Editorial

Es krabbelt, sticht
und saugt

(30.05.2022) Auch tropische Zecken breiten sich in Deutschland aus. Woran das liegt und welche Zecken-Arten wo vorkommen, untersucht Ute Mackenstedt und ihr Team.
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Der Sommer steht vor der Tür und mit ihm krabbeln jetzt auch wieder vermehrt kleine Stören­friede durch Wiesen, Wald und Sträucher, die bei uns Menschen ziemlich unbeliebt sind: Zecken. Kein Wunder: Denn als wäre das Blutsaugen nicht schon schlimm genug, übertragen sie dabei gelegentlich auch die unterschied­lichsten Pathogene, wie Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim in Stuttgart weiß: „Jede Zecke beziehungsweise Zecken-Art hat quasi ihr ganz eigenes Krankheits­erreger-Portfolio, das sie übertragen kann.“ Die Parasitologin erforscht mit ihren Mitarbei­terinnen und Mitarbeitern sowie in Kooperation mit anderen Forschungsteams die Verbreitung von Zecken deutsch­landweit sowie ihrer Pathogene. Vor kurzem beendete die Gruppe federführend ein Citizen-Science-Projekt mit dem Titel „Tropenzecke“, bei dem sie die Bevölkerung baten, ungewöhnlich aussehende Zecken zu sammeln und an den Fachbereich Parasitologie der Uni Hohenheim zu schicken.

Angefangen hatte alles mit einem ungewöhnlichen Zecken-Fund aus Nordrhein-Westfalen. „Ein Tierarzt hatte 2018 auf einem Pferd Zecken entdeckt, die er nicht bestimmen konnte“, erzählt die Stuttgarter Parasitologin. Der Veterinär­mediziner wandte sich Rat suchend an Lidia Chitimia-Dobler vom Institut für Mikro­biologie der Bundeswehr in München, die schon seit Jahren eng mit der Universität Hohenheim kooperiert. Als Zecken-Expertin konnte sie das Tier schnell bestimmen – und enthüllte dabei eine böse Überraschung. Denn die gefundenen Zecken gehörten zur Gattung Hyalomma, die auch Tropenzecke genannt wird und eigentlich in Trocken- und Halbtrocken­gebieten in Afrika, Asien und Südeuropa vorkommt. „Wir gehen davon aus, dass die Zecken über Zugvögel nach Deutschland gelangen“, beschreibt Mackenstedt die Einreise­route der Krabbeltiere.

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Blinde, ungebetene Passagiere

Ein Blick auf den Lebenszyklus dieser sogenannten zweiwirtigen Zecke verdeutlicht, warum der Fund aus Nordrhein-Westfalen die Forscherinnen verblüffte. Denn die gefundenen Tiere waren bereits ausgewachsen. Mackenstedt: „Hyalomma geht als Larve auf den Körper von Vögeln, saugt Blut und häutet sich dort zur Nymphe.“ Dass Hyalomma-Zecken als blinde Passagiere auf Zugvögeln nach Deutschland einreisen, ist also nicht ungewöhnlich. Mackenstedt fährt fort: „Die Nymphe nimmt dann noch einmal eine Blutmahlzeit, lässt sich vom Vogel fallen und wächst bei geeigneten Bedingungen zur adulten Zecke heran. Diese Erwachsenen­stadien suchen sich dann einen neuen größeren Wirt wie beispielsweise Pferde, Rinder oder auch den Menschen.“ Damit sich die Nymphen zu adulten Zecken entwickeln können, brauchen die Tiere sehr warme Temperaturen mit langen Trocken­perioden – Bedingungen, die das Wetter in Deutschland bislang aber nicht bieten konnte. „Doch gerade die Sommer 2018, aber auch 2019 und 2020 waren so heiß und trocken, dass die Hyalomma-Nymphen es tatsächlich schaffen konnten, sich in Deutschland zu adulten Zecken zu entwickeln“, kommentiert Mackenstedt.

