Editorial

Astrobiologie
in der Wüste

(05.07.2022) In der Atacama-Wüste herrschen ähnlich lebens­feindliche Bedingungen wie auf dem Mars. Trotzdem gibt es dort Leben. Unter einzelnen Felsen.
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Die Suche nach Leben auf dem Mars fasziniert die Menschen seit eh und je und wurde weiter durch die Erkenntnis befeuert, dass es auf dem Mars flüssiges Wasser gibt. Heute jedoch ist der Mars extrem trocken; dazu kommen extreme Temperatur­schwankungen und eine hohe Strahlen­belastung. Um herauszufinden, ob und welche irdischen Organismen diesen lebens­feindlichen Bedingungen trotzen könnten, muss man Letztere im Labor nachstellen. Oder – noch besser – man geht in die Natur und sucht nach Habitaten mit ähnlichen Umwelt­bedingungen.

Tatsächlich gibt es solche Habitate, beispielsweise in der Atacama, der weltweit ältesten und trockensten Wüste, die sich entlang der Pazifikküste Chiles erstreckt und über 100.000 Quadrat­kilometer umfasst. „Der hyperaride Kern der Atacama-Wüste ist ein bekanntes Mars-Analogon“, erklärt Alexander Probst, der an der Universität Duisburg-Essen eine Professur für Aquatische Mikrobielle Ökologie inne hat und sich dort vor allem mit Stoffkreis­läufen beschäftigt.

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Unter Stein verborgen

Neben aquatischen Lebens­gemeinschaften interessiert sich der Mikrobiologe für solche, die bis 1.000 Meter tief im Sediment leben. „Die Astrobiologie ist aber ein Hobby von mir geblieben, seit ich im Rahmen meines Forschungs­praktikums bei der NASA damit in Berührung gekommen bin“, so Probst. Die Atacama-Wüste ist für den Mikrobiologen ein echter Glücksgriff: „In ihrer hyperariden Zone ist es mit weniger als zwei Millimeter Niederschlägen pro Jahr nicht nur extrem trocken, dort herrscht auch eine für irdische Verhältnisse hohe Strahlungs­intensität, ähnlich wie auf dem Mars.“ Ein weiteres Problem für Lebewesen sind die extrem salzigen Böden, wie der Mikrobiologe hinzufügt: „An manchen Stellen bilden sich richtige Salzkrusten.“ Schuld daran ist die Verdunstung: Denn Wasser und Nebel, der regelmäßig vom Meer in die Wüste eingetragen wird, verdunstet in der Sonne schnell und lässt nur die Salzionen aus dem Meerwasser auf dem Boden zurück.

Trotz dieser extremen Bedingungen leben selbst im hyperariden Kern der Atacama anspruchslose Organismen – hauptsächlich Bakterien aus den Gruppen der Actinobacteria und Firmicutes, Pilze aus der Gattung Aspergillus und Bakteriophagen. „Dabei ist allerdings die Biomasse so gering, dass wir häufig an der Nachweis­grenze sind“, beschreibt Probst eine Hürde, die die Erforschung des Ökosystems so schwierig mache. Überraschend ist, dass eine Gruppe von Mikroorganismen, die für ihre Fähigkeit bekannt ist, extreme Habitate zu besiedeln, bisher noch überhaupt nicht gefunden wurde: die Archaeen. Dabei können einzelne Vertreter dieser Prokaryoten hohe Temperaturen und Salzkonzen­trationen gut tolerieren oder brauchen sie sogar zum Überleben. Für die Stoffkreis­läufe in entsprechenden Ökosystemen sind sie deshalb ungemein wichtig.

