Editorial

Dynorphin
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(07.07.2022) Die Schläfenlappen-Epilepsie ist die am schwersten zu behandelnde Form der Epilepsie. Die Berliner Epiblok will Anfälle per Gentherapie unterbinden.
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Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Zentralnerven­systems. Die typischen Krampfanfälle entstehen dadurch, dass Nervenzellen übermäßig und unkontrolliert feuern – Forscher sprechen dabei gerne von einem „Gewitter im Kopf“. Während bei einer generalisierten Epilepsie das gesamte Gehirn betroffen ist, lässt sich bei einer fokalen Epilepsie ein räumlich begrenzter Krankheits­herd identifizieren. Diese Epilepsien sind besonders schwer behandelbar – ein Grund, warum die Berliner Epiblok Therapeutics GmbH an einer Gentherapie arbeitet, die direkt an der Ursache des Leides ansetzt.

Das Start-up ist aus dem Go-Bio-geförderten Projekt „Epiblock“ hervorgegangen, das in der Arbeitsgruppe von Regine Heilbronn an der Charité – Universitätsmedizin Berlin angesiedelt ist. Die frühere Leiterin des dortigen Instituts für Virologie erforscht seit langem Adeno-assoziierte Viren als Vektoren für die Gentherapie und steht inzwischen einer Arbeitsgruppe für Gentherapie an der Klinik für Neurologie der Charité vor. Expertise zur Epilepsie bringt Heilbronns Gründungspartner Christoph Schwarzer ins Team ein. Der Neurobio­chemiker hat an der Medizinischen Universität Innsbruck eine Professur für translationale Epilepsie­forschung und ist auf die Biologie von Neuropeptiden und Tiermodelle für Epilepsien – insbesondere der Temporal- oder Schläfenlappen-Epilepsie – spezialisiert. Dabei handelt es sich um eine vergleichsweise häufige Erkrankung: So erkranken geschätzt 0,5 bis 1 % der Bevölkerung irgendwann im Leben an Epilepsie, ein Großteil davon an Schläfenlappen-Epilepsie.

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Trauma, Schlaganfall oder Infektion

Im Unterschied zur generalisierten Krankheitsform, bei der in der Regel eine genetische Ursache vorliegt, ist die Schläfenlappen-Epilepsie eine erworbene Krankheit. Der Auslöser ist häufig eine Verletzung des Gehirns in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas, eines Schlaganfalls oder eines Hirntumors, einer Infektion oder in manchen Fällen auch eine angeborene Gehirn­missbildung. „Der Schläfenlappen ist eine dynamische Hirnregion, die für Lernen, Gedächtnis und Emotions­kontrolle eine Rolle spielt, und die deshalb sehr anfällig für Epilepsien ist”, erklärt Schwarzer. „Der Anfall geht immer vom gleichen Krankheitsherd im Schläfenlappen aus. Oft bleibt er räumlich begrenzt, es ist aber auch möglich, dass Anfälle sich großräumig auf das Gehirn ausbreiten, also generalisieren.

Der Leidensdruck bei den Betroffenen sei groß, so die Epiblok-Gründer. Dabei ständen die Anfälle gar nicht unbedingt im Vordergrund: „Durch die regelmäßigen Anfälle über lange Zeiträume wird der Schläfenlappen geschädigt, sodass viele Patienten langfristig Probleme mit Gedächtnis und Lernprozessen bekommen oder an Depressionen leiden.“ Verfügbare Medikamente haben schwere Nebenwirkungen oder helfen überhaupt nicht, wie Schwarzer ausführt: „Die Schläfenlappen-Epilepsie ist die am schwersten behandelbare Form der Epilepsie. In bis zu 80 % der Fälle schlagen Medikamente nicht an.“ Oft käme dann nur noch eine operative Entfernung des betroffenen Hirnareals in Frage. „Dabei handelt es sich aber um eine große Hirn-Operation, die potenziell Persönlichkeits-verändernd ist”, gibt Heilbronn zu bedenken. „Das Risiko wollen viele Patienten nicht eingehen. Wir haben hier also einen hohen medizinische Bedarf.”

Im Keim erstickt

Mit ihrer Gentherapie wollen Heilbronn und Schwarzer den Epilepsie-Patienten langfristig helfen. Dazu greifen sie direkt in die pathophysio­logischen Vorgänge ein und verhindern, dass ein Anfall überhaupt entstehen kann. In der Epilepsie besteht ein Mangel des Neuropeptids Dynorphin, das vor allem in den Körner-Zellen, besonderen Nervenzellen im Hippocampus, gebildet wird. Die Körner-Zellen speichern das produzierte Neuropeptid in Vesikeln und setzen es nur im Bedarfsfall frei, um die Reizweiter­leitung zwischen den Nervenzellen zu dämpfen. „Unser Ziel ist es, den erschöpften Pool an Dynorphin wieder aufzufüllen”, erklärt der Neurobio­chemiker.