Der Fund aus Nordrhein-Westfalen besiegelte schließlich das Citizen-Science-Projekt, das Mackenstedt zusammen mit ihrer Arbeits­gruppe sowie Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Mikro­biologie der Bundeswehr in München und dem Institut für Parasitologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover durchführte. „Wir wollten die Information, dass es diese Zecken in Deutschland gibt, an die Bevölkerung rausgeben und sie gleichzeitig fragen: Habt ihr sie schon mal gesehen?“, beschreibt Mackenstedt den Gedanken hinter dem Projekt.

Nach drei Jahren hatte die Forschungs­gruppe schließlich über 8.000 Zecken im Briefkasten, davon auch zweihundert Hyalomma-Zecken aus Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Die Hyalomma-Zecken sind deshalb mit Vorsicht zu „genießen“, weil sie neue bedenkliche Krankheits­erreger in sich tragen können. In Deutschland am häufigsten verbreitet ist jedoch der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). In ihm können Lyme-Borreliose auslösende Bakterien hausen sowie Viren, die die Frühsommer-Meningo­enzephalitis (FSME) auslösen. In Hyalomma kommen die beiden Erreger glücklicher­weise nicht vor. Dafür haben die Tropenzecken Rickettsia-Bakterien im Angebot, die das Zecken­fleckfieber auslösen, und Viren, die das Krim-Kongo-Hämorrhagische Fieber verursachen.

Das Team um Mackenstedt kann hier aber vorerst Entwarnung geben: In keiner der eingesendeten Zecken fand es Krim-Kongo-Fieber-Viren (Parasit Vectors, 12(1): 134). Dafür enthielten dreißig bis vierzig Prozent der eingesendeten Hyalomma-Zecken Rickettsien. Diese seien aber gut mit Antibiotika behandelbar, beschwichtigt die Stuttgarter Parasitologin.

Mit Babywindeln aufgesammelt

Besonders erfreut waren Mackenstedt und Co. über die fleißige Mithilfe der Bevölkerung, denn die Verbreitung von Zecken zu rekonstruieren, ist je nach Gattung gar nicht so einfach. „Der Gemeine Holzbock ist eine sogenannte Lauerzecke“, holt Mackenstedt aus. „Weil er blind ist, sitzt er auf Gräsern oder Ähnlichem und wartet darauf, dass ein passender Wirt vorbeikommt und ihn abstreift.“

Das bedeutet: Forscherinnen und Forscher können mit geeigneten Hilfsmitteln die lauernden Zecken vergleichs­weise einfach von ihren Aussichts­plätzen einsammeln. Am besten eignet sich dafür eine sogenannte Zecken-Fahne. „Im Grunde ist das ein Besenstiel, an dessen Ende ein kleines Holzstück angebracht wird, sodass sich eine T-Form bildet“, erklärt sie. „Daran tackern wir in der Regel eine Molton-Babywindel, die wir dann über Wegränder, Laubstreu oder Wiesen ziehen. Dank der faserigen Oberfläche der Windel bleiben die Zecken darin hängen. Nach einer Streiftour drehen wir die Windel auf links und können die Zecken einfach absammeln.“

Bei Hyalomma funktioniert das nicht: „Hyalomma ist ein Jäger, der sich in Spalten oder unter Steinen versteckt und erst dann herauskommt, wenn ein Wirt sich nähert. Zudem sieht er recht gut und kann mit einem Tempo auf sein Opfer zulaufen, das dem einer Spinne ähnelt – weshalb Hyalomma auch häufig mit einer solchen verwechselt wird.“ Eine Zecken-Fahne ist deshalb kein geeignetes Fangutensil. „Daher waren wir sehr froh, dass die Bevölkerung uns ihre Funde zugeschickt hat, die sie auf ihren Pferden, Rindern, Hunden und sogar auf sich selbst entdeckt hatten“, so Mackenstedt.

