Gensequenz
gegen Gebühr
(22.11.2021) Im nächsten Jahr könnte der Zugriff auf Gen-Datenbanken für Forscher erheblich erschwert werden. Das Nagoya-Protokoll soll erweitert werden.
Mit dem Betreff „SOS: Biodiversität in Gefahr!“ erreichte die Laborjournal-Redaktion kürzlich eine Mail von der DSMZ-Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig. Darin heißt es: „Der beste Schutz der Artenvielfalt ist gegeben, wenn Forscher*innen global die Biodiversität untersuchen, beschreiben, sequenzieren und in für alle frei zugänglichen Datenbanken speichern. Den Zugang einzuschränken, bedeutet Artensterben Tür und Tor zu öffnen. Doch jetzt soll der Zugang reglementiert und bürokratisiert werden.“ Wir horchten auf, hatte doch DSMZ-Direktor Jörg Overmann bereits 2018 mit uns über dieses Thema gesprochen.
Stichwort: Biodiversitätskonvention (CBD) und Nagoya-Protokoll. Letzteres regelt seit 2014 den Zugang zu biologischen Ressourcen bestimmter Länder. Möchten deutsche Wissenschaftler beispielsweise eine kambodschanische Weichschildkröte erforschen, müssen sie zunächst mit der zuständigen kambodschanischen Behörde über eine Gegenleistung verhandeln (Access and Benefit-Sharing), diese kann finanzieller Natur sein, oder man bietet etwa Workshops oder Austauschprogramme für die lokalen Wissenschaftler an. Mit dieser Ausgleichsregelung sollte insbesondere der Biopiraterie Einhalt geboten werden. Ein fortschrittlicheres Land sollte sich nicht mehr einfach so an der einheimischen Fauna und Flora eines Entwicklungslandes bedienen können, um kommerzielle Produkte zu kreieren. Von den Gewinnen sollte auch das Herkunftsland etwas haben, und gleichzeitig könnte so auch die Spezies vor Ausbeutung geschützt werden.
Kompliziertes Prozedere
Was zunächst sinnvoll klingt, hat jedoch in der Praxis seine Tücken. „In Namibia etwa muss ich von drei bestimmten Ministerien und Behörden verschiedene Genehmigungen und Dokumente einholen. Gehe ich nach Kenia, sind dies ganz andere Behörden“, erzählte uns Jörg Overmann 2018. Auch in Deutschland wird es den Forschern nicht wirklich leicht gemacht. Schreiben des zuständigen Bundesamts für Naturschutz haben meist einen unterstellenden Ton, beschwert sich etwa VBIO-Präsident Karl-Josef Dietz in seinem Essay für LJ. „Juristisch mag alles korrekt gewesen sein. Was Verfahren und Duktus sowie den expliziten Hinweis auf die Strafbewehrtheit betrifft, waren die Schreiben aber schlichtweg unmöglich – und alles andere als geeignet, Vertrauen zu schaffen“.
Seit einiger Zeit diskutieren die Vertragsstaaten jedoch darüber, ob nicht bereits der Zugang zur reinen Gensequenz eines Organismus in einer Datenbank ebenfalls reglementiert werden sollte. „Das wäre natürlich ein Schritt, der die gesamten Lebenswissenschaften in großem Umfang lahmlegen würde – zumindest in Kooperationen mit Ländern außerhalb Europas und Nordamerikas. Da gibt es keinen Zweifel“, ist sich Jörg Overmann sicher. Es wäre auch ein großer Rückschritt in Sachen Reproduzierbarkeit und Open Science, würde der Zugang beschränkt und möglicherweise nur zahlenden Organisationen gewährt.
Entscheidung im Frühjahr
Die Entscheidung, ob oder ob nicht digitale Sequenzinformationen (DSI) in das Nagoya-Protokoll aufgenommen werden, sollte eigentlich diesen Oktober fallen. Aufgrund der immer noch anhaltenden Pandemie fand die Vertragsstaatenkonferenz jedoch nur online statt. Es wurde weder verhandelt noch entschieden. Die nächsten Präsenztreffen sind im Januar in Genf und im April in China geplant und könnten die Entscheidung bringen.
Dass ein bilaterales System, bei dem jede Daten-Nutzung einzeln mit dem entsprechenden Land verhandelt werden muss, unpraktikabel ist, liegt auf der Hand. Bei hunderten Gensequenzen wäre das der Bürokratie-Horror schlechthin.
