Editorial

„Und nennen Sie nicht meinen Namen!“

(11.06.2021) Es ist kein gutes Zeichen, dass die meisten Informanten anonym bleiben wollen, wenn sie auf Missstände in Wissenschaft und Forschung aufmerksam machen.
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In schöner Regelmäßigkeit erhalten wir in unserer Redaktion anonyme Zuschriften. Mehr noch aber solche, in denen die Schreiberinnen und Schreiber sich zwar zu erkennen geben, aber darum bitten, unbedingt ihre Anonymität zu wahren, falls wir über das von ihnen angeprangerte Thema berichten würden.

In all diesen Fällen brennt ihnen „ihr“ Thema so fürchterlich auf den Nägeln, dass sie der Meinung sind, man müsse die entsprechenden Missstände (oder gar ihre eigenen „schlimmen, aber durchaus typischen“ Fälle) unbedingt in der gesamten Forschungsszene bekannt machen. Klar, deswegen schreiben sie uns ja. Aber ihren Namen – nein, den wollen sie dann um Himmels willen nicht in dem Artikel stehen sehen.

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Furcht vor schlimmen Konsequenzen

So lag beispielsweise vor einiger Zeit ein DIN A4-Couvert voller vermeintlichen „Beweismaterials“ auf dem Tisch unseres Chefredakteurs, mit dem der anonyme Absender Datenmanipulationen in gleich mehreren Veröffentlichungen als klar belegt ansah. Im Begleitbrief drängte der „Whistleblower“ geradezu, dass wir „diese wichtige Sache“ unbedingt verfolgen und öffentlich machen sollten. Und am Schluss dann der typische Absatz:

„Wie Sie sehen werden, sitzen die betreffenden Kollegen in politisch wichtigen Positionen und sind sehr einflussreich. Ich dagegen bin nur ein unerfahrener Doktorand [...] und arbeite selbst noch am Ort des Geschehens. Aus diesem Grund muss ich schlimme Konsequenzen befürchten, wenn ich ‚den Mund aufmache‘ – und möchte deswegen unbedingt anonym bleiben.“

Viele werden jetzt sicher zustimmend nicken und denken: „Nur zu verständlich, dass dieser Doktorand unter solchen Umständen unerkannt bleiben möchte.“ Und wir? Wir prüfen jetzt erstmal das „Beweismaterial“. Denn oft genug entpuppte sich ein solcher Anfangsverdacht am Ende als lauwarmes Lüftchen. Da haben wir inzwischen viel erlebt.

Dann lieber gar nichts schreiben

Anderes, ähnliches Beispiel im Originalzitat:

„Ich möchte Sie gerne anregen, ein kürzlich publiziertes, deutlich retuschiertes Bildplagiat als ‚abschreckendes Beispiel‘ in Ihrer Zeitschrift zu diskutieren und eventuell Kontakt mit den Autoren beziehungsweise dem Verlag aufzunehmen. Mir ist aus ziemlich sicherer Quelle bekannt, dass Abb. 1 in [...] et al. das Original und Abb. 4 in [...] et al. (obwohl zuerst publiziert) eine ‚Raubkopie‘ darstellt. Überzeugen Sie sich selbst!

Da ich anonym bleiben möchte, bitte ich Sie freundlich, nicht nach meiner Identität zu recherchieren. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie den Fall aufnehmen würden.“

Es sind aber bei weitem nicht nur potenzielle Paper-Fälschungen, die uns anonyme Post oder wenigstens den Wunsch nach Anonymität bescheren. Im folgenden Beispiel bekamen wir etwa als Nachgang zu einem komplexen Artikel über unangemessenes Hierarchieverhalten in einem bestimmten Institut weitere Informationen angeboten, die nach Meinung des Absenders die geschilderte Angelegenheit womöglich in einem anderen Licht aufleuchten lassen würden. Wörtlich schrieb er:

„Ich kann Ihnen alles darüber erzählen, falls Sie interessiert sind, eventuelle Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Allerdings müssen sie mir zuvor absolute Anonymität garantieren. Ich mache mir sicherlich nicht zu Unrecht Sorgen über die möglichen Konsequenzen, wenn ich von gewissen einflussreichen Leuten, die aus welchen Gründen auch immer die andere Seite unterstützen, als derjenige identifiziert werde, der Ihnen dies ‚verraten‘ hat.“

Das Angebot, seine Sicht der Dinge selbst in einem anonymisierten Leserbrief darzulegen, lehnte der „Informant“ am Ende allerdings doch lieber ab.

Informantenschutz ist heilig

Glücklicherweise schafft es die eine oder andere dieser „anonymen“ oder „anonymisierten“ Geschichten nach ordentlicher Recherche aber doch in ein eines unserer Hefte. So beschrieb etwa vor fünf Jahren ein Anonymus den eigenen Fall der abstrusen Ablehnung eines Forschungsantrags, den er im Rahmen einer Förderinitiative des damaligen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft eingereicht hatte (LJ 6/2016: 21-23).

Bereits in seiner ersten Mail hatte dieser Anonymus gedrängt: „Ich möchte [...] gerne anonym bleiben, da ich Nachteile für mich und meine Arbeitsgruppe befürchte, wenn meine Identität bekannt werden würde.“ Und als er schließlich die von der Redaktion überarbeitete Endversion nochmals vorgelegt bekam, schrieb er weiterhin besorgt: „Eine Frage hätte ich noch: Könnte jemand Sie, also die Redaktion des Laborjournals, über den Rechtsweg zur Nennung des Autorennamens zwingen?“

„Nein, der Informantenschutz ist heilig“, dachte unser Chefredakteur gleich beim Lesen der Mail. Sicherheitshalber fragte er aber doch bei unserem Medienanwalt nach. Und der bestätigte endgültig: „Sie können ihn beruhigen. Das fällt unter das Schweigerecht der Redaktion und kann auch gerichtlich nicht erzwungen werden.“

Gut, dass wir alle das hiermit jetzt wissen.

Was bei all diesen Beispielen aber bleibt, ist das wirklich ungute Gefühl, dass in unserem hiesigen Forschungsbetrieb offenbar viele Leute ganz erhebliche Angst vor möglichen Repressalien haben, wenn sie nur ein bisschen Meinung namentlich publik machen wollen. Oder wenn sie völlig berechtigterweise und in guter Absicht konstruktiv auf mögliche Missstände hinweisen wollen. Diese verbreitete Angst wirkt umso befremdlicher, da doch gerade Wissenschaft und Hochschulen die freie Meinungsäußerung samt offenem Diskurs mit als ihre höchsten Güter proklamieren.

Dennoch ist die Angst vor offener Meinungsäußerung da. Wir spüren sie immer wieder.

Ralf Neumann

(Illustr.: hypescience.com)

(Der Text erschien in leicht anderer Version bereits als Editorial unserer Printausgabe 6/2016.)

 

 

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Letzte Änderungen: 08.06.2021