Editorial

Erstaunliche Parallelen

(11.07.2022) Bereits vor mehr als 100 Jahren musste er sich mit Infektionserregern, Politikern und Impfgegnern rumschlagen. Der Bakteriologe Friedrich Loeffler.
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Friedrich Loeffler in seinem Labor

„Fassungslosen Schrecken verbreitend, häufig genug alle Bande der Freundschaft, ja selbst des Bluts lösend, sind sie über die wehrlosen Völker dahingerast. Millionen von Leichen zeichneten den Weg, welche sie genommen. Niemand wusste, woher sie kamen. Plötzlich waren sie da. Kein Entrinnen war möglich.“ Dieses düstere Bild zeichnete vor rund 130 Jahren der Bakteriologe Friedrich Loeffler, als er zu Ehren des damaligen Kaisers Wilhelm II. über die Bekämpfung von Infektionskrankheiten sprach.

Obwohl es einem manchmal so vorkommt, nicht erst seit SARS-CoV-2 wird die Menschheit von infektiösen Erregern heimgesucht. Ende des 19. Jahrhunderts trieben zum Teil gleich mehrere Pathogene ihr Unwesen in der Bevölkerung: die Erreger von Diphtherie, Tuberkulose, Cholera, der Pocken ... Hinzu kamen verschiedenste Infektionskrankheiten bei Nutztieren. Immer wieder kam es zu lokalen, kaum zu bremsenden Ausbrüchen. Auch weil man oft genug, die Erreger nicht kannte. Zu deren Identifizierung hat auch oben erwähnter Friedrich Loeffler (mit oe, nicht mit ö) beigetragen, der in diesem Jahr seinen 170. Geburtstag feiern würde. Das Interessante: liest man einige seiner Aufzeichnungen und Publikationen, klingen viele damalige Probleme seltsam vertraut. Schwerfällige Politik, schwierige Kommunikation und sturköpfige Impfgegner – vieles scheint sich in den letzten 130 Jahren in Sachen Infektionsbekämpfung nicht geändert zu haben.

Editorial

Berühmter Vater

Friedrich August Johannes Loeffler wurde am 24. Juni 1852 in Frankfurt/Oder geboren. Sein Vater war Militärarzt und in dieser Funktion im Jahre 1864 wohl einer von drei Unterzeichnern – als Abgesandter des preußischen Königs – der allerersten Genfer Konvention „betreffend die Linderung des Loses der im Felddienst verwundeten Militärpersonen“. Auch Loeffler junior zog es in den Krieg. Beim deutsch-französischen Krieg 1870/71 war er unter anderem als Sanitäter tätig und konnte da wohl schon seine in Würzburg erworbenen Medizin-Kenntnisse anwenden. Später zog es ihn nach Berlin an die militärärztliche Akademie „Pépinière“, an der auch schon Rudolf Virchow studiert hatte.

Nach dem Abschluss seines Medizin-Studiums verdingte er sich ab 1879 am Kaiserlichen Gesundheitsamt zunächst als „Hülfsarbeiter“, kurze Zeit später arbeitete er im Labor eines gewissen Robert Koch. Loeffler gilt als der erste Schüler Kochs, den er Zeit seines Lebens bewunderte. So schrieb er in späteren Publikationen über Koch: „in dankbarster Verehrung zu diesem Tage“, „unser unsterblicher Meister“, „unser Führer im Kampfe gegen die Infektionskrankheiten“. Jahre später wird Loeffler Kochs Stelle als Leiter des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheit einnehmen, dem heutigen Robert-Koch-Institut.

Bis dahin verbrachte Loeffler seine Zeit damit, bakterielle Krankheitserreger zu identifizieren. Dies gelang ihm sowohl für Tierseuchen: Burkholderia mallei als Verursacher der Pferde-Erkrankung Rotz und Erysipelothrix rhusiopathiae, der Erreger des Schweinerotlaufs. 1884 konnte er das Bakterium Corynebacterium diphtheriae als Auslöser der Diphtherie dingfest machen. Eine Krankheit, die er selbst einmal als „Würgeengel der Kinderwelt“ bezeichnete. Dank Impfung ist sie heute fast ausgemerzt. In seinen Proben von Diphtherie-Patienten entdeckt Loeffler Stäbchen-förmige Organismen, „ausgezeichnet durch eigenthümliche […] Körnchen, sowie durch merkwürdige kolbige Anschwellungen an den Enden“. Ihm gelingt die Reinkultur in „Loeffler-Serum“, neben Dextrose und Peptonen enthält das Medium Hammel-, Rinder- oder Pferdeserum.

