Editorial

„Wieder ohne Maske miteinander lachen“

(20.12.2021) Das wäre mit antiviralen, Mucus-bin­denden Peptiden möglich. Oder mit RNA-Therapeutika. Der Bund fördert gleich mehrere Projekte im Kampf gegen Viren.
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Im Rahmen eines Wettbewerbs (neudeutsch: Challenge) hat die 2019 in Leipzig gegründete Bundesagentur für Sprung­innovationen (SPRIN-D) einen millionen­schweren Forschungs­anreiz ausgelobt. Durchgesetzt haben sich neun Teams, die seit 1. November mit bis zu 700.000 Euro im ersten Jahr gefördert werden. Ziel des Wettbewerbs ist es, nach 3 Jahren belegen zu können, dass der gewählte Behand­lungsansatz in einem biologischen Modell funktioniert. Dem gehen zwei Interims­bewertungen voraus, bei denen jeweils die Hälfte der Teams ausscheidet. Der Wettbewerb war bereits im Vorfeld sehr kompetitiv. Nur 20 Prozent der Anträge waren bei der Begutachtung durch eine Jury aus Wissen­schaftlern, Unternehmern und einer Risiko­kapitalfirma erfolgreich.

Einer der Geförderten ist Daniel Lauster von der Freien Universität (FU) Berlin, der im Rahmen des MucBoost-Projekts gemeinsam mit weiteren Wissen­schaftlern antivirale Peptid­strukturen entwickelt. „Ich forsche bereits seit drei Jahren an Mucus. Das ist ein Hydrogel beziehungsweise ein Lungen­schleim, der unsere Atemwege auskleidet und feucht hält. Wir produzieren jeden Tag zwei Liter davon. Er hat die Form eines Netzes mit Poren. Je nach Art des Virus können diese unterschiedlich effektiv durch die Poren der Mucusschicht gelangen. Um auch Viren abzuhalten, die ansonsten durch die Poren hindurchschlüpfen können, wollen wir antivirale Strukturen auf dem Mucus verankern“, berichtet der Biophysiker.

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Endstation Magen

Ziel des Projekts ist es, ein prophy­laktisches Nasenspray und ein Inhalat für die Lunge zu entwickeln, um eine Infektion und die weitere Mensch-zu-Mensch-Übertragung zu verhindern. Die Viren adsorbieren an die eingesprühten antiviralen Peptide, werden dann mit dem Schleim herunter­geschluckt und im Magen durch die Magensäure unschädlich gemacht. „Wir konnten in vitro bereits zeigen, dass SARS-CoV-1 sowie SARS-CoV-2-Wildtyp, Alpha- und Deltavariante an die Peptid­strukturen binden“, berichtet Lauster.

Unterstützung erhält der Wissenschaftler durch den Peptid­experten und Spezialisten für Konjuga­tionschemie Christian Hackenberger vom Berliner Leibniz-Forschungs­institut für Molekulare Pharmakologie, der die Peptid­strukturen herstellt. Christian Sieben vom Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung in Braunschweig wird die antivirale Wirkung der Peptide in einem Hochsicher­heitslabor an einem zellbasiertem Lungenmodell untersuchen.

„Bis zum Ende der ersten Förderphase Ende Oktober 2022 wollen wir in der Lage sein, Peptide im Milligramm-Bereich herzustellen. Bis zum Ende des zweiten Jahres möchten wir zeigen, dass sich die Technologie auch für bis dato aktuellere SARS-CoV-2-Stämme anpassen lässt. Im dritten Jahr wollen wir die antivirale Wirkung der Peptide in einem Hamster-Modell erproben“, erläutert Lauster. „Mit unserer Lösung könnten Menschen ohne Masken miteinander lachen und wären in Situationen geschützt, in denen man keine Maske tragen kann“, gibt der Biophysiker zu bedenken.

Mit RNA-Interferenz gegen Parainfluenzaviren

Axel Schambach, Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, setzt gegen virale Atemwegs­erkran­kungen auf RNA-Interferenz-basierte molekulare Therapien. „In Vorarbeiten hat der IT-begeisterte Arzt und Forscher Adrian Schwarzer aus meinem Institut und der Klinik für Hämatologie einen Algorithmus für die automatisierte Suche nach Zielsequenzen entwickelt, um mithilfe von kurzen Haarnadel-förmigen RNAs die Expression von Zielgenen effizient herunter­regulieren zu können“, berichtet Schambach. „Mit der iGUARD genannten, auf Maschinen­lernen basierenden Plattform haben wir eine Trefferquote von 80 bis 90 Prozent. Es ist uns gelungen, in der Zellkultur mithilfe von RNA-Interferenz den Zelleintritt von SARS-CoV-2-Partikeln um das Zehn- bis Fünfzigfache zu reduzieren“, erläutert er. Der Fokus des Projekts liegt aber zunächst auf den Parainflu­enzaviren, die im Kindesalter Krupp auslösen und für immun­supprimierte Transplan­tations­patienten tödlich sein können.

Mit an Bord ist auch der Lungen­pharmakologe Armin Braun vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM) in Hannover, der im ersten Förderjahr zusammen mit dem Biochemiker Philippe Vollmer Barbosa an lebenden Gewebe­schnitten aus menschlichem Lungen­gewebe und 3-D-Modell­systemen überprüfen wird, ob die Interventions­strategie auch gegen die Ausbreitung von Parainflu­enzaviren beim Menschen wirksam ist.

