Editorial

Sanftes Passagieren
ohne Schaber

(16.03.2022) Behandelt man bei der Subkultivierung Stammzellen wie gewöhnliche Zellen, leiden sie. Mit leicht modifizierter Technik geht’s ihnen deutlich besser.
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Eine Kolonie menschlicher induzierter pluripotenter Stammzellen

Viele Handgriffe im Labor verlangen Fingerspitzen­gefühl, routinierte Handgriffe und perfektes Timing. Ganz besonders gefragt ist das beim Umgang mit pluripotenten Stammzellen (PSC), die höchst sensibel auf ihre Umgebung reagieren. Eine zu rabiate Behandlung, Nährstoff­mangel oder übermäßige Zelldichte quittieren sie mit Zelltod, mickrigem Wachstum oder fehlgeleiteter Entwicklung.

Für die Kultivierung pluripotenter Stammzellen wurden insbesondere die Oberflächen der Kulturgefäße optimiert. So gaukeln Kulturschalen, die mit einer extra­zellulären Matrix in Form rekombinanter Proteine wie Laminin oder Vitronectin ausgekleidet sind, eine realitätsnahe Umgebung vor. Erstaunlich wenig hat sich jedoch bei den Techniken getan, mit denen die Stammellen in neue Kulturgefäße passagiert werden, wenn sie zu dicht gewachsen sind. Meist behandelt man sie wie gewöhnliche Zellen mit einem Ablöse-Reagenz, das eine 1:1-Mischung aus Trypsin (TrypLE) und 0,5 millimolarem EDTA enthält, und schabt sie danach ziemlich grob vom Boden der Kulturschale ab. Viele Zellen sind nach dieser Prozedur angeschlagen oder bereits tot, was nicht gerade zur Reprodu­zierbarkeit der Experimente beiträgt.

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Längere Inkubationszeit

Die Gruppe des Stammzell-Pioniers und Nobelpreisträgers Shinya Yamanaka von der Kyoto University beziehungsweise der University of California, San Francisco, hat sich deshalb in die Niederungen des Laborhand­werks begeben und eine sanftere Passagier-Technik ausgetüftelt.

Yamanakas Team testete für das Passagieren zunächst drei unterschiedliche Ablöse-Reagenzien: TrypLE, fünf millimolares EDTA sowie das kommerzielle Reagenz AccuMax. Darüber hinaus verlängerte die Gruppe die Inkuba­tionszeit von fünf auf zehn Minuten und verzichtete auf das Abschaben der Zellen. Stattdessen löste sie die Zellen durch sanftes Auf- und Ab-Pipettieren des Ablöse-Reagenzes von der Oberfläche.

Die Zellen ließen sich mit allen drei Lösungen von der Oberfläche entfernen, am effektivsten gelang dies jedoch mit der TrypLE-Lösung. Und tatsächlich waren die mit der modifizierten Technik subkultivierten Zellen auch vitaler als konventionell passagierte Zellen. Bei der konven­tionellen Technik reichte das Auf- und Ab-Pipettieren nicht aus, um die Zellen abzulösen. Hier musste das Team mit dem Schaber nachhelfen.

Schädliche Scherkräfte

Ist also das Abschaben für den Vitalitäts­verlust verantwortlich oder existiert dafür eine andere Ursache? Um diese Frage zu beantworten, löste die Gruppe die Zellen zunächst mit der konven­tionellen sowie der modifizierten Technik, verwendete jedoch keinen Schaber. Anschließend wiederholte sie dieses Experiment, führte aber beide Methoden einmal mit und einmal ohne das Abschaben der Zellen durch. In allen Fällen war die Vitalität mir der modifizierten Technik höher – selbst wenn bei dieser ein Schaber verwendet wurde. Die Zellen waren nach der modifizierten Passage-Technik nicht nur vitaler, sondern hafteten nach dem Ausplattieren auch besser an der Oberfläche der Kulturschale an. Die Gruppe vermutet daher, dass Scherkräfte für die Zellschäden verantwortlich sind, die während des Medien­austauschs bei der konven­tionellen Methode auf die Zellen einwirken.

Wer sich das neue Protokoll genau anschaut, wittert vielleicht einen Haken, denn beim Medien­wechsel verbleibt ein Teil des Ablöse-Reagenzes in der Zell-Suspension. Dies lässt sich verhindern, indem man die abgelösten Zellen zentrifugiert, den Überstand verwirft und die Zellen in neuem Medium aufnimmt. Da die kleine Restmenge des Ablöse-Reagenzes die Ausbeute nach dem Ausplattieren aber nur geringfügig verringert – und diese eh deutlich höher ist als bei der konven­tionellen Technik – kann man auf die Zentrifugation auch verzichten.

Andrea Pitzschke

Takahashi K. et al. (2022): A stress-reduced passaging technique improves the viability of human pluripotent cells. Cell Reports Methods, 2(2):100155

Bild: National Eye Institute/NIH (gemeinfrei)





Letzte Änderungen: 16.03.2022