Editorial

Lebendes Lego
im All

(07.04.2022) Biotinte, 3D-Zellkultur und schwerelose Haut – das ist die Expertise des Berliner MedTechs Cellbricks. Wir sprachen mit Geschäftsführer Lutz Kloke.
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Kloke studierte Pharmazie und BWL, promovierte dann in Berlin aber zu Tissue Engineering. „Cellbricks ist praktisch meine Doktorarbeit, die auf eine positive Art und Weise aus dem Ruder gelaufen ist“, sagt er rückblickend. 2018 stellte Laborjournal die damals noch junge Firma vor. Heute fragen wir – unter anderem: Wie geht‘s?

Herr Kloke, vor kurzem ist Ihr Bioprinter Parabeln geflogen. Warum das?
Lutz Kloke: Sollten wir irgendwann dauerhaft durchs All reisen oder in einer Mondkolonie wohnen, können wir nicht mal eben zurück zur Erde fliegen, um zum Beispiel eine medizinische Therapie durchzuführen. Die einfachste Lösung ist, das Equipment mitzunehmen und Medizinprodukte sowie Hilfsmittel selbst herzustellen. Das liegt natürlich noch alles in der Zukunft. Gedanken macht man sich dazu aber trotzdem bereits. Eine vergleichsweise einfache Anwendung ist Zellkultur für Wundgewebe, also Haut.

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Gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern des Berlin Institute of Health (BIH) der Charité arbeiten Sie an einem Verfahren, mit dem sie aus modifizierter Gelatine und Hautzellen biologische Pflaster herstellen können.
Kloke: Genau, das Projekt gibt es ja schon eine Weile. Bei diesen Tests ging es darum, die Technik und das Gerät in der Schwere­losigkeit zu testen.

Dafür haben Sie Ihren Drucker in einem Flugzeug installiert?
Kloke: Das Flugzeug fliegt Parabeln, 30 insgesamt, und jede Parabel enthält einen Teil von 24 Sekunden Schwere­losigkeit. Damit lassen sich Bedingungen im All zumindest annähernd darstellen.

Und? Hat es geklappt oder sind Ihnen beim Drucken Zellen abhanden­gekommen?
Kloke: Es hat geklappt. Für uns als Team war das natürlich eine angespannte Situation, hat aber gleichzeitig wahnsinnig viel Spaß gemacht. Die erste Parabel ist für alle zum Gewöhnen, das ist eine irre Geräusch­kulisse im Flugzeug, Ausrufe der Begeisterung und des Erstaunens. Aber schon bei der zweiten Parabel muss man funktionieren, dann müssen alle Handgriffe sitzen. Wir hatten zuvor häufig genug geübt, sodass jeder seinen Teil auch bei mehreren g-Kräften und in völliger Schwere­losigkeit einwandfrei umsetzen konnte. Angepeilt waren drei Flugtage und bei jedem Flug sind drei Leute mitgeflogen, die das Gerät bedient haben und so weiter. Zum Flug selbst, der bis zu fünf Stunden dauert, gab es zudem immer einiges vor- und nachzu­bereiten. Deshalb waren wir mit einem größeren Team vor Ort.

Sind Sie selbst auch mitgeflogen?
Kloke: Ja, ich bin auch mitgeflogen, und es war super! Damit werd ich auch noch in Jahren allen auf die Nerven gehen, Opa erzählt wieder von der Schwere­losigkeit. [lacht]

Zu Recht. Als Laborjournal Sie und Cellbricks vor vier Jahren schon einmal porträtiert hat – damals waren Sie noch recht „frisch“ –, haben Sie an so etwas vermutlich noch nicht gedacht. Was hat sich seitdem denn sonst noch getan?
Kloke: Der Bioprinter ist größer geworden und läuft automa­tisierter. Anfangs konnten wir Gewebe in der Größe einer 60-Millimeter-Zellkultur­platte drucken, heute liegen wir bei der Fläche einer 96-Well-Platte. Den Druckprozess können wir außerdem online überwachen und nachjustieren, wenn nötig. So können wir praktisch live sehen: Funktioniert das alles, was ich da baue, oder nicht?