Um das für Dynorphin codierende Gen in die Nervenzellen einzubringen, kommen Adeno-assoziierte Viren (AAV) zum Einsatz, die aus vielen Therapieansätzen als sichere Genfähren bekannt sind. „Unsere maßgeschneiderten Vektoren werden minimalinvasiv durch Neurochirurgen in den Hippocampus eingebracht und können sich nicht auf andere Hirnbereiche ausbreiten. Das ist wichtig, weil Dynorphin auch in anderen Hirnbereichen Wirkungen hat, die potentiell Neben­wirkungen wären”, betont Gentherapie-Spezialistin Heilbronn. Ihr Kollege fügt hinzu: „Nachdem wir das Dynorphin-Gen in die Nervenzellen eingebracht haben, unterscheiden sich die Vorgänge nicht mehr vom natürlichen System. Das Neuropeptid wird nach der Produktion in Vesikeln gespeichert und nur ausgeschüttet, wenn eine hochfrequente Erregung der Nervenzellen einen Anfall ankündigt.“ Das kann alle paar Tage sein, aber auch mehrmals am Tag. Diesen Ansatz, der nur geringfügig in das natürliche System eingreift und deshalb wenig Nebenwirkungen haben sollte, bezeichnen die Epiblok-Gründer als „Drug on Demand“: „Dynorphin wird von unserem AAV-Vektor gezielt nur in der betroffenen Hirnregion produziert und dann auch nur bei Bedarf ausgeschüttet.“

Ein Eingriff reicht – bei Mäusen

Dass das tatsächlich so funktioniert, hat das Gründerteam bereits in Mäusen zeigen können. Dynorphin wurde in den Versuchstieren tatsächlich nur lokal und zeitlich streng begrenzt freigesetzt, Nebenwirkungen waren keine zu verzeichnen (EMBO Mol Med, 11(10):e9963). „Wir haben bezüglich Verhalten und Immun­reaktionen keine Veränderungen bei den Tieren gefunden”, fasst Schwarzer zusammen. „Auch im Hirnwasser hat sich Dynorphin nicht ungewöhnlich stark angesammelt.” Besonders begeistert sind Heilbronn und Schwarzer davon, dass die Gentherapie anders als Medikamente keinen negativen Einfluss auf Lernen, Gedächtnis und Emotions­kontrolle zu haben scheint. Außerdem reichte bei den Mäusen ein Eingriff aus, um die Anfälle mehrere Monate lang zu unterdrücken – bei einer Lebens­erwartung von zwei Jahren eine lange Zeitspanne. Das nährt die Hoffnung, dass auch beim menschlichen Patienten eine einzige Behandlung ausreichen könnte. „Man weiß, dass AAV-Vektoren über 10-15 Jahre exprimieren können”, erklärt Heilbronn. „Länger wurden sie noch nicht untersucht. Auch bei unseren Mäusen haben wir lange Beobach­tungszeiten, denn bei einer Krankheit wie der Schläfenlappen-Epilepsie braucht man eine langfristige Therapie.”

Noch viel zu tun

Bevor klinische Studien anlaufen können und hoffentlich Patienten von der Gentherapie profitieren, wartet noch einiges an Arbeit auf die beiden Professoren. Nach ihrem Proof-of-Concept in den Mäusen validieren sie jetzt ihren Leitstruktur-Vektor für die GMP-konforme Produktion. Auch weitere Tierversuche sind geplant. Geld kommt derzeit vom BMBF-finanzierten Go-Bio-Förderprogramm, in dessen akademischer Förderphase sich Epiblok befindet. „Im Moment suchen wir Sponsoren und Investoren, um dann in die zweite Förderphase, die Firmenphase, eintreten zu können”, so Heilbronn.

Auch beim Businessplan-Wettbewerb Science4Life Venture Cup war Epiblok bereits erfolgreich und sicherte sich im letzten Jahr den fünften Platz. Mit der Charité hat Epiblok im April einen exklusiven Lizenzvertrag zur Nutzung der zum Patent angemeldeten Erfindungen der Firmen­gründer abgeschlossen. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung geschaffen, damit Epiblok mit den kosten­intensiven klinischen Studien starten kann.

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/AsoyID (Gehirn) & Pixabay/chenspec (DNA-Hintergrund)


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Letzte Änderungen: 07.07.2022