Dass man über die Stoffkreis­läufe im hyperariden Kern noch so gut wie gar nichts weiß, war für Probst ein Ansporn, sich dort noch einmal genauer umzuschauen und zwar an einer besonderen Stelle: „Ungefähr ein Viertel des hyperariden Kerns ist mit Felsen unterschied­licher Größe bedeckt. Wir haben uns überlegt, dass Organismen unter den Felsen eventuell vor den schädlichen Umwelt­einflüssen geschützt sein könnten, dass dort also eine sogenannte habitable Zone entstanden sein könnte.“ Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von anderen Universitäten, darunter der Astrobiologie-Gruppe der Technischen Universität Berlin, die von Dirk Schulze-Makuch und Alessandro Airo geleitet wird, hat Probst deshalb das mikrobielle Ökosystem unter einzelnen Felsen untersucht. Als Vergleich diente der Boden neben den jeweiligen Felsen. Da sich viele Mikro­organismen im Labor nicht kultivieren lassen, bestimmte das Forschungsteam sie anhand ihrer DNA, die in den Bodenproben nachweisbar war.

Zufallsfund Archaea

Tatsächlich konnten Probst et al. zeigen, dass sich die Bedingungen unter den Felsen und daneben deutlich voneinander unterschieden (Microbiome, 9:234). Insbesondere waren die Bedingungen unter den Steinen stabiler: Sowohl Temperatur als auch Feuchtigkeits­gehalt schwankten weniger stark. Auch die Strahlungs­intensität war geringer – lauter günstige Voraussetzungen für Leben. Einziger Nachteil: Unter den Steinen scheint es noch trockener zu sein als in der Umgebung, weil sich Berechnungen zufolge dort kein Tau bilden kann.

Sowohl neben als auch unter den Steinen konnten die Forscher Mikroben nachweisen, die sich dort offensichtlich vermehren und aktiv Stoffwechsel betreiben. „Das kann man zwar nicht direkt messen, aber anhand der DNA-Menge am Startpunkt der Replikation abschätzen“, erklärt Probst.

Zwischen den Habitaten fanden die Wissenschaftler wie erhofft Unterschiede im Artenspektrum. „Neben den Steinen waren nur Bakterien-Arten nachweisbar, die bereits aus dem Habitat bekannt waren. Aber unter den Steinen fanden wir erstmals Archaeen, die sogar so häufig waren, dass sie die sonst vorherrschenden Actino­bacteria weitgehend verdrängten“, freut sich der Mikrobiologe. Über den Grund, warum die Archaeen, die alle zur Gruppe der Thaumarchaeota gehören, nur unter den Steinen zu überleben scheinen, kann Probst bisher nur spekulieren. „Es gibt aus anderen Publikationen Hinweise darauf, dass Thaumarchaeota besonders empfindlich gegenüber reaktiven Sauerstoff­verbindungen sind, wie sie durch hohe Strahlungs­intensität entstehen. Davor wären sie unter den Steinen weitgehend geschützt.“

Besonders spannend war die Gen-Ausstattung der neu entdeckten Mikroben. So fanden sich Gene für einen Weg zur Kohlenstoff­fixierung, was die Thaumarchaeota zu den ersten in der hyperariden Zone gefundenen Organismen macht, die vermutlich Kohlendioxid aus der Atmosphäre in organische Materie einbauen können. „Das ist ein enorm wichtiger Fund“, so Probst, „wenn man bedenkt, dass der Boden in der hyperariden Zone extrem kohlenstoffarm ist und dass alle bisher gefundenen Bakterien auf organische Kohlenstoff­quellen angewiesen sind.“

Auch für den Stickstoff­kreislauf scheinen die Thaumarchaeota eine wichtige Rolle zu spielen, denn ihre Gen-Ausstattung deutet darauf hin, dass sie Ammonium über Nitrit zu Nitrat oxidieren können. Bei der Anpassung an das lebens­feindliche Habitat der Atacama helfen vermutlich Enzyme, die reaktive Sauerstoff­verbindungen entgiften, sowie Transporter, die Schwermetalle wie Chlorid sowie Arsen aus der Zelle ausschleusen können. Auch Biofilme können die Atacama-Thaumarchaeota vermutlich bilden – ein Schutzmecha­nismus unter anderem gegen Austrocknung. Gegen Letzteres helfen auch Aquaporine, Proteine, die wasserdurch­lässige Kanäle bilden und für den Wasserhaushalt der Organismen extrem wichtig sind, wie Probst erklärt. Für Aquaporine codierende Gene liegen in mehrfacher Kopie in den Archaeen-Genomen vor.

