Editorial

Reverse Genetik mit Tropfen

(25.08.2021) CRISPR-Screens sind mühsam. Verpackt man die Guide-RNAs mit Cas9 und einem Barcode in einzelne Tropfen, werden sie erheblich vereinfacht.
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Um den tausenden Genen in einem Organismus eine eindeutige Funktion zuzuordnen, braucht man effiziente Screening-Methoden. Populationen von Zufalls­mutanten zu erzeugen und dann in den einzelnen Individuen nach Gendefekten suchen (Vorwärts-Genetik) ist aber sehr arbeits­aufwendig, kostet viel Zeit, benötigt Platz und ist oft auch eine logistische Heraus­forderung. Auch der umgekehrte Weg über die Reverse Genetik, bei der man viele einzelne Gene gezielt ausschaltet und beobachtet, was passiert, scheitert oft an dem hierfür nötigen hohen Durchsatz.

Mit CRISPR ist der Weg zur Mutante zwar einfacher geworden, doch der Durchsatz und die Skalier­barkeit sind auch mit dieser Technik überschaubar. Das liegt ganz einfach daran, dass für jede Genmani­pulation eine eigene Guide-RNA (gRNA) erzeugt, verifiziert und in separaten Transfektions-Ansätzen verabreicht werden muss. Im Zebrabärbling-Screening liegt der Rekord parallel erzeugter Mutanten bei 128 (NPJ Regen Med, 3:11) – und so hoch ist auch die Anzahl der Injektions­spritzen, die separat aufgezogen werden müssen.

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Ein Ansatz, viele gRNAs

Mit der Multiplexed Intermixed CRISPR Droplets, oder kurz MIC-Drop, -Methode, die Randall Petersons Gruppe von der University of Utah erfand, könnte zukünftig aber eine Spritze genügen, um breitangelegte CRISPR-Screenings durchzuführen. Mit MIC-Drop ist es möglich, in nur einem Transfek­tionsansatz viele verschiedene gRNAs an Zebra­bärblinge zu verabreichen und jede einzelne davon einem phänotypisch auffälligen Fisch zuzuordnen.

Beim MIC-Drop-Protokoll werden in den einzelnen Wells einer Mikrotiter­platte gRNAs mit der Nuklease Cas9 sowie einem spezifischem DNA-Barcode vermischt. Jedes Well enthält Moleküle von genau einer gRNA-Spezies und einen dazu­gehörigen Barcode. gRNA und Barcode sind eigenständige Moleküle und nur räumlich beisammen. Würde man die Inhalte der Wells vereinen und in einer Spritze aufziehen, ginge die eindeutige Zuordnung von gRNA und Barcode verloren – sie bleibt jedoch erhalten, wenn man den Inhalt der Wells in einen Tropfen einschließt.

Stabile Tropfenbibliothek

Nach einigem Herum­doktern mit Ölen und Detergenzien fanden die Forscher eine geeignete Rezeptur sowie einen passenden Tröpfchen­generator, mit denen sich die barcodierten CRISPR-Proben­ansätze in winzigen Tropfen einkapseln lassen. Die Tropfen tauschen untereinander keine Moleküle aus – selbst wenn sie eng beisammen­liegen. Sie können deshalb zu einer Bibliothek mit unzähligen gleichgroßen Tropfen zusammen­gefasst werden, die bei vier Grad Celsius mindestens einen Monat stabil bleibt. Zieht man diese Tropfen-Emulsion in eine Spritze auf, kann sie mithilfe einer Mikroinjek­tionsnadel in einzellige Zebra­bärblings-Embryonen injiziert werden, wobei ein Tropfen pro Embryo genügt – drei Mikroliter der Flüssigkeit enthalten genügend Tropfen für 300 Embryonen.

Die Embryonen werden danach kultiviert und über einen Zeitraum von zwei bis drei Tagen unter dem Mikroskop beobachtet. Embryos, die sich seltsam verhalten oder eine konkrete Auffälligkeit zeigen, isoliert man. Von diesen Exemplaren muss nur der Barcode sequenziert werden, um zu sehen, welche gRNA verabreicht wurde beziehungsweise welcher Gendefekt vorliegt. Wer die Methode noch weiter ausreizen will, kann das Zielgen mit bis zu vier verschiedenen gRNAs ansteuern. Damit erhöht sich die Chance, einen ansonsten versteckt bleibenden Phänotyp aufzuspüren. Die vier gRNAs befinden sich in diesem Fall gemeinsam im ursprünglichen CRISPR-Ansatz in einem Well mit einem zugehörigen Barcode. Letzterer ist mit einem Biotin-Schwänzchen ausgestattet, damit er sich vor dem Sequenzieren anreichern lässt.

Mutantenrettung geglückt

Befürchtungen, der Kontakt mit Öl und Detergenz würde den Zellen schaden, konnten die Forscher ausräumen. Sie liefern außerdem den Beweis, dass ein beobachteter Phänotyp tatsächlich auf die jeweilige Genmani­pulation zurückzuführen ist. Hierzu retteten sie die Mutanten mit der entsprechenden mRNA. Den bisherigen Screening-Rekord haben die US-Amerikaner schon jetzt geschlagen. Sie screenten mit MIC-Drop alle 188 Gene des Zebra­bärblings, die mit dem kardi­ovaskulären System des Fischs zusammen­hängen, und fanden neben den einschlägigen Genen auch 13 neue Kandidaten.

Andrea Pitzschke

Parvez S. et al. (2021): MIC-Drop: A platform for large-scale in vivo CRISPR screens. Science, eabi8870

Bild: Pixabay/Fotografie_Reimann




Letzte Änderungen: 25.08.2021