Editorial

Saubere RNA dank
Eisenkügelchen

(03.11.2021) Bei der In-vitro-Transkription entstehen oft auch kleine Mengen doppel­strängiger RNA. Eine neue Bead-basierte Methode macht damit Schluss.
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Die COVID-19-Pandemie wütet mittlerweile seit über anderthalb Jahren. Insgesamt waren bereits 250 Millionen Menschen weltweit infiziert, mindestens fünf Millionen Fälle davon endeten tödlich. Zahlen, die nur schwer zu begreifen sind. Man möchte sich nicht ausmalen, wie die Statistik ohne Impfstoffe aussähe.

Besonders im Fokus stehen mRNA-Impfstoffe, etwa Comirnaty von BioNTech. Ihr Prinzip ist so simpel wie genial: Eine kurze mRNA wird in die Körperzellen eingeschleust, abgelesen und heraus kommt ein Virusprotein. Für sich genommen ist das Protein harmlos, dient aber dem Immunsystem als Antigen, um spätere Infektionen mit dem echten Virus frühzeitig zu erkennen. mRNA-Impfstoffe sind flexibel einsetzbar und hoch effizient bei wenig Neben­wirkungen. Nicht wenige Fachleute sagen daher bereits das Zeitalter der mRNA-Medizin vorher. Würde sich dies tatsächlich bewahrheiten, müssten große Mengen mRNA produziert werden – dafür wären aber optimierte Herstellungs­verfahren nötig.

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Blitzschnelle Synthese mit Haken

Es gibt verschiedene Wege, RNA mithilfe der In-vitro-Transkription im großen Maßstab zu synthetisieren. Häufig wird dazu die virale T7-RNA-Polymerase verwendet. Das Enzym aus dem Bakterio­phagen T7 besticht durch blitzschnelle Synthese­raten von mehr als 200 Nukleotiden pro Sekunde. Kloniert man den T7-Promoter vor die Zielsequenz, bindet die Polymerase und transkribiert den DNA-Strang sehr effizient und mit minimaler Abbruchrate bis zum Ende des Transkripts.

Die beliebte T7-Methode hat jedoch einen Haken: Entsteht eine größere Menge an RNA im Ansatz, bindet die Polymerase auch an das 3‘-Ende der fertigen Transkripte – ganz ohne T7-Promoter­sequenz. Das Ergebnis ist doppel­strängige RNA (dsRNA), die den homogenen Pool einzel­strängiger RNA verunreinigt. Auch wenn die Zahl dieser Ausreißer letztlich sehr gering ist, sind die Auswirkungen oft gravierend. Dies belegen zahlreiche klinische Studien, in denen die dsRNA das körpereigene Immunsystem auf den Plan rief, denn viele virale Pathogene haben ein dsRNA-Genom. Im schlimmsten Fall eliminiert die Zelle auch die intakten RNA-Kopien gleich mit.

Salz destabilisiert

Um solche fatalen Immun­reaktionen zu verhindern, müssen RNA-Forscher die produzierte RNA mit aufwendigen Methoden reinigen – dabei geht nicht nur viel Zeit, sondern auch RNA verloren. Das Team des Molekular­biologen Craig T. Martin von der University of Massachusetts Amherst hat deshalb eine verbesserte T7-Methode entwickelt, welche die Bildung von dsRNA während der Herstellung verhindert.

Interagiert ein Protein, etwa eine RNA-Polymerase, mit einem DNA-Strang im Reaktionsmix, sorgt die Anziehung von negativ geladenen DNA-Phosphat­gruppen und positiv geladenen Amino­säureresten des Proteins für eine stabile Protein-DNA-Bindung. Erhöht man die Salzkon­zentration, wird die Protein-DNA-Bindung schwächer. Die zusätzlichen Ionen wechselwirken ihrerseits mit den negativen und positiven Ladungs­trägern von DNA und Proteinen. Martins Team nutzt dieses Phänomen, um die Promoter-unabhängige Bindung der T7-Polymerase an die 3‘-Enden der Transkripte zu destabilisieren. Bei einer NaCl-Konzentration von 0,4 mol/l stellten die Wissen­schaftler so gut wie keine Polymerase-Aktivität am 3‘-Ende mehr fest. Das Produkt ist fast frei von dsRNA-Kontaminationen.

Lokale Transkriptions-Hotspots

Das Problem dabei: Die hohe Salzmenge verringert auch die gewünschte Bindung der Polymerase an den T7-Promoter. Die RNA ist zwar sauberer, der Ertrag lässt aber zu wünschen übrig. Das Forscherteam benötigte eine Strategie, die dafür sorgt, dass sich Polymerase und Promoter auch bei hohem Salzgehalt verlässlich finden.

Sie versetzten den Reaktionsmix mit wenigen Nanometer großen Partikeln aus Eisenoxid (Beads), die mit dem Aufreinigungs-Harz Streptactin-XT beschichtet waren. Die Kügelchen funktionieren wie mikroskopisch kleine Transkriptions-Plattformen. Sie schaffen lokale Hotspots von Polymerase und DNA-Strang im Reaktionsmix und bilden unzählige Keimzellen für die effiziente Transkription. Doch wie schaffen die winzigen Metall­kügelchen das?

Die Streptactin-XT-Komplexe an der Bead-Oberfläche binden hochaffin wahlweise Biotin oder den rekombinanten Protein-Tag Strep-Tag II. Jeder Streptactin-XT-Komplex kann bis zu vier Liganden binden. Martins Gruppe fusionierte die T7-Polymerase mit einem Strep-Tag II, um das Enzym an die Komplexe zu fixieren. Dann biotinylierten die Forscher eine kurze einzel­strängige DNA-Sequenz, die komplementär zu Teilen des T7-Promoters ist. An eine benachbarte Stelle des Komplexes gebunden rekrutiert die Sequenz den T7-Promoter und damit auch den zu transkribierenden DNA-Strang. Jetzt kann sich die Polymerase an den Promoter in unmittelbarer Nähe anlagern und die Transkription initiieren. Kontroll­experimente belegen, dass die Bindung an die Beads die Effizienz der Transkription nicht negativ beeinflusst.

Attraktiv für Therapie

Das System funktioniert wie gewünscht: Die T7-RNA-Polymerase synthetisiert große Mengen sauberer RNA ganz ohne aufwendige Aufreinigung. Die Forscher machen die In-vitro-Transkription mittels T7-RNA-Polymerase damit noch attraktiver für thera­peutische Anwendungen. Ein kleiner Wermuts­tropfen bleibt aber: Die Streptactin-XT-Beads binden vor allem kleinere DNA-Moleküle zuverlässig. Bei Sequenzen, die länger sind als 120 Nukleotide, was bei mRNA oft der Fall ist, besteht noch Optimie­rungsbedarf. Die gute Nachricht für Martins Team: Das Zeitalter der mRNA-Medizin hat gerade erst begonnen. Es ist also noch genügend Zeit.

Michael Bell

Cavac E. et al. (2021): High-salt transcription of DNA cotethered with T7 RNA polymerase to beads generates increased yields of highly pure RNA. Journal of Biological Chemistry, 297(3):100999

Bild: AdobeStock/studiostoks



Letzte Änderungen: 03.11.2021