„In der zweiten Förderphase möchten wir unsere Strategie systemisch im Tiermodell testen. Bis zum Ende des Wettbewerbs möchten wir sie auf weitere respiratorische Viren ausdehnen“, berichtet das Forscherteam. „Der Vorteil unserer RNA-Interferenz­strategie liegt darin, dass sie schnell und flexibel auf neu auftretende Viren angepasst werden kann. Wir können mögliche Angriffs­strukturen schnell durchtesten und so neue RNA-Therapeutika schnell entwickeln.“

Besonders hat dem Team bisher die schnelle Förder­entscheidung gefallen, die nur wenige Tage nach dem mündlichen Projekt­vortrag erfolgte und so Ideen zu aktuellen Themen schnellstmöglich unterstützt. Der Antrag selbst hat nur 7 Seiten umfasst. Auch das Coaching zu Produkt­entwicklung, Zulassung und Vermarktung und die Networking-Möglichkeiten mit den anderen Gruppen im Wettbewerb, Fachgesell­schaften, Patienten­organisationen und industriellen Partnern finden sie spannend.

Umgewidmete Phagenabwehr

Chase Beisel, Professor am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektions­forschung in Würzburg, macht sich für das Projekt BacDefense bakterielle Abwehr­mechanismen gegen Viren zunutze. Im Laufe der Evolution kam es zwischen Phagen und Bakterien zu einem regelrechten Wettrüsten. In den letzten zwei Jahren sind entscheidende Details zu Abwehr­systemen (Science, 359(6379):eaar4120) und ihren Komponenten (Science, 369(6507):1077-1084) entdeckt worden.

„Wir arbeiten mit CRISPR/Cas-Systemen, die mit einem speziellen Satz an Nukleasen ausgestattet sind. Diese können die Virus-RNA zerschneiden oder Virus-infizierte Zellen lahmlegen. Bakterien können zudem Virus-befallenen Zellen auf verschiedene Weise wesentliche Nährstoffe entziehen und so die Virus­vermehrung eindämmen. Bakterielle Moleküle gegen Bakterio­phagen werden derzeit auch als antivirale Mittel für den Menschen entwickelt“, erläutert der Wissenschaftler.

Die Effekte der neuen Wirkstoff-Kandidaten auf replizierende Viren sollen in verschiedenen Zellkultur­systemen getestet werden, die Mathias Munschauer beisteuert. Er ist Juniorprofessor am gleichen Institut wie Beisel. Claus-Michael Lehr vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland und Olivia Merkel von der Ludwig-Maximilians-Universität München bringen ihre Expertise zu Systemen für den Wirkstoff-Transport in verschiedene Teile der Lunge in das Projekt ein. Oliver Fackler vom Universitäts­klinikum Heidelberg verfügt über ein Tiermodell für die SARS-CoV-2-Infektion, in dem die neuen Wirkstoff-Kandidaten getestet werden sollen.

„Nach einem Jahr wollen wir die erfolgver­sprechendsten antiviralen Abwehr­mechanismen aus Bakterien identifiziert haben, auf die wir uns für den restlichen Wettbewerb konzentrieren wollen. Am Ende der Challenge wollen wir deren antivirale Wirkung gegen SARS-CoV-2 im Tiermodell nachgewiesen haben“, erklärt Beisel.

Booster für umwälzende Ideen

Jedes Team bekommt von SPRIN-D einen Coach zur Seite gestellt, der die Entwicklungs­arbeiten begleitet, um das Produkt schnell als Medizinprodukt oder Arzneimittel auf den Markt bringen zu können. Bei entsprechendem Potential ist auch eine Unterstützung nach Abschluss des Wettbewerbs möglich.

Die Bundesagentur fördert neben medizinischer Forschung auch andere Projekte zu sozialen, ökologischen und ökonomischen Problemen unserer Zeit. Bis 2029 stehen eine Milliarde Euro zur Verfügung. Man wird sehen, ob das Konzept aufgeht und die antiviralen Therapeutika bei den Patienten mit Licht­geschwindigkeit ankommen.

Auch an der Impfstoff-Front gibt es Neuigkeiten. Auf einer Online-Pressekonferenz berichteten Özlem Türeci und Ugur Sahin, wie weit sie mit ihren Analysen hinsichtlich der Wirksamkeit ihres Impfstoffes gegen die Omikron-Variante gekommen sind. Nach noch sehr vorläufigen In-vitro-Daten neutralisiere eine dritte Dosis des bisher verwendeten Impfstoffs BNT162b auch Omikron-Viren, allerdings weniger effektiv als andere Varianten. Der Anstieg des Antikörpertiters nach der dritten Impfung sei deutlich und ähnlich hoch wie nach einer zweiten Dosis. Aktuell arbeite man bei BioNTech an fünf verschiedenen Varianten-Impfstoffen, je einen gegen Alpha, Beta, Delta, gegen eine Kombination Alpha-Delta und gegen Omikron. Die ersten vier seien in klinischen Studien, für den gegen Omikron passend gemachten Impfstoff habe man bereits die Plasmide kreiert, die für die Produktion der RNA nötig sind. Sahin erklärte, man könne erste Batches dieses Impfstoffes vermutlich im März 2022 liefern, abhängig vom Zulassungsprozess.

Bettina Dupont (mit Impfstoff-Update von Karin Hollricher)

Bild: AdobeStock/nikirov


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Letzte Änderungen: 20.12.2021