Bacillus mit Bürgerrecht

Allerdings hatte Loeffler einige Schwierigkeiten, seine Kollegen von den Befunden zu überzeugen. Man kennt es. „Der Umstand, dass die Diphtheriebacillen nicht, wie die Erreger bei anderen Infectionskrankheiten, im Innern der Organe, sondern nur auf der Oberfläche der erkrankten Theile von mir gefunden waren, ist wohl die Hauptursache gewesen, dass meine Angaben mit starken Zweifeln aufgenommen wurden und dass erst drei Jahre nach meiner ersten Mittheilung die Forscher überhaupt begonnen haben, sich mit meinen Untersuchungen zu beschäftigen. Sieben Jahre hat es dann noch gewährt, bis sich der Bacillus Bürgerrecht errungen hat,“ beklagt er zehn Jahre nach der Erstbeschreibung auf dem VIII. Internationalen Congress für Hygiene und Demographie 1894 in Budapest als Vorsitzender des Deutschen Diphtherie-Comités (Dtsch Med Wochenschr, 20(47): 881-3).

Die neuen Erkenntnisse sollen nun auch für die Infektionsbekämpfung eingesetzt werden. Ihm ist wichtig, dass jeder verdächtige Diphtherie-Fall bakteriologisch untersucht wird. Und zwar schnell, einfach und kostenfrei. „Ja, meine Herren, wenn Ihnen dieser Gedanke augenblicklich auch noch als ein praktisch nicht durchführbarer erscheint, so müssen Sie sich gleichwohl mit ihm vertraut machen“, weist er die aufgebrachte Menge auf dem Budapester Kongress zurecht und verweist auf New York. Dort bekommen die Ärzte kostenlos ein Probenröhrchen mit Nährmedium, nehme Proben und geben die Röhrchen samt Inhalt in einer Apotheke ab. Jeden Abend werden die Röhrchen eingesammelt und von den Gesundheitsämtern untersucht. Spätestens am nächsten Tag mittags erhält der Arzt die Ergebnisse per Telefon oder Postkarte. „Nun, was in der Stadt New-York möglich ist, das sollte doch, in grossen Städten wenigstens, auch bei uns möglich sein.“ Besonders Kinder, die wieder zur Schule gesehen sollen, müssen vorher getestet werden, sagt Loeffler. Und fügt hinzu: „Wie bei der Cholera, so ist auch bei der Diphtherie ein schnelles Erkennen und schnelles Eingreifen eine Hauptbedingung für den Erfolg.“ Das gilt bis heute, scheint aber auch in mehr als 130 Jahren noch nicht bis nach ganz oben durchgedrungen zu sein.

Eine vornehme Aufgabe

Dabei gehört die Infektionsbekämpfung zu den ureigensten Aufgaben einer Regierung, oder wie es Loeffler damals etwas schöner formulierte: „über der Gesundheit seines Volkes zu wachen, die der Gesammtheit drohenden Gefahren, welchen gegenüber der Einzelne machtlos ist, abzuwehren, (ist) eine der vornehmsten und schönsten Aufgaben des Herrschers“. Heute nehmen mehrere „Herrscher“ diese vornehme Aufgabe nicht besonders ernst.

Aber auch vor mehr als 100 Jahren wurde schon heftig über Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung gestritten. So dauerte es mehrere Jahre, bis das Ausführungsgesetz zum „Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten“ im Juli 1900 verabschiedet werden konnte (Dtsch Med Wochenschr, 30(49): 1810-3). Diskutiert wurde, wie heute, über die Finanzierung der Maßnahmen, aber auch Meldepflichten. Loeffler schimpft: „Wiewohl in zahlreichen Ländern viel weiter gehende und einschneidendere Bestimmungen seit Jahren gesetzlich getroffen sind, ohne daß sich irgend welche Schwierigkeiten daraus in der Praxis ergeben haben, hat der Vertreter der konservativen Partei in der Plenarsitzung sich dahin ausgesprochen, daß die Frage, in welcher Weise die Anzeigepflicht der Tuberculose geregelt werden soll, vorläufig aus dem Gesetze herausgenommen werden solle, um das Zustandekommen des Gesetzes zu ermöglichen. Er spricht sich dahin aus, daß seine politischen Freunde der Ansicht sind, daß bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft doch noch nicht ganz genau feststehe, was in jedem einzelnen Falle zu geschehen habe, und besonders, daß ein Eingriff in das Familienleben, in die internsten Verhältnisse auch der Einzelnen stattfindet, den wir doch gern vermieden wissen möchten“. Das kommt einem alles sehr bekannt vor.

