Offenbar stimmte es also: Andere Länder, andere Kulturen! Oder soll man tatsächlich glauben, dass die Qualität aller Projekte, die zu dieser Zeit in Deutschland bewilligt wurden, durchweg höher war als diejenige sämtlicher in Schweden beantragter Projekte? Und dass nur aufgrund dieser mangelnden Qualität der gesamten schwedischen Genetik-Forschung ein in Deutschland mehrfach abgelehntes Projekt dort einen derartigen Fördererfolg erzielte?

Sehr unwahrscheinlich oder?

So viel also zu dem schönen Ideal, dass das wissenschaftliche Förderwesen objektiv ist und seine Mittel einzig und allein nach der Qualität der beantragten Projekte verteilt werden.

Ralf Neumann 

(Foto: heart.org)

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden – oder selbst passiert.)

 

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Letzte Änderungen: 18.03.2021