Wie genau muss ich mir den Druck vorstellen? Sagen wir, ich komme zu Ihnen und möchte ein Blutgefäß darstellen.
Kloke: Wir würden dann gemeinsam überlegen: Wie soll das Gefäß aussehen, welche Zelltypen wollen Sie einsetzen? Vermutlich soll das Blutgefäß mit Endothel ausgekleidet sein, aber benötigen Sie auch andere Zelltypen? In welches Gewebe oder System – zum Beispiel ein bestimmter Chip – wollen Sie das Blutgefäß einbetten? Ebenfalls gemeinsam designen wir das Modell dann digital am Computer. Wir basteln quasi eine Schablone für den Drucker. Anschließend bereiten wir den Drucker vor, rüsten ihn also unter sterilen Bedingungen mit allen relevanten Zellsuspen­sionen aus. Der Druck an sich ist dann der kürzeste Schritt in dem ganzen Prozess, der dauert meist nur wenige Minuten. Mit dem Ergebnis können Sie dann direkt in Ihre Experimente starten.

Die Drucker-„Tinte“, in der die Zellen in Suspension herum­schwimmen, hat es aber auch noch in sich.
Kloke: Ja, unsere Bioinks bestehen aus mehr als einem Material, denn wir müssen mit Kollagenen, Hyaluron­säuren oder artifiziellen Materialien drucken können. Deshalb stellen wir diese Bioinks selbst her und können sie so für jedes Experiment optimieren. Die Zellen sind also eingebettet in ein Substrat, das alle biologischen Substanzen enthält, die sie zum Anheften, Wachsen oder Ausdifferen­zieren brauchen – so als wären sie im Körper.

Klassische 3D-Drucker setzen ja Schicht für Schicht aufeinander. Während er druckt, härtet das Material der ersten Schicht aus, dann folgt die nächste, und so weiter. Wie funktioniert das mit Zellen?
Kloke: Wir nutzen das Prinzip der Stereolitho­graphie. Die Zellen schwimmen also in der gewünschten Konzen­tration in einer Bioink-Suspension in einem kleinen Tank. Diese Suspension bestrahlen wir punktgenau mit Licht einer bestimmten Wellenlänge, das lichtsensitive Material härtet sofort aus. Nach und nach entsteht so ein Gerüst. Wenn das fertig ist, spülen wir die restliche, nicht ausgehärtete Suspension weg. Dann folgt die nächste Suspension, beispielsweise mit einem weiteren Zelltyp. Bis zu drei unterschiedliche Materialien und Zelltypen können wir so exakt platzieren. Wenn wir beim Beispiel des Blutgefäßes bleiben, wären das etwa Endothelzellen, Fibroblasten und glatte Muskelzellen.

Im Jahr 2018 sagten Sie, dass Sie sich eine Art personalisiertes Printing vorstellen könnten, also Biodrucken mit Patienten-Zellen. Sind Sie diesem Ziel bereits näher gekommen?
Kloke: In Teilen, ja. Wir tüfteln in einem Projekt an persona­lisierten Tumor-Modellen. An denen könnten Therapie­zentren oder Ärzte ein für den Patienten ideales Treatment-Regime testen. Das Spannende ist, dass wir mit unserer Technik automatisiert reprodu­zierbare Modelle bauen können, mit immer den gleichen Zellen, der gleichen Zellzahl und unter identischen Bedingungen. Wir können auch gesundes und krankes Gewebe kombinieren, wenn es erwünscht ist. Wie ein Baukasten eben.

Der Firmenname Cellbricks ist also Programm.
Kloke: Absolut. Als ich 2016 angefangen habe, habe ich mich gefragt: Wofür steht die Firma, die Technologie eigentlich? Der 3D-Druck mit Zellen ist eine Art lebendes Lego. Diese Erklärung wollte ich in den Namen reinfriemeln, sodass dieser direkt transportiert, was wir machen. Ja, und dann waren wir irgendwann Cellbricks.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief Cellbricks
Gründung: 2016
Sitz: Berlin
Mitarbeiter: rund 20
Produkt: Bioprinter zum Drucken von Mini-Organen und lebendem Gewebe

Bild: Pixabay/geralt (Rakete), Cellbricks/Tobias Lam (Mini-Organ-Lego), Cellbricks/Philipp Arnold (Porträt Kloke)


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Letzte Änderungen: 07.04.2022