Editorial

Der goldene Mittelweg

(08.04.2021) Nützliche Erkenntnisse vermarkten, ohne dabei die eigene Forschungs­tätigkeit einzuschränken? MPI-Direktor Stefan Raunser erzählt, wie das geht.
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Heureka! Mit diesem Ausruf soll Archimedes lauthals und vor allem nackt den verdutzten Einwohnern von Syrakus die Entdeckung des später nach ihm benannten Prinzips verkündet haben. Auch heute produzieren Forschende stetig neue Erkenntnisse und bisweilen findet sich darunter die ein oder andere vermarktbare Idee. Doch diese aus den akade­mischen Sphären zu bergen, ist oft gar nicht so einfach.

Das Beispiel von Stefan Raunser zeigt jedoch, wie eine solche Bergung funktionieren kann. Der Biochemiker ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Molekulare Physio­logie in Dortmund. Dessen Mutter­gesellschaft hat kürzlich die in Raunsers Arbeitsgruppe von Sebastian Tacke entwickelten Workflow-Tools für Kryo-Elektronen­mikroskopie-Anwendungen an die nieder­ländische Firma Delmic lizenziert. „Wir haben die Hardware im Haus entwickelt und an unseren eigenen Geräten gesehen, dass die Ergebnisse viel besser sind als mit herkömmlichen Tools“, erklärt Raunser.

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Interesse groß, Werkstatt zu klein

Nach einigen Präsen­tationen auf Konferenzen sei das Interesse an der Technologie bei anderen Arbeits­gruppen so groß gewesen, dass die Dortmunder einen breiteren Zugang zu ihrer Erfindung ermöglichen wollten. Raunser: „Wir haben dann kalkuliert, wie viele Mikroskope unsere Tools nutzen könnten und letztlich ein Patent angemeldet. Eine Produktion in unserer eigenen Werkstatt schied von vornherein aus, da wir diese Kapazitäten nicht hätten leisten können“. So war klar, dass die Idee extern realisiert werden muss.

Zur Vermarktung einer wissen­schaftlichen Idee gibt es dabei drei Optionen: Ausgründung, Lizenzierung oder der Verkauf des Patentes. Besonders an Universitäten stellt die Gründung eines Start-ups eine bürokratische Hürde dar, da wirtschaftliche Tätigkeiten an deutschen Hochschulen nur unter bestimmten Voraus­setzungen stattfinden dürfen. Diese sind im Hochschul­rahmengesetz geregelt. Erschwerend kommt hinzu, dass Neben­tätigkeiten von Profes­sorinnen und Professoren sowie des verbeamteten wissen­schaftlichen Personals nicht nur anzeige-, sondern genehmigungs­pflichtig sind. Für die Forschenden, die nach dem Tarifvertrag der Länder entlohnt werden, besteht eine Anzeigepflicht. Dies gilt auch an nicht-universitären Einrichtungen wie den Max-Planck-Instituten.

Abgesehen von solchen arbeits­rechtlichen Erwägungen muss man im Falle einer Ausgründung selbst als Erfinderin oder Erfinder eine Lizenz zur Vermarktung beim Arbeitgeber erwerben. Denn alles, was Arbeitnehmer im Rahmen ihrer dienstlichen Pflichten erfinden, gilt als Dienst­erfindung und gehört laut Arbeitnehmer­erfindungsgesetz zunächst dem Dienstherrn.

Lieber forschen als gründen

So entschloss sich Stefan Raunser nach reiflicher Überlegung für die Lizenzierung, wie er erzählt: „Als Forscher will man ja forschen und nicht zwangsläufig ein Unternehmen gründen und leiten. Das funktioniert auch nebenbei recht schlecht. Daher war für uns die Lizenzierung die komfortabelste Möglichkeit“.

Allerdings gebe man hier auch das Mitbestim­mungsrecht ab. Die Lizenz­inhaber übernimmt, je nach Ausge­staltung des Vertrages, weitreichende Rechte an der Erfindung. Dafür muss er jedoch zahlen. Wird eine Lizenz­vereinbarung mit externen Partnern geschlossen, erhalten die Erfinder bis zu 30 Prozent der Brutto­lizenzeinnahmen. Der Rest geht in der Regel an den Arbeitgeber. „Solange man keine Blockbuster-Erfindung macht, wird man damit zwar nicht reich, aber durch die Beteiligung gibt es schon einen Anreiz“, schildert der Biochemiker. Da der Großteil der Einkünfte auch zurück in die Institute fließe, sehe er keinen Konflikt zwischen der Forschungs­finanzierung durch Steuermittel und der Vergütung der Erfinder.

Nachholbedarf

Als Partner wählten die Dortmunder den Mikroskopie-Spezialisten Delmic. Raunser: „Wir kannten die Firma schon durch unsere Zusammen­arbeit an einem eurostars-Projekt. Das ist ein sehr junges, umtriebiges Unter­nehmen mit viel Esprit“. So fädelten die Forschenden die Kooperation selbst ein. Die genaue Ausgestaltung der Verträge erledigte dann die MPG-eigene Transfer­gesellschaft Max-Planck-Innovation. Ein gutes System, wie der Biochemiker findet: „Das funktioniert sehr gut. Man forscht, und wenn man denkt, man hat etwas, das sich vermarkten lässt, kann man relativ viel Verantwortung abgeben“.

Allerdings sehe Raunser in Deutschland noch Nachhol­bedarf beim Transfer von Forschungs­ergebnissen in die Wirtschaft, insbesondere im Vergleich zu den USA. Zwar sei die Innova­tionskultur hierzulande eine andere, doch mangele es oft an der nötigen Risiko­bereitschaft und am Gründertum. Dies gelte sowohl für die Gründer als auch für die Investoren. Das Beispiel Raunser zeigt jedoch, dass die breite Verfügbar­machung von neuen Ideen möglich ist, ohne die eigene Forschungs­tätigkeit zu opfern. Vielleicht wird das „Land der Dichter und Denker“ so auch zum Land der „Macher“.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/PublicDomainPictures

 

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Letzte Änderungen: 08.04.2021