Editorial

Naturidentisch oder nicht?

(19.07.2021) Genomeditierte Organismen gelten als GVOs und sind in der EU streng reguliert. Forscher untersuchen nun mögliche gerichtsfeste Nachweis­methoden.
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In den USA und Kanada gelten genom­editierte Pflanzen nicht als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und werden auch nicht als solche gekennzeichnet. In Argentinien, Australien, Japan, Brasilien und Chile werden genom­editierte Pflanzen ebenfalls nicht als GVOs angesehen, sofern sie keine Transgene enthalten. Importiertes Saatgut, Agrar­rohstoffe, Lebens- und Futtermittel aus diesen Ländern könnten daher in Zukunft Beimengungen von genom­editiertem Pflanzenmaterial enthalten.

Geeignete Nachweisverfahren müssen genom­editierte von klassischen Züchtungs­produkten unterscheiden und auch geringe Beimengungen ausreichend sicher feststellen können. Zwar hat eine von Greenpeace und weiteren NGOs finanzierte Studie eine bekannte Basen­veränderung in der von der Firma Cibus entwickelten, Herbizid-toleranten Rapssorte Falco mittels quantitativer PCR nachweisen können (Foods, 9(9): 124). Die Methode eignet sich jedoch nicht dazu, zu belegen, wie die Basen­veränderung entstanden ist – ob auf natürliche Weise, durch Genom­editierung oder klassische Mutagenese-Methoden.

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Gerste und Raps im Test

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat daher Wissen­schaftler an der Universität Kiel und am Leibniz-Institut für Pflanzen­genetik und Kultur­pflanzen­forschung in Gatersleben damit beauftragt, potentielle Nachweis­verfahren für genom­editierte Pflanzen zu prüfen. Dazu stellt das Ministerium 800.000 Euro an Fördermitteln bereit. Projektbeginn war Januar 2021. Ausgangspunkt für das Projekt ist Referenz­material aus Gerste- und Rapslinien, welche die Forschungs­einrichtungen mithilfe von Genom­editierung hergestellt haben, sowie deren Eltern- und Kontrolllinien zur Bestimmung von Hintergrund­mutationen.

„Unsere Sequenzierungen laufen gerade erst an. Uns stehen neben dem Wildtyp zwei Mutanten zur Verfügung, von denen die eine transgen-frei ist, während die andere noch unser CRISPR-Konstrukt enthält. Ideale Voraus­setzungen also, um hier weitergehende Untersuchungen durchzuführen“, so Dirk Schenke vom Institut für Phyto­pathologie der Universität Kiel. „Weil wir im Rahmen der Machbar­keitsstudie zusammen mit Gatersleben sowohl zweikeim­blättrige als auch einkeim­blättrige Kulturpflanzen untersuchen, werden unsere Ergebnisse sicherlich der Politik als Entschei­dungshilfe dienen können, wie man zukünftig mit der Regulation genom­editierter Pflanzen umgehen sollte. Bis jetzt gibt es nur theoretische Meinungen von Experten, aber kaum praktische Nachweis­versuche mit weiteren modernsten Methoden“, erklärt Schenke.

Die Forscher werden das Erbgut der Pflanzen mithilfe von Next Generation Sequencing und Digital Droplet PCR charakterisieren. Das Ziel ist, Beimengungen von genom­editierten Pflanzen bis zu 1/1.000 der Gesamtmasse nachweisen zu können. Ergebnisse werden Ende 2022 erwartet. Da genom­editierte Pflanzen häufig transgen-frei sind und Genom­editierungen auch ohne spezifische DNA-Bindemotive stattfinden können, ist der Nachweis erschwert.

„Es ist absurd!“

Einerseits trägt die Genom­editierung dazu bei, den Heraus­forderungen des Klimawandels zu begegnen, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und die biologische Vielfalt zu erhalten – beispielsweise durch die effiziente Entwicklung neuer Sorten mit erhöhter Widerstands­fähigkeit gegen Hitze, Wassermangel, Krankheiten und Schädlinge mit der Möglichkeit zur Einsparung von Herbiziden.

Andererseits wird die Gentechnik in Teilen der Bevölkerung kategorisch abgelehnt, aus Angst vor möglichen negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur. „Natürlich muss man dem Vorsorge­prinzip Rechnung tragen, allerdings nehmen wir täglich natürlich und künstlich mutierte Pflanzen mit unserer Nahrung auf. Die klassischen Zucht­verfahren mittels chemisch oder physikalisch induzierter ‚Schrotschuss-Mutagenese‘ werden überhaupt nicht reguliert und rufen viel mehr Mutationen hervor als der gezielte Einsatz der Genschere. Seit Jahrzehnten ist da niemandem etwas passiert. Wenn man Mutationen regulieren will, müsste man auch die komplette Natur regulieren – was völlig unmöglich ist“, gibt Schenke zu bedenken. „Eine Risiko­bewertung kann nur am Endprodukt erfolgen, aber identische Produkte anhand ihrer Entstehungs­geschichte unterschiedlich zu bewerten, ist meiner Meinung nach absurd.“

Veraltete Vorgaben

Die Europäische Kommission kommt in einer im April veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass durch neue genomische Verfahren wie CRISPR/Cas hergestellte Pflanzen zu einem nachhaltigeren Lebens­mittelsystem beitragen könnten. Der derzeit geltende Rechtsrahmen für genveränderte Organismen aus dem Jahr 2001 sei „für diese innovative Technologie nicht zweckmäßig“. Deshalb werde die Kommission einen breit angelegten und offenen Konsultations­prozess einleiten, um die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens für diese biotechnologischen Verfahren zu erörtern.

„Vorgaben, welche nur für die EU und nicht weltweit gelten, halte ich für nicht praktikabel – genauso wie Vorgaben, deren Einhaltung nach aktuellem Stand der Wissenschaften nicht kontrolliert werden können“, kommentiert Schenke. „Vor dem Hintergrund des realen Klimawandels sowie den Zielsetzungen der Ackerbau-Strategie 2035, des Green Deals, der Farm-to-Fork- und Biodiver­sitätsstrategien werden wir um einen Einsatz der Genscheren nicht herumkommen. Gerade kleine Züchter können von dieser zielgerichteten Mutagenese-Methode profitieren und ihre Ideen für neue Pflanzensorten testen. Wir sollten diskutieren, welche Ansätze und Anwendungen der Genom­editierung akzeptabel sind und welche nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Methoden zur Genom­editierung ständig weiterentwickeln“, so der habilitierte Pflanzenforscher.

Bettina Dupont

Bild: Claudia Eulitz, Uni Kiel


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Letzte Änderungen: 19.07.2021