Editorial

Entgegen
dem Strom

(18.11.2021) Statt von der Uni in die Industrie zu wechseln, nahm Biologe Martin Sieber den umgekehrten Weg und ist nun Transfer­professor an der Hochschule.
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Welche Aufgaben und Möglichkeiten sind mit der Transfer­professur an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) verbunden? Bekommen Sie dafür zusätzliche Gelder?
Sieber: Die Transfer­professur ist nicht mit Geld, dafür – viel wichtiger – mit Zeit verbunden. Mein Lehrdeputat wurde von 18 auf 9 Semester­wochenstunden reduziert. So kann ich mein Transfer­konzept auch tatsächlich umsetzen. Ich kann begonnene Projekte weiter ausbauen und neue Kooperationen mit Firmen aus den Life Sciences eingehen. Auf diese Weise kann ich auch Partner für unsere praxisnahe Ausbildung gewinnen, zum Beispiel für unseren „Praktikumshub“. Das von mir nicht besetzte Lehrdeputat übernehmen hochkarätige externe Praktiker, etwa für die Themen Start-up und Regulatory Affairs. Das bringt noch mehr Praxisbezug in unsere Lehre in unseren natur­wissen­schaftlichen Studiengängen.

Editorial

Wie kam es dazu, dass Sie als Professor an die H-BRS gegangen sind?
Sieber: Ich war in der Industrie in der Drug Discovery, im Marketing, in Medical Affairs sowie als Projekt­manager tätig, zuletzt in Global Clinical Operations bei der Bayer AG. An der Professur haben mich zwei Aspekte gereizt. Zum einen kann ich weitergeben, was ich in der Pharma­industrie gelernt habe. Ich denke, dass es wichtig ist, den Studenten schon früh im Studium die Möglichkeiten in dieser Branche vorzustellen. Zum anderen arbeiten in der Medikamenten­entwicklung und -zulassung Menschen mit sehr unter­schiedlicher Fach­expertise zusammen. Sie tragen gemeinsam dazu bei, dass aus einem Molekül etwas Nützliches für die Menschheit wird. Ich finde dieses Thema absolut faszinierend und will für dieses Thema in den Lebens­wissenschaften mehr Sichtbarkeit erreichen.

Was möchten Sie Ihren Studenten auf der Basis Ihrer beruflichen Erfahrungen vermitteln?
Sieber: Ich möchte, dass die Studenten durch ein praxisnahes Studium verstehen, was es braucht, um eine Idee aus dem Labor heraus zu einem Produkt zu entwickeln. Das ist die Basis für mögliche zukünftige Gründungen. Deshalb haben wir eine Start-up-Gruppe, die mit Studenten beispielsweise einen Businessplan durchspielt. Auch Themen wie Patentierung und die Medikamenten­entwicklung sind mir wichtig. Ich denke, diese Inhalte sind nicht nur entscheidend für die Berufswahl in der freien Wirtschaft, sondern auch für Absolventen, die in der akademischen Forschung bleiben. Auch ihnen stellt sich die Frage: Welche Schritte sind notwendig, um aus ihren zukünftigen wissen­schaftlichen Erkenntnissen ein Produkt zu entwickeln, das Menschen hilft.

Was möchten Sie den Studenten noch mitgeben?
Sieber: Das berufliche Spektrum und die Chancen für Biologen sind zurzeit sehr groß, und auch sehr breit gefächert. Ich möchte, dass unsere Studenten ihre beruflichen Chancen kennen. Um dieses Potential zu heben, ist eine sehr gute wissen­schaftliche Ausbildung essentiell, aber eben auch Wissen über die angrenzenden Transfergebiete.
Ich möchte, dass unsere Studenten auf ihrem Berufsweg Engagement und Mut zeigen, dass sie austesten, was ihnen liegt, dass sie flexibel sind und nicht so leicht aufgeben. Wenn man sich für etwas begeistert, trägt es einen auch. Ich wünsche mir, dass sie ihrem eigenen Weg vertrauen, selber entscheiden, was sie interessiert und wo sie hinwollen. Meine Aufgabe sehe ich darin, die Berufs­möglichkeiten transparenter zu machen.

Welche Vorlesungen bieten Sie hierfür an?
Sieber: Ich selbst lehre in unserem Bachelor-Studiengang „Applied Biology“ die Fächer Angewandte Klinische Forschung sowie Medikamenten­entwicklung, und im Master-Studiengang „Biomedical Sciences“ das Modul Planung und Durchführung klinischer Studien. Insbesondere im Master-Studiengang bieten wir weitere praxisnahe Module an – unter anderem Start-up, Regulatory Affairs und Medizin­produkte­entwicklung. Die praxis­orientierte Ausbildung stößt bei den Studenten auf großes Interesse und wir können attraktive Abschluss­arbeiten in Zusammenarbeit mit der Industrie anbieten.

Welche Tätigkeiten üben Ihre Absolventen aus?
Sieber: Einige Master-Absolventen beginnen mit einer Tätigkeit in der Industrie wie etwa in der klinischen Forschung und in Regulatory Affairs. Ein Teil promoviert aber auch. Unsere Studenten werden als Doktoranden gerne genommen. Sie gehen dann aber nach der Promotion häufig in ähnliche Berufe wie die Master-Absolventen.

Konnten Sie bereits erfolgreich Projekte gemeinsam mit regionalen Unternehmen durchführen?
Sieber: Unser anwendungs­orientiertes Microbiome Center, das ich mit den Kollegen Ralf Möller und Ralf Thiele am Institut für funktionelle Genanalytik (IFGA) gestartet habe, hat laufende Kooperationen mit Firmen in den Bereichen Desinfektion, Lebensmittel und Agrar. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Unternehmen zusammen, das Boden­bakterien für die Landwirtschaft entwickelt. Diese erzeugen mehr Humus und verbessern so den Boden. Unser Fokus liegt auf der Anwendung, und wir führen standardisierte Analysen durch. Für mich ist das Zentrum auch ein Testballon, wie sich die Zusammen­arbeit der Hochschule mit Firmen gestaltet. Das Konzept läuft gut. Von daher planen wir, es auch im Themen­bereich In-vitro-Pharmakologie am IFGA auszurollen.

Welche Themen und Projekte möchten Sie als Nächstes angehen?
Sieber: Ich möchte die Themen Entwicklung und Anwendung in der Lehre verstärken. Im nächsten Jahr planen wir eine Summer School zum Thema Arzneimittel­entwicklung, die auch für Studenten anderer Hochschulen offen ist. Mit meiner Fellowship des Stifter­verbandes für Innovationen in der digitalen Hochschul­lehre beabsichtige ich, eine Simulations­plattform für die Ausbildung in der klinischen Forschung weiterzu­entwickeln und somit die Lehre auf diesem Gebiet weiter zu stärken. Ich möchte auch noch mehr Praktiker als Vortragende und Rollen­vorbilder an die Hochschule bringen und die Ausbildung zum Thema Start-up durch Natur- und Wirtschafts­wissenschaftler stärken. Wesentlich ist natürlich auch das Teilen von Kontakten. Wir haben ein gutes Alumni-Netz, aus dem Alumni immer wieder bei uns vortragen und ihren Karriereweg vorstellen. In einigen Jahren wird das Netzwerk sicherlich noch viel größer sein.

Das Interview führte Bettina Dupont

Bild: AdobeStock/Bobrucco


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Letzte Änderungen: 18.11.2021