Editorial

Exzellenz-Rezepte

(21.01.2022) Früher war Wissenschaft per se exzellent. Heute versucht man, Exzellenz verzweifelt herbeizufördern. Was läuft da schief?
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Geld alleine macht noch keine Exzellenz. Eine hohle Phrase, klar. Komisch aber, dass man sich offenbar nur wenige Gedanken macht, welche Zutaten noch mit in den Topf müssen, damit am Ende Exzellenz serviert werden kann.

Sicher, ein Exzellenzsüppchen ist heutzutage nicht ganz einfach zu kochen. Im Gegensatz zu früher – da war Wissenschaft an sich noch was Exzellentes. Das war jedem klar, da musste man gar nicht fragen, geschweige denn evaluieren. Forschung war in jenen fernen Tagen etwas so Besonderes, so weit weg vom alltäglichen Tun, dass sie quasi per definitionem exzellent war. Und keiner zweifelte, dass die wenigen, die damals Wissenschaft und Forschung betrieben, eben exzellent waren.

Editorial

Bedrückende Mittelmäßigkeit

Die Zeiten haben sich geändert. An die Stelle großer Individuen sind zunehmend große Teams und Maschinenparks getreten. Die Wissenschaft hat insgesamt die Dimension eines Großunternehmens angenommen, in dem jeder einzelne der nunmehr zahlreichen Wissenschaftler zunehmend ersetzbar erscheint.

Ist es da nicht klar, dass einem vor dem Hintergrund dieser Entwicklung der Großteil der Forschung heute nur noch mittelmäßig vorkommt? Und dass in diesem „Meer der Mittelmäßigkeit“ wahre wissenschaftliche Exzellenz womöglich untergeht? 

Wie auch immer, plötzlich gilt der überwiegende der Wissenschaft tatsächlich als mittelmäßig – Tendenz steigend. Und das bedrückt. Man sehnt sich da wieder heraus, will wieder „mehr Exzellenz statt Mittelmäßigkeit“, wie es seit rund zwanzig Jahren Funktionäre und Politikerinnen übereinstimmend fordern.

Wirklichkeitsfremdes Exzellenzstreben

Und was passiert? Viel Geld wird hineingepumpt in Institutionen und Initiativen, die man gerne exzellent haben möchte – die aber gerade erst als mittelmäßig identifiziert worden waren. Zementiert man damit nicht erst recht das Mittelmaß?

Muss nicht unbedingt sein. Vielleicht gilt ja doch, was der Konstanzer Philosoph Jürgen Mittelstraß vor Jahren schrieb:

„Damit Exzellenz wirklich werden kann, muss viel Qualität gegeben sein; und damit Qualität wirklich werden kann, muss viel Mittelmaß gegeben sein. Allein Exzellenz, nichts anderes, wollen wäre nicht nur wirklichkeitsfremd, sondern für die Entstehungsbedingungen von Exzellenz vermutlich fatal.“

Auch ein kräftiges Süppchen aus eher gewöhnlichen Zutaten schmeckt – mit Herzblut zubereitet – hin und wieder exzellent.

Ralf Neumann

(Foto: Alamy)

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Letzte Änderungen: 21.01.2022