Verblendete Impfgegner

Auch beim Thema Impfungen hat sich offensichtlich auf dem Weg vom 19. ins 21. Jahrhundert nicht viel getan. In der Festrede zu Ehren des Kaisers wundert sich Loeffler: „Und doch, hochansehnliche Versammlung, angesichts dieser geradzu einzigen Erfolge der Schutzpockenimpfung giebt es noch immer, auch bei uns, Verblendete genug, welche mit sehenden Augen die herrlichen Erfolge nicht sehen wollen, welche in dieser segensreichsten aller hygienischen Maassregeln nichts erblicken als einen Eingriff in die freie Selbstbestimmung, in die persönliche Freiheit.“ Loeffler ist damals jedoch optimistisch genug, zu denken, dass die Impfgegner „keinen Anhalt finden (werden) im deutschen Volke.“ Nun, damit lag er falsch.

Richtig ist seine Einschätzung jedoch, was die Kommunikation angeht. Infektionsbekämpfung kann nur gemeinsam mit der Bevölkerung erfolgen, die deshalb mit „allgemeinverständlichen Belehrungen“ auf leicht zugängliche Art auf die Gefahr aufmerksam gemacht und zur Wachsamkeit aufgerufen werden sollte. „In allen Kreisen der Bevölkerung musste das Verständnis für die neuen Ergebnisse der Forschung geweckt werden, damit überall das Volk selbst mitarbeiten lernte an der Bekämpfung seines gefährlichsten Feindes. Wie schwer aber dringen neue Lehren, selbst wenn sie durch Wort und Schrift immer wieder und wieder verbreitet werden, in die breiten Massen des Volkes ein! Jahre gehen darüber hin!“, ist sich Loeffler dieser nicht ganz so einfachen Aufgabe bewusst. Heute kommen auch noch bewusste Desinformationskampagnen hinzu, die die Infektionsbekämpfung zusätzlich erschweren.

Von Berlin aus ging es für Loeffler 1888 in den Norden, an die Uni Greifswald, an der er seine Arbeit auf dem Lehrstuhl für Hygiene fortsetzte. Kurz vor der Jahrhundertwende erhielt er einen ganz besonderen, einen staatlichen Auftrag. Loeffler sollte den Erreger der damals bei Rindern grassierenden Maul- und Klauenseuche aufspüren. Eigentlich war Robert Koch für diesen Job ausersehen, der befand sich jedoch auf einer mehrjährigen Dienstreise. Zuerst in Südafrika, wo er sich mit der Rinderpest beschäftigte, dann in Indien, ein Land, das immer wieder mit der Pest zu kämpfen hatte.

Ein sehr kleiner Krankheitserreger

Gemeinsam mit Paul Frosch machte sich Loeffler also an die Aufklärung der Maul- und Klauenseuche. Und tatsächlich dauerte es nur wenige Monate, bis der Schuldige gefunden war. Es handelte sich um eine ganz neue Art von Erreger, ein Virus. Erkannt hatten das die beiden mithilfe von speziellen Filtern. Damals üblich waren sogenannte Berkefeld-Filter, die aus einem Hohlzylinder aus Porzellan mit einer Filterkerze aus Schalen fossiler Kieselagen (Kieselgur) bestanden. Auch geeignet für die Aufbereitung von Wasser, dienten die Filter in der Bakteriologie zur Sterilisation. Denn durch die feinen Poren des Kieselgurs passten keine Bakterien, sie wurden aus der Flüssigkeit herausgefiltert.