Obwohl das Team 200 Hyalomma-Zecken erhalten hat, sieht es bislang nicht danach aus, dass sich die Gattung in Deutschland bereits etabliert hat, mutmaßt Mackenstedt. Vielmehr würden die Zecken immer wieder durch Zugvögel eingeschleppt. Sollten uns Petrus oder der Klimawandel aber mehr heiße Trocken­phasen bescheren, könnte sich das vielleicht ändern.

Die eingesendeten Zecken sorgten noch für eine weitere unangenehme Überraschung. In Kombination mit den Fundorten stellte sich heraus, dass die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) mittlerweile über ganz Deutschland verbreitet ist (Front Vet Sci, 7: 578220). Bislang hatte man die Art nur im Süden und den östlichen Bundes­ländern auf dem Schirm. Zwar trägt sie auch FSME-Viren in sich, unseres­gleichen verschmäht sie als Wirt jedoch meist. „Der Mensch passt nicht wirklich in ihr Beuteschema, sie sticht vor allem Wild- oder domestizierte Tiere“, sagt Mackenstedt. Pferde- oder Hundebesitzer müssen also aufpassen. Denn FSME wurde bereits in den beiden Tier-Gruppen nachgewiesen, außerdem überträgt die Auwaldzecke Erreger der Hunde-Malaria.

Die gesammelten 8.000 Zecken sind noch nicht vollends ausgewertet. Während Mackenstedt und Co. bereits in den Hyalomma-Arten nach Krankheits­erregern gesucht haben, wollen sie das jetzt auch in den anderen Exemplaren tun. Doch weil die fleißige Bevölkerung den Forscherinnen und Forschern dermaßen viele Krabbeltiere auf den Tisch gelegt hat, kann das noch ein wenig dauern.

Pilziger Widersacher

Eine Möglichkeit, den lästigen, sich immer weiter ausbreitenden Zecken Herr zu werden, wäre ihre Ausrottung. Mackenstedt hält das aber nicht für den richtigen Weg: „Es wäre viel sinnvoller, regional die Zecken-Population zu dezimieren, wo es nötig ist.“ Als Beispiel nennt sie Gebiete um Wald-Kindergärten. Ein geeignetes Mittel steht theoretisch schon parat: der Pilz Metarhizium. Landen seine Sporen auf einer Zecke, bilden diese Schläuche aus, dringen durch die Cuticula in das Tier ein und befallen es von innen. Die Zecke stirbt, der Pilz bricht wieder nach außen und bildet neue Sporen.

Das Problem dabei: Wie bekommt man Pilz und Zecke zusammen? „Bei Stechmücken beispielsweise hat man den Vorteil, dass eine Generation kein Blut saugt, nämlich die Wasser-filtrierenden Larven. Hier kann man Substanzen ins Wasser geben, die dann in die Larve gelangen und diese töten. Zecken hingegen ernähren sich ihr Leben lang ausschließlich von Blut – eine Vergiftung über ihre Nahrung lässt sich also kaum umsetzen. Der Pilz ist deshalb ein guter Ansatz, allerdings besteht immer noch die Frage, wie man die Zecke effektiv mit den Sporen infiziert. Man könnte die Pilzsporen zwar auf die Zecke sprühen, doch dafür bräuchte man erstens große Mengen und zweitens leben die Tiere teils versteckt.“ An einer Lösung tüfteln Mackenstedt et al. also noch.

Und weil es derzeit schwierig ist, Zecken in Schach zu halten, möchte die Stuttgarter Parasitologin noch zwei Ratschläge loswerden: „Wenn Sie draußen in der Natur waren – und damit meine ich nicht nur Wiese und Wald, sondern auch beispielsweise Ihren Garten – nehmen Sie sich hinterher ein paar Minuten Zeit und suchen Sie Ihren Körper nach Zecken ab. Häufig haben diese dann noch nicht zugestochen und können einfach entfernt werden. Und denken Sie an eine FSME-Impfung, egal ob Sie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz leben.“

Juliet Merz

Bild: Pexels/Erik Karits

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal 5/2022.


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Letzte Änderungen: 30.05.2022