Editorial

COVID-19: Was hält die Impfung?

(06.12.2021) Die durch Impfung induzierten SARS-CoV-2-Antikörper verschwinden nach wenigen Monaten wieder. Taugen die Vakzine also nichts? Eine kleine Studien-Analyse.
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Wir impfen nun seit einem (knappen) Jahr. Zur Impfwirkung gibt es über die Zulassungs­studien hinaus Daten beispielsweise aus UK, Kanada, Schweden, North Carolina und Kalifornien. Und natürlich aus Israel, wo man mit den Impfungen sehr früh begonnen hatte und sich als Erstes zeigte, dass eine zweimalige Impfung mit Comirnaty von BioNTech/Pfizer (was dort hauptsächlich verwendet wurde) womöglich nicht ausreichend vor einer Infektion schützt.

In der israelischen Studie wird etwa berichtet, dass bei 83.000 Zweifach-Geimpften das Risiko für eine Infektion kontinuierlich anstieg, und zwar je länger die Zweitimpfung zurücklag (BMJ,375:e067873). Bei 150 bis 179 Tagen nach Zweitimpfung hatten 10,3 % der Probanden einen positiven PCR-Test erhalten (2.911 von 28.240), bei weniger als 90 Tagen nur 1,3 % (51 von 3.963). Lag die Zweitimpfung mehr als 180 Tage, also 6 Monate, zurück, stieg der Anteil der Positiv-Getesteten auf 15,5 % (4.032 von 25.960).

Beispiel Kalifornien: In dem Bundesstaat wurden retrospektiv Daten von 3,3 Millionen Personen vor bzw. nach Impfungen mit BNT162b 2 von BioNTech/Pfizer für den Zeitraum Dezember 2020 bis August 2021 ausgewertet und sogar nach Virus-Variante stratifiziert. Demnach war die Effektivität der Impfung gegen Delta (93 %) und Nicht-Delta-Varianten (97 %) anfangs hoch und schwand innerhalb von vier bis fünf Monaten auf 53 bzw. 67 %. Gezählt wurden hier PCR-positive Tests und COVID-19-verursachte Hospita­lisierungen. Fazit der Autoren: „Our results show high effectiveness of BNT162b2 against hospital admissions up until 6 months after being fully vaccinated in a large, diverse cohort under real-world vaccination conditions, even in the face of widespread dissemination of the delta variant” (Lancet, 398(10309):1407-1416).

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Zu wenig Details

Der Interpretation solcher Beobachtungs­studien sind aus verschiedenen Gründen Grenzen gesetzt. Beispielsweise hatten tausende der israelischen Teilnehmer der Studien­population Comorbiditäten wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck. Diese wurden allerdings in der statistischen Auswertung mit einbezogen und herausgerechnet. In Kalifornien waren solche Daten gar nicht erst erhoben worden. Man weiß auch nicht, warum die Personen, die in die Studie aufgenommen wurden, einen PCR-Test machten. Wegen Symptomen? Wegen Testvorschriften am Arbeitsplatz? Wegen sozialer Teilhabe an Veranstaltungen? Wegen Kontakten zu Infizierten? Unklar ist auch, ob geimpfte Personen sich anders verhielten, z. B. mehr oder weniger Sozialkontakte hatten als Ungeimpfte. Auch fehlen Daten zu den jeweils geltenden Regulierungen, z. B. Maskenpflicht und Kontakt­vermeidung etc.

Obendrein gingen wohl Infizierte ohne/mit schwachen Symptomen nicht in die Studie ein, weil sie nie einen PCR-Test machten. Da man diese Zahl nicht kennt, weiß man auch nicht, wie stark dies die Daten verzerrt.

Und schließlich macht die Biologie von SARS-CoV-2 auch noch Probleme. Denn das Virus kann Menschen infizieren und sich in den oberen Atemwegen vermehren, bevor das Immun­system dessen überhaupt gewahr wird. Das erklärt Carsten Watzl von der TU Dortmund im Laborjournal. Daher kann die Impfung keine sterile Immunität vermitteln – aber vielleicht doch schwere Folgen zumindest reduzieren. Um dies festzustellen, müsste man sich also die Hospita­lisierungen und Todesfälle anschauen und mit der Gesamt­sterblichkeit vergleichen.

Ähnliches Muster auch in UK

In Großbritannien wurde die Effektivität des AstraZeneca-Impfstoffs Vaxzevria und von Comirnaty gegen Delta untersucht und sympto­matische Infektionen, Hospita­lisierungen und Todesfälle gezählt. Es zeigte sich ein ähnliches Muster wie in Kalifornien. Der Schutz vor Infektion schwand mit den Monaten, allerdings blieb der Schutz vor Tod oder Hospita­lisierung auch nach 5 Monaten noch sehr hoch. „We observed limited waning in vaccine effectiveness against hospitalisation and death more than 20 weeks post-vaccination with Vaxzevria or Comirnaty”, heißt es im Abstract des Preprints (medRxiv, DOI: 10.1101/2021.09.15.21263583).

Wie der aktuelle Stand in UK ist, kann man dem dortigen sehr ausführlichen Surveillance Report (daran sollte sich ein RKI mal ein Beispiel nehmen!) entnehmen, der wöchentlich heraus­gegeben wird und auf UK-Zahlen sowie etlichen darin zitierten Studien basiert. Nehmen wir beispielsweise die Ausgabe von KW 48/2021. In der Altersgruppe 65+ sind über 90 % geimpft. Wie sich das auswirkt, ist z. B als Mortalität auf S. 9 dargestellt. Für Alpha gibt es nur zwei Messpunkte, weil sie von Delta dann verdrängt wurde. Die Impfstoffe sind zunächst effektiv gegen Delta und schützen vor dem Corona-Tod, verlieren dann aber (Vaxzevria etwas mehr als Comirnaty) sukzessive an Wirkung.