Die Lymphflüssigkeit MKS-kranker Tiere, die Loeffler und Frosch durch den Kieselgur-Filter fließen ließen, war jedoch noch immer infektiös. Bakterien schlossen sie also aus. Ein noch feinerer Filter, den der Japaner Shibasaburo Kitasato in Kochs Labor entwickelt hatte, hielt das infektiöse Agens aber zurück. Im Kommissionsbericht schreiben Loeffler und Frosch: „Es läßt sich deshalb die Annahme nicht von der Hand weisen, daß es sich bei den Wirkungen der Filtrate nicht um die Wirkungen eines gelösten Stoffes handelt, sondern um die Wirkung vermehrungsfähiger Erreger. Diese müßten dann freilich so klein sein, daß sie die Poren eines auch die kleinen Bakterien zurückhaltenden Filters zu passieren vermöchten“.

Frosch und Loeffler gehen sogar noch einen Schritt weiter und äußern den Verdacht, dass diese „allerkleinsten Organismen“ noch für eine ganz Reihe von Infektionskrankheiten bei Mensch und Tier verantwortlich sein könnten. Sie nennen: Pocken, Kuhpocken, Scharlach, Masern, Flecktyphus und die Rinderpest und sollten zumindest bei den Pocken, Masern und der Rinderpest recht behalten.

Die macht Loeffler nicht nur zu einem Vorreiter der Infektionsbekämpfung, sondern auch zum (Mit-)Begründer der Virologie. Auch, weil er 1910 das erste virologische Institut der Welt gründete, das heute nach ihm benannte Friedrich-Loeffler-Institut mit Hauptsitz auf der Insel Riems bei Greifswald.

Auf Insel „verbannt“

In seiner Forschung hat er es allerdings nicht so genau genommen mit der Infektionsbekämpfung. Den Standort Riems gibt es nur deshalb, weil es aufgrund von Loefflers Experimenten immer wieder zu MKS-Ausbrüchen in und um Greifswald gekommen war. „Deutschland wäre frei von Maul- und Klauenseuche, wenn sie nicht Ende  September und Anfang Oktober durch die Loeffler’schen Versuche verschleppt worden wäre“, heißt es in einem ministerialen Schreiben vom 24. November 1906. Loeffler musste seine Experimente einstellen und nach einem geeigneteren Ort suchen. Diesen fand er in einer fast einsamen, 23 ha großen Insel im Südwesten des Greifswalder Boddens – die Insel Riems.

Zwischen der Entdeckung des MKS-Virus und der Eröffnung des Riemser Virologie-Instituts beschäftigte sich Loeffler auch mit für Deutschland ungewöhnlichen Krankheiten, wie der Tsetse-Krankheit oder Nagana, denn „die Entwicklung Deutschlands als Kolonialmacht brachte es mit sich, daß die Menschen und Tiere schwer bedrohenden tropischen Krankheiten das Interesse auch der deutschen Hygieniker in Anspruch nahmen“. Zur Behandlung der Nagana empfiehlt Loeffler das Acidum arsenicosum (Dtsch Med Wochenschr, 34(34): 1457-60). Auch zur Therapie von Krebs machte er sich Gedanken (seine Frau starb 45-jährig an der Erkrankung). Loeffler schlägt vor, Krebskranke mit einer künstlich herbeigeführten Malaria-Infektion zu heilen. Denn Malaria-Infizierte schienen laut Berichten eine Art Schutzschild für bestimmte Krankheiten wie Epilepsie zu haben (Dtsch Med Wochenschr, 27(42): 725-6).

Neben seiner Forschung blieb er weiterhin dem Militär verbunden. Als sich der Erste Weltkrieg 1914 ankündigte, meldete er sich als Generalarzt und beratender Hygieniker. Da hatte er eigentlich schon die Leitung des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin übernommen. Ein Jahr später starb er, wahrscheinlich an Krebs im Alter von 62 Jahren.

Kathleen Gransalke

Bild: RKI

Referenzen
Website des Friedrich-Loefller-Instituts
Sonderpublikationen des Friedrich-Loeffler-Instituts
Website Robert-Koch-Institut
10. Loeffler-Lecture des Alfried-Krupp-Wissenschaftskollegs am 23.6.2022, gehalten von FLI-Direktor Thomas C. Mettenleiter


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Letzte Änderungen: 11.07.2022