Es gibt aber auch noch andere Ideen, die die Leopoldina in einer ad-hoc-Stellungnahme zusammengefasst hat. So könnten beispielsweise allgemeine Nutzungsgebühren von Gen-Datenbanken erhoben werden, entweder für die Dateneingabe oder die Datenabfrage. Das würde jedoch das Konzept des Access and Benefit-Sharing über den Haufen werfen, müssten dann nämlich auch jene Forscher aus weniger reichen Ländern und aus den Ländern, aus denen die Ressourcen stammen, zahlen. Abgesehen davon ist von vielen Sequenzen noch nicht mal bekannt, woher sie überhaupt stammen. Und insbesondere Mikroorganismen lassen sich oft gar nicht nur einem einzigen Land zuordnen. Man müsste hier also je nach Sequenz und Herkunftsland der Nutzer Unterschiede machen. Kompliziert!
Zur Auswahl steht auch noch das Micro-Levy-Modell: hierbei werden auf Arbeitsmaterialien wie Sequenziermaschinen und Verbrauchsmaterial Abgaben gezahlt. Ganz klar benachteiligt wären jedoch reine Diagnostiklabore, die nur sequenzieren ohne Daten zu generieren. Last but not least, könnten auch Gebühren auf Forschungsprojekte, die Gensequenzen nutzen, erhoben werden. Diese würden dann in einen multilateralen Fonds eingezahlt werden. „Letztlich würden so öffentliche Forschungsmittel verwendet, um zusätzlich zu dem nichtmonetären Vorteil der wissenschaftlichen Gemeinschaft einen monetären Vorteil zu generieren,“ urteilt die Leopoldina.
USA sind außen vor
Und es gibt weitere Dinge zu bedenken. Die USA haben das Biodiversitätsabkommen nämlich gar nicht unterzeichnet. Sie beherbergen jedoch eine der größten Sequenz-Datenbänke, die GenBank. Zusammen mit der DNA DataBank of Japan (DDBJ) und dem European Nucleotide Archive (ENA) gehören sie zur International Nucleotide Sequence Database Collaboration, sind vernetzt und tauschen täglich Daten aus. Wie soll eine Zugangsbeschränkung für bestimmte Forscher da funktionieren? Ziemlich sicher wird sich die GenBank auch auf keinerlei Nutzungsbeschränkung einlassen, warum auch.
Und was ist überhaupt mit Pathogenen? Sollten deren Gensequenzen nicht so wie bisher allen Forschern frei zur Verfügung stehen, ohne jegliche Zugangsbeschränkung? „Das ist in der Tat eine grundsätzliche Gefahr, die insbesondere bei Viruserkrankungen droht, da die Erreger ja häufig sehr schnell sequenziert und analysiert werden müssen, um weiterzukommen. Eine Verschärfung der Nutzungsregeln hätte hier also ganz sicher unmittelbare Auswirkungen auf die Krankheitsbekämpfung,“ sagte Jörg Overmann zwei Jahre vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Thomas B. Cueni, Director General der International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations findet in einem STAT-Artikel vom letzten Jahr noch deutlichere Worte: „Protecting the biodiversity of pathogens seems a perversion of the original aims of the convention.“
Es bleibt spannend, wie sich die politischen Entscheidungsträger letztlich positionieren oder die Paragrafen des Abkommens interpretieren. Ein Gutachten im Auftrag des BMBF kommt jedenfalls 2017 zum Schluss, dass „als ‚genetische Ressource‘ im Sinne der CBD ausschließlich die physisch vorliegende, verkörperte biologische Probe gilt und umgekehrt digitale Sequenzdaten nicht als ‚genetische Ressourcen‘ in diesem Sinne qualifiziert werden können.“
Ob alle Entscheidungsträger das ähnlich sehen, darf bezweifelt werden. Geht es doch um zusätzliche Einnahmequellen. Das einzige, was Wissenschaftler aktuell noch tun können, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffe, ist das Positionspapier der DSMZ zu unterschreiben, mitzutragen und zu verbreiten. Wer mitzeichnen möchte, kann sich einfach an die Pressestelle des DSMZ wenden.
Kathleen Gransalke
Bild: Pixabay/cocoparisienne (Brieftasche) & ENA
Weitere Artikel aus dem aktuellen Laborjournal-Heft
- Von der Pandemie zur Corona-Saison
Inzwischen steht wohl fest: Wir müssen mit SARS-CoV-2 leben. Wie sich die Welt mit Corona künftig entwickeln könnte und warum sich das Virus nicht wegimpfen lässt, hat Laborjournal den Immunologen Carsten Watzl gefragt.
- Die grünen Hungerspiele
Das Forschungsteam um Forstwissenschaftler Henrik Hartmann zeigt, dass Bäume strategischer mit ihren Ressourcen umgehen, als bisher vermutet – und wirft damit die bestehende Lehrmeinung über den Haufen.
- Punktgenau gesteuerte Genexpression
Ein optogenetisches CRISPR-Cas-System ermöglicht die Aktivierung oder den Knock-down beliebiger Gene. Doch nicht nur das: Forscher können mit dem neuen Tool die RNA-Menge in komplexen Organoiden manipulieren – räumlich präzise und genspezifisch.