In diesem Bericht wird auf S. 22/23 auch auf Fehlgeburten bei geimpften und nichtgeimpften Schwangeren eingegangen. Kürzlich ging ja eine Meldung durch manche Medien und Twitter, wonach geimpfte Schwangere viel häufiger ihre Kinder verlieren. Das stimmt so aber nicht! Zwischen Januar und August 2021 verloren ähnlich viele geimpfte wie nichtgeimpfte Schwangere ihr Ungeborenes. Auch für das Geburts­gewicht und Frühgeburten (<32 Wochen) fand sich kein Unterschied.

Ziemlich guter Schutz

In Tabelle 11 auf S. 34 findet man außerdem Zahlen zu Personen, die 28 bzw. 60 Tage nach einem positiven COVID-19-Test verstarben, aufgesplittet nach Alter und Impfstatus. Die Inzidenz lag bei gut 1.100, das Virus war also nicht selten. Lassen wir an dieser Stelle einmal die Ältesten beiseite, bei denen ein Impfversagen infolge alters­bedingtem schlechtem Immunsystem eher wahrscheinlich ist als bei Jüngeren, und schauen auf die 50-59- bzw. 60-69-Jährigen. In diesen beiden Gruppen starben pro 100.000 Personen vier- bis fünfmal mehr Ungeimpfte als Geimpfte. Berücksichtigt man nun, dass 80-90 % der Bevölkerung dieses Alters geimpft sind, schützte eine Impfung im beschriebenen Zeitraum KW 44-47 anscheinend ziemlich gut.

Okay, kommen wir nun zur Booster-Impfung. Über deren Nutzen gibt es noch nicht so viele Daten, weil ja noch nicht lange geboostert wird. Schauen wir also wieder nach Israel, von wo Zahlen für die Ü60-Jährigen bereits vorliegen. Ergebnis: im Juli 2021 waren in der Gruppe mit Booster 934 Personen infiziert, 29 hatten schwere Symptome. In der anderen Gruppe wurden 4.439 Infektionen festgestellt, 294 hatten schwere Symptome. Da die Booster-Gruppe etwa 1,4-mal so groß war wie die Nonbooster-Gruppe, fällt der Unterschied noch etwas drastischer aus (N Engl J Med, 385:1393-1400).

Und nun zum Thema Kinder. Einig ist man sich, dass junge Kinder sich zwar anstecken können, aber quasi keine Symptome haben und nur sehr, sehr selten schwer erkranken oder gar sterben. Der Grund dafür könnte sein, dass bei Kindern das angeborene Immunsystem in den oberen Atemwegen viel aktiver ist als bei Erwachsenen und die Viren abfängt, bevor sie größeren Schaden anrichten, wie Irina Lehmann von der Charité bei Laborjournal erklärte. Im oben erwähnten Surveillance Report ist für Jugendliche/Kinder unter 18 Jahren in UK eine Todesrate von 1 pro 1 Million angegeben.

Warten auf Daten

Die Impfung löst bei Kindern zunächst gute Antikörper-Titer aus (ob und wie die halten, muss man noch schauen). Wie sicher der Impfstoff ist, kann man aber noch nicht wirklich beurteilen, denn die bisherigen Nachbeo­bachtungszeiten von 2 Monaten reichen für eine solche Bewertung nicht aus. Das werde man erst sehen, wenn der Impfstoff hierzulande eingesetzt wird oder man Erfahrungen aus den USA bekommt, wo Kinder ab 5 Jahren seit der ersten November­woche geimpft werden, sagt etwa Fred Zepp, ehemaliger Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin, Universitäts­medizin Mainz, und Mitglied der Ständigen Impfkommission, im SMC-Press-Briefing.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugend­medizin nimmt zu dem Thema wie folgt Stellung: „Die Annahme, dass die Impfung bei jungen Kindern einen anhaltenden Einfluss auf die Übertra­gungsrate des Virus nehmen wird, ist unbestätigt. Insoweit ist die Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Impfindikation bei jungen Kindern besonders sorgfältig zu überprüfen und nicht so offen­sichtlich wie bei der Impfung von Erwachsenen. Die Forderung nach Impfungen der jungen Kinder zur Verhinderung eines allgemeinen Lockdowns ist nicht verhältnis­mäßig. Der Eigennutz für das Kind muss im Vordergrund stehen. (…) Wir gehen davon aus, dass wie bei den 12- bis 17-Jährigen zunächst eine Indikations­empfehlung für junge Kinder mit chronischen Erkrankungen oder besonderen Risiken ausgesprochen wird und die Impfung nicht sofort allgemein empfohlen wird. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass sie nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risiko­akzeptanz des Kindes bzw. der Sorge­berechtigten nicht möglich ist“. So bewertet die Gesellschaft die Situation in Deutschland – in den USA, wo die Krankheitslast bei Kindern etwa zehnmal so hoch ist wie hier, müsste man sich vielleicht anders entscheiden.

Karin Hollricher

Bild: Pixabay/geralt


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Letzte Änderungen: 06.12.2021