Absturzstellen meiden

Doch die mikrobiellen Ökosysteme sind noch komplexer: In einer zweiten Publikation beschreiben Probst und Kollegen ein weiteres Ergebnis ihrer Beprobung des Wüstenbodens (mSystems, 6: e00385-21). So konnten sie nicht nur Bakterien und Archaeen nachweisen, sondern auch jede Menge Viren. „Leider aber nur solche die Bakterien, nicht aber Thaumarchaeota befallen“, bedauert Probst. Wichtige Erkenntnisse habe die Virom-Analyse trotzdem gebracht: „Besonders interessant ist, dass die Bakterio­phagen Resistenzgene tragen, mit denen sie kurzzeitig das Überleben der Bakterien und so auch ihre eigene Vermehrung verbessern können.“ Außerdem hatten auffällig viele Phagen ihr Erbgut ins bakterielle Genom integriert oder verblieben zumindest als Partikel im Cytoplasma der Wirte. Das könnte ein Mechanismus sein, um sich vor den extremen Umwelt­bedingungen zu schützen.

Am Ende spannt der Mikrobiologe den Bogen zurück zum Mars und erklärt, inwieweit die neuen Erkenntnisse für zukünftige Marsmissionen bedeutsam sein könnten. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Mikroben und Viren unter teils Mars-ähnlichen Bedingungen überleben können. Und dabei scheinen sie sich sogar ausbreiten zu können, denn wir haben sowohl die gleichen Thaumarchaeota über hundert Kilometer hinweg finden können als auch die gleichen Bakterio­phagen. Es ist also entscheidend, dass wir bei Marsmissionen möglichst keine Mikroben aus der Erde einschleppen.“

Dass sich das aber nie ganz verhindern lässt, weiß Probst natürlich. Während sich die Oberflächen von Geräten sterilisieren lassen, können im Innern von Materialien eingeschlossene Mikro­organismen unbeabsichtigt freigesetzt werden. „Etwa wenn Geräte auf dem Mars abstürzen“, befürchtet Probst und zählt mehrere solcher Unfälle der vergangenen Jahrzehnte auf. Seine Empfehlung an die Marsforscher lautet deshalb: „Bei der Suche nach Leben auf dem Mars sollten Areale um Absturzstellen herum großräumig gemieden werden.“ Einem NASA-Mitarbeiter hat er außerdem vorgeschlagen, dort oben doch ein paar Steine umdrehen zu lassen. Wer weiß, was sich darunter findet?

Das Team um Schulze-Makuch, Airo und Probst selbst wird indes in die Atacama zurückkehren. Vor allem der Stickstoff­kreislauf unter den Felsen hat es ihnen angetan. Und Probst möchte auch sein Know-how als Tiefenmikro­biologe einbringen. Um herauszufinden, wer oder was in den vergangenen Millionen Jahren im Wüstenboden gelebt hat, sollen deshalb bald ein mehrere Meter tiefes Loch gebohrt und die Sediment­schichten analysiert werden. Geld für die Analysen ist schon bewilligt, doch es gilt noch einige methodische Heraus­forderungen zu meistern: „Wir müssen Wege finden, mit extrem geringen DNA-Mengen im Sand zurecht­zukommen“, so Probst. „Aber wir arbeiten daran, dieses Problem zu lösen.“

Larissa Tetsch

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal 6/2022.

Bild: A. Probst


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Letzte Änderungen: 05.07.2022